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Gebet

Aus der Dezember 1951-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Aus den im Alten und im Neuen Testament berichteten vielen Fällen der Gebetserhörung sehen wir, daß Gebet nicht etwas Feststehendes ist oder sein kann, sondern durch die Art einer Lage oder das Bedürfnis bei einem Gedankenzustand veranlaßt wird und gekennzeichnet ist. Es ist immer ein aufrichtiges und tätiges Suchen nach dem Guten. Das Ziel und die Beschaffenheit des Gebets werden jedoch durch den geistigen Ausblick des Betenden bestimmt.

Saulus von Tarsus widmete sich zum Beispiel, als er mit aller Macht die von ihm gewählte Aufgabe ausführte, gegen die Christen aufzutreten und sie zu verfolgen, dem, was er damals, allerdings irrtümlich, für das höchste Gute hielt, und er muß dabei ernstlich gebetet haben — er muß das rückhaltlose und hingebende Verlangen gehabt haben, Gott zu dienen. Und es muß infolge dieser Hingebung gewesen sein, daß er erweckt wurde, den Christus wahrzunehmen und Gott zu erkennen, wie Er ist. Durch die Aufrichtigkeit seines Gebets konnte er das wahre Licht erblicken und das Gute in einem freieren Sinne erfassen. Wahres Gebet muß zu einem geistigen — einem tatsächlichen — Verständnis von Gott führen.

Vom Gesichtspunkt der unbedingten Wissenschaft ist Gebet keine göttliche Tätigkeit, weil es nicht in der Art Gottes inbegriffen ist. Was allmächtig ist, was sich ewig seiner eigenen Allerhabenheit bewußt ist, kann natürlich nicht beten; denn es hat nichts, um das es beten oder das es wünschen kann, sondern es schließt die immerdar fortschreitende Entfaltung jeder rechten Idee in seiner eigenen Unendlichkeit in sich.

Gebet ist also etwas der Menschheit Eigenes. Es ist das menschliche Verfahren, sich Gott zu nähern. Von diesem Gesichtspunkt aus kann es als eine göttliche Tätigkeit betrachtet werden; denn es beruht auf dem Anerkennen, daß Gott ist. Es ist ein Anerkennen der Güte und Allerhabenheit Gottes, und wenn es aufrichtig ist, bedeutet es das menschliche Verlangen, in Übereinstimmung mit Gottes Art zu leben und sich zu verhalten. Mary Baker Eddy sagt darüber in ihrer Botschaft an Die Mutterkirche für das Jahr 1902 (S. 6): „Aller christliche Glaube, alles christliche Hoffen und Beten, alles fromme Verlangen ist dem Wesen nach ein Bitten: Mache mich zum Bild und Gleichnis der göttlichen Liebe.“

Verlangen ist ein wesentlicher Bestandteil des Gebets; denn ohne ein Verlangen hätte es keinen Beweggrund. Verlangen ist grundlegend, um etwas zu unternehmen. Man muß es haben, um umsichtig, tätig und erwartungsvoll zu sein. Um etwas zu leisten, das der Mühe wert ist, muß man das rege Verlangen haben und willens sein, daß dieses Verlangen mit dem göttlichen Prinzip, der Liebe, übereinstimme und dadurch gestaltet werde. Verlangen setzt ein Ziel voraus, und das Verlangen muß so stark und beständig sein, daß man sein Denken und seine Tatkraft dem Erreichen dieses Zieles widmet.

Wenn man nicht erkennt, daß Verlangen eine Seite des Gebets ist, versucht man vielleicht, seine Wünsche eher zu unterdrücken, als sie zu verstärken; wogegen ein geläutertes Verlangen nicht nur unverdrossen gepflegt, sondern stärker, lebhafter und vielseitiger werden sollte. Rechtes Verlangen rege zu pflegen und dadurch sein Denken und Handeln weiter zu vergeistigen ist zum Fortschritt nötig. Verlangen ist nicht etwas, was man aufgeben muß, sondern es wird in dem Maße, wie es befreit wird, immer lebhafter.

Der erste Schritt beim Beten muß also ein Verlangen sein, und zwar ein Verlangen, das so stark ist, daß man die nötige Anstrengung macht, es auszuführen; und unter Anstrengung ist nichts menschlich Gewolltes, nichts Ermüdendes oder fast Erzwungenes zu verstehen, sondern das freudige Zugeben, daß man in Wirklichkeit gottähnlich ist, daß man die Eigenschaften seiner wahren Wesenheit würdigt, sich aneignet, sich über sie freut, und Einflüsterungen, daß etwas Unchristliches oder Unschönes ein Kennzeichen der Wesenheit des Menschen sei, unverzüglich zurückweist. Im wirklichen Gebet macht man sich die wohltätige Macht und Herrschaft Gottes zunutze. In seiner wahren Einfachheit bedeutet es ein Widerspiegeln des göttlichen Gemüts.

Ein Kennzeichen wahren Gebets ist Gerechtigkeit. Im wahren Gebet sucht man vor allen Dingen und ausschließlich das Reich Gottes, die Erleuchtung, Regierung und den Schutz der Seele, die einen befreit von den Wirrnissen, den Zweifeln und dem Herzeleid — den betörenden Annahmen des materiellen Sinnes. In gewissem Sinne kann man sagen, daß wahres Gebet die Überzeugung in sich schließt, daß es in Erfüllung gehen wird; denn es ist an und für sich ein Anerkennen der Allerhabenheit Gottes. Es ist ein Anerkennen, daß das unendliche, allgegenwärtige Gemüt unbedingt alles Gute in sich schließt und immerdar sagt (Luk. 15, 31): „Mein Sohn, ... alles, was mein ist, das ist dein“ — alle Schönheit, Liebenswürdigkeit, Gesundheit, Kraft, Freiheit und Herrschaft, alle Freude, alles Glück, alle Ideen freundschaftlichen Verbundenseins — kurzum, alles, was einen je befriedigen kann. In dem Maße, wie man zugibt, daß die Unendlichkeit Gemüt ist, wie man sich auf den Standpunkt stellt, daß die göttliche Liebe unser Gemüt ist, und von diesem Standpunkt aus denkt, muß man Gebetserhörung erleben.

Wenn man die göttliche Liebe sich als unser bewußtes Wissen und Sein erweisen läßt, kann man kein Gefühl des Mangels oder der Vereitelung haben. Das Beweisen der göttlichen Liebe und wirkliches Gebet sind tatsächlich ein und dasselbe. Sie sind rein geistige Tätigkeiten, die über die Materie und das Zeugnis der körperlichen Sinne hinausgehen. Unsere Führerin hebt diese Tatsache in „Nein und Ja“ hervor, wo sie uns sagt (S. 39): „Das Gebet kann weder Gott ändern, noch Seine Pläne in sterbliche Verfahren bringen; aber es kann unser Verfahren und unsern falschen Sinn vom Leben, von der Liebe und der Wahrheit ändern und ändert sie tatsächlich, indem es uns zu Ihm emporhebt. Solches Beten demütigt, läutert und belebt die Tätigkeit in der rechten Richtung.“ Sie fährt fort: „Wahrhaft beten heißt nicht Gott um Liebe bitten; es heißt lieben lernen und alle Menschen in eine Liebe einschließen. Durch das Gebet machen wir uns die Liebe zunutze, mit der Er uns liebt. Das Gebet erzeugt ein waches Verlangen, gut zu sein und Gutes zu tun. Es macht neue und wissenschaftliche Entdeckungen von Gott, von Seiner Güte und Kraft. Es zeigt uns klarer, als wir zuvor erkannten, was wir schon haben und sind; und vor allem zeigt es uns, was Gott ist.“

Um den Gipfel des Gebets zu erreichen, müssen wir wie Jesus in das Kämmerlein gehen; müssen wir bewußt in der Gegenwart des Allerhöchsten weilen, wo nichts Böses eindringen kann. Man kann sehen, daß dies weise ist; denn auf der Grundlage des materiellen Sinnes artet Gebet in bloßes persönliches Wünschen oder Verlangen aus. Dem vom Materiellen berührten Gebet fehlt der wahre Antrieb und die verwirklichte Erhörung. Wenn man es schwer findet, zu beten, muß es daher kommen, daß man den Tempel des Heiligen Geistes zu einer Räuberhöhle werden ließ — daß abfälliges Tadeln, Neid, Eifersucht, Habgier, Haß, Zorn, selbstsüchtiges Streben, Nachsicht gegen sich selber und Trägheit gesetzwidrig in das Bewußtsein eindrangen. Sie muß man abweisen und austreiben, damit die geistige Gelassenheit, in der wahre Ideen weilen und gedeihen, wiederhergestellt wird. Und es kann hier gesagt werden, daß, wie leicht erkenntlich ist, ein beträchtlicher Teil Tadel, wenn man ihm ehrlich auf den Grund geht, aus Neid, Eifersucht und dergleichen hervorgeht.

Unser Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mrs. Eddy gibt uns einen Maßstab, mit dem wir die Beschaffenheit und Aufrichtigkeit unseres Gebets messen können. Es stellt die Fragen an uns, ob wir auf Grund unseres Betens unsern Nächsten mehr lieben; ob wir Selbstsucht aufgegeben haben; ob wir freundlicher seien, und ob wir unsere Aufrichtigkeit dadurch beweisen, daß wir folgerichtig in Übereinstimmung mit unserem Gebet leben. Wahres Vergeben ist Gebet, weil das Denken dadurch so mit dem göttlichen Gemüt verbunden bleibt, daß es nichts Unwahres oder Unchristliches über sich selber oder seinen Nächsten zugibt. Gebet muß, um erhört zu werden, an der Art des göttlichen Prinzips, der Liebe, teilnehmen. Sich mit Gott versöhnen und das Amt der Versöhnung fortführen ist Gebet — und dies ist natürlich ein und dieselbe Tätigkeit; denn es ist ein Ausdrücken der göttlichen Liebe.

Unser Lehrbuch sagt uns, daß Jesu Gebete tiefe Bezeugungen der Wahrheit, sowohl der Wahrheit über den Irrtum als auch der Wahrheiten über die Wahrheit waren. Der Meister ermahnt uns, unsere Rede soll ja, ja und nein, nein sein, das heißt, wir sollen nicht nur die göttlichen Tatsachen behaupten, sondern auch den Irrtum zurückweisen und verneinen. Er deckte die Art des Irrtums auf und handhabte ihn unmittelbar und mit Vollmacht, als er sagte: „Ihr seid von dem Vater, dem Teufel“, und hinzufügte: „Der ... ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm“ (Joh. 8, 44). Und unsere Führerin beginnt „die wissenschaftliche Erklärung des Seins“ auf Seite 468 in Wissenschaft und Gesundheit mit der Wahrheit über den Irrtum.

Bei der anfänglichen Einführung der Christlichen Wissenschaft stieß auch sie auf denselben Widerwillen, dem Irrtum entgegenzutreten und ihn zu handhaben, der geltend macht, heute als Versuchung zu kommen; aber sie überwand ihn. In „Rückblick und Einblick“ (S. 37, 38) sagt sie uns, daß sie das Lehrbuch erst dann gedruckt bekommen konnte, als sie eine Darlegung der grundlosen Geltendmachung des Irrtums, Intelligenz und Macht zu haben, beifügte und zeigte, daß die Christen die Machtlosigkeit des Irrtums beweisen müssen.

Wirkliches christlich-wissenschaftliches Gebet oder Ausüben — wahre metaphysische Arbeit — läßt den Irrtum nie unbeachtet, sondern handhabt ihn erschöpfend auf der Grundlage der Allheit Gottes. Ein immerwährendes Bereitsein, Irrtum genügend zu erkennen, um seine Geltendmachungen zu verneinen und zu vernichten, ist Gebet — das Gebet, das unser Lehrbuch uns nahe legt und von uns fordert. Gebet ist das Festhalten an unserem Einssein mit Gott. Es ist, mit andern Worten, die Nutzbarmachung der göttlichen Macht, die die Christliche Wissenschaft uns an die Hand gegeben hat.

Dankbarkeit und Freude sind Begleiterscheinungen des Gebets. Sie fehlen bei keinem wahren Gebet. Paulus, einer der großen Verkünder des Christentums, schreibt am Anfang seines Briefes an die Philipper (1, 3. 4. 6): „Ich danke meinem Gott, so oft ich euer gedenke (welches ich allezeit tue in allem meinem Gebet für euch alle, und tue das Gebet mit Freuden), ... und bin desselben in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird's auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi.“ Alles, was christlich und wissenschaftlich als Gebet betrachtet werden kann, muß ein Überzeugtsein von seiner Wirksamkeit in sich schließen. Es schließt ein göttliches Erwarten, ein Erwarten des Guten in sich. Zweifel hat keinen Raum im wahren Gebet. Aufrichtiges Gebet befreit ganz natürlich das Bewußtsein und den Charakter, wodurch das menschliche Leben harmonischer wird.

Macht man sich in seinem Denken mit der Allgegenwart des göttlichen Gemüts vertraut, so bekundet man unwillkürlich mehr Besonnenheit und Weisheit. Wer sich angewöhnt, der Ewigkeit des sich entfaltenden Lebens, das eine sterbliche Geschichte ausschließt, entsprechend zu denken, wird weniger empfänglich für Krankheit und Leiden, drückt mehr Lebenskraft, mehr Lebendigkeit, Unmittelbarkeit, geistige Kraft aus — ist allgemein aufgeweckter.

Wenn man die göttliche Liebe als Tatsache erkennt und sich in seinem Denken daran gewöhnt, bekundet man ein bereitwilligeres und allumfassenderes Erbarmen. Dann legt man die Wärme und Zärtlichkeit, die Unparteilichkeit und Innigkeit selbstloser Liebe mehr an den Tag, und veranschaulicht dadurch die schon angeführte Erklärung unserer Führerin: „Wahrhaft beten heißt nicht Gott um Liebe bitten; es heißt lieben lernen und alle Menschen in eine Liebe einschließen.“ Dieses christliche, inhaltsreiche Gebet, das das Michael- und Gabrielwirken geistiger Kraft und Liebe in sich schließt, ist eine immer verfügbare und die einzig erfolgreiche Verteidigungswaffe gegen Angriffe von einzelnen oder der Welt; die Waffe, die geistig und menschlich zum Sieg führt.

Die Tätigkeit des Christus im Bewußtsein des einzelnen ist wahres Gebet; denn es ist die Wahrheit, die zu fleischlichen oder sterblichen Annahmen kommt und sie berichtigt, vertreibt und ersetzt. Ja, alle christlich-wissenschaftliche Arbeit und jede christlich-wissenschaftliche Behandlung ist Gebet. Christlich-wissenschaftliche Heilung — die Heilung einer Person, gespannter Beziehungen, eines Geschäfts oder die Heilung einer Welt — ist Gebetsheilung. Sie ist die Wahrheit über Gott und den Menschen, die man erklärt und behauptet hat und die den Nebel der materiellen oder sterblichen Annahme durchdringt, so daß die Menschen sich immer mehr der ewigen und wissenschaftlichen Tatsache bewußt werden, daß es nur ein Gemüt gibt, und daß der Mensch als Gottes Ebenbild von Anfang an vollkommen ist.

Um es zusammenzufassen: Gebet ist einfach ein Sichvertrautmachen mit Gott; weil man sich dadurch der wahren Art und der unwandelbaren Vollkommenheit alles dessen, was ist, mehr bewußt wird und sie mehr erkennt, wodurch man in größerem Maße so gesinnt sein kann, „wie Jesus Christus auch war.“ Und es könnte kein wirksameres Gebet geben. In der Christlichen Wissenschaft führt Gebet zu dem geistigen Verständnis Gottes, das eine selbstlose Liebe unvermeidlich mit sich bringt.

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