Ein Reisender trat eines Morgens sehr früh, vor Sonnenaufgang, auf den Balkon seines Hotelzimmers hinaus, um noch einen letzten Anblick vom Montblanc zu erhaschen, ehe er von Genf in der Schweiz abreiste. Als er aufschaute, erfüllte die Schönheit des hell leuchtenden Morgensterns sein Bewußtsein. Noch nie hatte er einen solch strahlenden Stern gesehen; er fühlte sich ganz überstrahlt von seinem Glanz. Selbst im Licht der Morgendämmerung leuchtete dieser Stern so hell, daß es einen sanften Schimmer über die Schönheit der Landschaft warf.
Als er einige Augenblicke dort stand, dachte er an die Macht des Christus-Lichts, das den Hirten und den Weisen als ein Stern erschien, dem sie folgen mußten zu der Krippe in Bethlehem, wo sie in dem Kindlein, das dort lag, den erkannten, der für die Menschheit beweisen würde, wie der Christus offenbart, daß die Liebe, Macht und Gegenwart Gottes bei den Menschen ist. Kein Stern am materiellen Himmel hätte eine solche Offenbarung bringen können; aber das Licht geistiger Intelligenz durchdrang die Finsternis materieller Annahmen, und da die Wahrheit zu jedem immer dort kommt, wo er ist oder wo er denkt, erschien dieser Schimmer geistiger Erleuchtung den Weisen zweifellos als ein Stern, weil sie gewohnt waren, die Sterne zu beobachten und sich von ihnen in der Finsternis der Nacht leiten zu lassen. Somit war das Kommen des Morgensterns für sie eine mehr oder weniger natürliche Erscheinung.
Heute ist die Christliche Wissenschaft der Stern oder das Licht der Intelligenz, das die Menschheit zu der Wahrheit, zu dem Verständnis von Gott und dem Menschen als Seinem Bild und Gleichnis führt. Wir folgen diesem Licht der Wahrheit, indem wir den Christus in unserem täglichen Leben beweisen und wachsame Hirten sind, wachsam auf unsere Gedanken achten, daß sie festhalten an der Allheit der Liebe und der Gegenwart Gottes und daran, daß der Mensch der Ausdruck der Vollkommenheit Gottes ist, und so die Herde, das Bewußtsein, vor den Wölfen irriger, kranker und sündiger Einflüsterungen schützen. Selbst in Nächten der Furcht, des Zweifels, der Verzagtheit, der Einsamkeit, des Mißerfolgs oder des Mangels macht der Stern der Christlichen Wissenschaft den Menschen klar, wie sie über die Herden ihrer Gedanken unablässig wachen können, wie sie die lammähnlichen Eigenschaften Unschuld, Reinheit und Liebe, die von unserem Vater-Mutter, Gott, ausgehen und den Christus wahrnehmen, pflegen können.
Wie ein Hirte seine Schafe liebt und behütet, so liebt und behütet ein Christlicher Wissenschafter die Gedanken und Ideen, die der Ausdruck des göttlichen Gemüts sind und des Menschen wirkliches und einziges Sein bilden. Daher kann es in der Herde des Bewußtseins des Menschen keine wandernden, abirrenden, verlorenen, in der Wüste materieller Annahmen verirrte und verdunkelte Gedanken geben. Nur wenn wir wachsame Hirten sind, die die Nacht hindurch wachen, können wir die „Morgendämmerung von oben“ oder jene göttliche Liebe wahrnehmen, die der Christus bekundet und offenbart, und die durch die göttliche Wissenschaft uns alle behütet und für uns sorgt. Als Christliche Wissenschafter müssen wir auf unsere Gedankenherden acht geben, damit wir die Pläne und Absichten, die Mittel und Verfahren des Irrtums aufdecken und das Gute, das Edle und das Reine wahrnehmen können, das das Licht des Morgensterns oder die Christliche Wissenschaft als die Wirklichkeit des Seins enthüllt.
Der Morgenstern verkündet immer den Tag. So verkündete der Stern von Bethlehem die vollständige Offenbarung des Tagesgestirns der Wahrheit, die Christus Jesus bewies und die wir durch die Christliche Wissenschaft kennen. „Der Stern von Bethlehem“, schreibt Mary Baker Eddy in „Miscellaneous Writings“ (S. 320), „ist der im Reich der Wahrheit hoch im Zenith stehende Stern von Boston, der auf die lange Nacht menschlicher Annahmen niederschaut, um die Finsternis zu durchdringen und in Dämmerung überzugehen. Der Stern von Bethlehem ist das Licht aller Zeiten; er ist das Licht der Liebe, die heute die unbefleckte Religion göttliche Wissenschaft tauft, ihr einen neuen Namen und als Zeichen der Reinheit und Dauer den weißen Stein gibt.“
Jedermann hat in seiner menschlichen Erfahrung die Finsternis sterblicher Annahmen erlebt; aber das Licht der göttlichen Wissenschaft, „der helle Morgenstern“, der das Dämmern eines geistigen Tages anzeigt, scheint für die Menschheit. Um seiner Führung zu folgen, müssen wir aufschauen, wegblicken vom persönlichen Sinn mit seiner Weltlichkeit, seinen Vergnügungen und selbstsüchtigen Leistungen einerseits, und seinen Befürchtungen, Beschränkungen, Unstimmigkeiten und Kriegen anderseits. Wenn wir dem Morgenstern, diesem Dämmern des Lichts, folgen, kommen wir in den Tag der vollen Erkenntnis der Wahrheit; denn der Stern der göttlichen Wissenschaft führt uns heraus aus der Nacht des Materialismus und enthüllt uns schnell, wie mit „Flügeln der Morgenröte“, die Vollkommenheit Gottes und des Menschen. Das Licht dieses Morgensterns befähigt den Christlichen Wissenschafter, inmitten scheinbarer Verwirrung klar zu denken; freudig zu sein, wenn Leid gegenwärtig zu sein scheint; angesichts von Neid und Haß liebevoll zu sein; im Denken und geistig frei zu sein, während man von materiellen Annahmen gefesselt zu sein scheint; Fortschritt zu machen, wo der Irrtum nur Stockung sieht; Fülle auszudrücken, wo für das sterbliche Gemüt Mangel gegenwärtig ist. Diese von Gott verliehene Weisheit und dieses Verständnis leuchtet wie die Sterne und spiegelt inmitten der Annahme des Materialismus, der Unwissenheit und der Furcht des sterblichen Gemüts das Licht der Wahrheit wider.
Das Licht des Sterns wissenschaftlichen Wissens ins tägliche Leben zu bringen ist die herrliche Arbeit des Christlichen Wissenschafters. Dies bedingt die Weisheit, die versteht und beweist, daß der Mensch hier und jetzt Gottes Vollkommenheit, Herrschaft, Gegenwart, Liebe und Macht widerspiegelt oder ausdrückt. Daniel schreibt über diesen Gedankenzustand (12, 3): „Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.“ Mrs. Eddy spricht von Paulus und Jesus als Sternen erster Größe, und Mrs. Eddy selber war wahrlich mehr denn irgend jemand in unserem Zeitalter ein solcher Stern; denn sie hat sowohl durch ihre Entdekkung der Christlichen Wissenschaft als auch durch ihre Worte und Werke unzählige Menschen zu Gerechtigkeit — zu rechtem, intelligentem, wissenschaftlichem Denken — gewiesen. Sie sagt uns in „Miscellaneous Writings“ (S. 340): „Jeder, der unter den menschlich Großen leuchtet, kommt wie die Sterne in der Dunkelheit hervor, um mit dem widergespiegelten Licht Gottes zu scheinen.“ Jeder Christliche Wissenschafter beweist einigermaßen die Macht und Gegenwart Gottes im Überwinden von Sünde und Krankheit und „leuchtet“ dadurch „unter den menschlich Großen“, und wie die Sterne spiegelt er das Licht der Seele mit ihrer Schönheit, Erhabenheit und Herrlichkeit wider; und dieses Widerspiegeln taucht alle, die in seine Gegenwart kommen, in den Strahlenglanz der widergespiegelten Liebe.
In Crudens Bibelkonkordanz ist für Morgenstern die Begriffsbestimmung gegeben: „Eine ... volle, klare und eingehende Kenntnis des Christus, ... die eine vollere Kundwerdung der Wahrheiten Gottes bringt. ... Jene volle und vollkommene Kenntnis, die die Gläubigen haben werden, wenn sie im Himmel Gott von Angesicht zu Angesicht schauen werden.“ Das Licht oder die Erleuchtung durch den Morgenstern, die Christliche Wissenschaft, gibt eine „volle, klare und eingehende Kenntnis des Christus, ... die eine vollere Kundwerdung der Wahrheiten Gottes bringt“, da sie enthüllt, daß der Mensch als Gottes Ebenbild unzerstörbar und harmonisch ist und dadurch beweist, daß das gegenteilige Gedankenbild, daß der Mensch leide, sündige und sterbe, unwahr ist und weder Substanz noch Verkörperung hat.
In der Harmonie oder dem Himmel dieser Offenbarung sehen wir in der Tat Gott von Angesicht zu Angesicht, fühlen wir die Gegenwart Seiner Liebe und bekunden die Macht Seines Gesetzes des Guten. Die herrliche Art Gottes und des Menschen ist uns im Verständnis des Christus, der Wahrheit, enthüllt, und darin besteht unser Himmel. Petrus sah, was der Morgenstern der Wahrheit bedeutet, als er schrieb (2. Petr. 1, 19): „Wir haben desto fester das prophetische Wort, und ihr tut wohl, daß ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint in einem dunkeln Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“ Wenn der Morgenstern des ewigen Christus, die durch die Christliche Wissenschaft geoffenbarte Wahrheit, in unsern Herzen aufgeht, wird sie unserem Verständnis klar; dann verschwinden die Schatten Furcht, Krankheit und Sünde.
In Mrs. Eddys illustriertem Gedicht „Christ and Christmas“ (Christus und Christfest) ist der Morgenstern mit sieben Spitzen dargestellt, was ein Hinweis darauf sein mag, daß Gottes Vollständigkeit geoffenbart ist durch die sieben Namen, die die Christliche Wissenschaft gebraucht, um den großen Ich Bin zu beschreiben, nämlich Gemüt, Geist, Seele, Prinzip, Leben, Wahrheit, Liebe. Das Licht des Christus, der Wahrheit, „des hellen Morgensterns“, enthüllt, daß diese Vollständigkeit Gottes durch Seine strahlende und herrliche Widerspiegelung, den Menschen, zum Ausdruck kommt. Mrs. Eddy beschreibt in ihrer unnachahmbar schönen Ausdrucksweise in den folgenden Versen aus dem erwähnten Gedicht den ewigen Strahlenglanz und das Licht „des hellen Morgensterns“ oder des Christus:
„Weither, in einsam stiller Pracht,
Aus sel'ger Fern’
Strahlt durch des Chaos finstre Nacht
Ein heller Stern.
Der treue Strahl — ihn sandte Gott
Als gold'nen Steg —
Er ruft zum Leben, weckt vom Tod
Und zeigt den Weg.
Allüberall, in tiefster Nacht
Ist Christus nah;
Uns alle schützt der Gnade Macht,
Das Heil ist da.
In siebenfarb'gem Weiß heut brennt
Der Stern so alt!
Und ohne Anfang, ohne End’
Das Leben strahlt!
Weg, Wahrheit, Leben — Gottes Wort
Gilt jetzt und hier,
Und Christus bringt noch fort und fort
Die Heilung dir.“
