Das immer klarere Erkennen der Wahrheit, daß der Mensch sündlos ist, ist ein Segen, den diejenigen genießen, die reines Herzens sind. Selbstlose Liebe und unerschütterliche Treue gegen die Wahrheit kennzeichnen diejenigen, die diese rechte Erkenntnis suchen. Christus Jesus erklärte seine herrliche Bestimmung mit den Worten (Joh. 18, 37): „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll.“
Wie treu Jesus der Wahrheit war, für die er zeugte, veranschaulicht seine Heilung des Blindgeborenen. Aus dem im 9. Kapitel des Evangeliums des Johannes befindlichen Bericht ist ersichtlich, daß der Blinde für viel mehr als die Gabe des körperlichen Augenlichts empfänglich war; denn er konnte nachher erkennen, daß der Meister der Sohn Gottes war. Wie Licht die Schönheit eines Edelsteins enthüllt, so wirft die Christliche Wissenschaft Licht auf diese Erzählung der Bibel und zeigt ihre tiefe geistige Bedeutung.
Die Jünger fragten, ob des Mannes eigene Sünde oder die Sünde seiner Eltern seine Blindheit verursacht habe. Jesus antwortete: „Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern.“ Da der Meister den von Gott erschaffenen Menschen wahrnahm, in dem sich immer die Fähigkeit vollkommenen geistigen Sehens bekundet, rieb er feuchte Erde auf des Blinden Augen und hieß ihn, er solle sich waschen im Teich Siloah — das Wort bedeutet „gesandt.“
Was wahrhaft gesandt ist, ist geistiges Licht, das Bewußtsein der ewigen Einheit des Menschen mit der Wahrheit, dem Leben und der Liebe. In dem Maße, wie man materielle Annahmen aufgibt und in dem von dem Geist, Gott, verliehenen Verständnis getauft wird, wird unsere menschliche Wahrnehmung geklärt. Der Psalmist sagt von Gott: „Was er zusagt, das hält er gewiß“ (Ps. 33, 4). Wenn man jeden Gedanken zurückweist, der dem Bösen Wesenheit zu geben sucht, und nur nach der Kundwerdung Gottes, des Guten, ausschaut, wird man rein und geheilt. Wie der Mann, der sich im Teich Siloah wusch „und sehend kam“, können alle den Schmutz des Irdischgesinntseins in den heilenden Wassern der Wahrheit abwaschen, so daß sie sehen.
Die Heilung des Blindgeborenen zog bald die Aufmerksamkeit seiner Nachbarn auf sich. Man kann diejenigen, die ihn zuerst fragten, als ein Sinnbild der Gedanken und Annahmen betrachten, die durch sein früheres Blindsein mit ihm in Verbindung gewesen waren. Wenn man durch die Christliche Wissenschaft von einer Geltendmachung des Bösen frei wird, können einen solche „Nachbarn“ in die Versuchung führen, zu glauben, man sei wesenseins mit verschiedenen Seiten des vernichteten Irrtums.
Die Nachbarn dieses Mannes führten ihn zu den Pharisäern, die hier als ein Sinnbild angreifender Gedankenbeeinflussung angesehen werden können. In „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 592) gibt Mary Baker Eddy für „Pharisäer“ die Begriffsbestimmung: „Körperliche und sinnliche Annahme; Selbstgerechtigkeit; Eitelkeit; Heuchelei.“ Die Pharisäer behaupteten, daß Jesus ein Sünder sei, weil er am Sabbat heilte. Aber Christi Sabbat ist die ewige und strahlende Offenbarwerdung der göttlichen Wahrheit und Liebe, die allen Irrtum zerstört und die Sterblichen befreit. Der pharisäische Sabbat anderseits ist die Nacht der Versklavung unter falsche Annahmen, in der, wie der Meister sagte, niemand wirken kann.
Das Halten dieses falschen Sabbats ist ein sterbliches Blindsein gegen die Werke Gottes, ein Bewußtseinszustand, der das Heilen von Sünde und Krankheit verhindert. Das pharisäische sterbliche Denken, das nicht an die Heilung glauben wollte, rief die Annahme leiblicher Herkunft, veranschaulicht durch des Mannes menschliche Eltern, zu Hilfe, die bezeugten, daß ihr Sohn blind geboren sei, aber erklärten, daß er ihrer elterlichen Verantwortlichkeit entwachsen sei.
Der Verfasser erinnert sich, wie sein Befassen mit der Christlichen Wissenschaft ihm im Anfang ein gewisses Verständnis seines geistigen, wahren Selbst brachte, ihm aber keine Antwort auf die Frage gab: „Warum habe ich dafür zu leiden, daß ich in eine sündige, materielle Welt hinein geboren wurde?“ Allmählich lernte er sehen, daß die körperliche, persönliche Auffassung, die er von sich selber hatte, nur eine Trugvorstellung war. Das sagenhafte sterbliche Gemüt ist der Vater der Lügen, und sein falscher Zeuge ist der körperliche, sterbliche Mensch.
Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß Gottes Mensch, der weder geboren wird noch stirbt, vollständig getrennt ist von dem falschen, sterblichen Adamsgeschlecht, das kein wirkliches Dasein hat. Der unsterbliche geistige Mensch ist nur Gott untertan, und Gottes Werke bekunden sich ewig durch ihn. Er ist sich freudig und gelassen seiner Vollständigkeit und seiner unveränderlichen Vollkommenheit bewußt. Der Christus weckt in uns die Fähigkeit, Gottes geistigen, vollkommenen Menschen zu sehen, und dies rettet die Menschheit von allem Übel.
Als Jesus den Mann fand, dessen Augen aufgetan worden waren, sagte er zu ihm: „Glaubst du an den Sohn Gottes?“ Und wir lesen: „Er antwortete und sprach: Herr, welcher ist's? auf daß ich an ihn glaube. Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist's. Er aber sprach: Herr, ich glaube! und betete ihn an.“
Dem anmaßenden Bösen gelang es nicht, den Menschen, der sehend geworden war, abzubringen von seinem neu-erlangten Gesichtspunkt, daß Jesus von Gott kam. Treue hat einen großen, himmlischen Lohn. Das aufrichtige Verlangen, die Wahrheit, Gott, zu erkennen, geht in Erfüllung durch das Erforschen der Christlichen Wissenschaft, die einen den Christus verstehen lehrt, der alles Übel überwindet und enthüllt, daß der Mensch als des Vaters geliebter Sohn eins ist mit dem Vater.
Christus Jesus sagte: „Ich bin zum Gericht auf diese Welt gekommen, auf daß, die da nicht sehen, sehend werden, und die da sehen, blind werden.“ Wenn die Menschen erkennen, daß ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit irrig ist, daß der Materialismus Blindheit ist, sind sie bereit zu geistigem Sehen. Der materielle Sinn, der an Stelle der offenkundigen Werke Gottes einen Sünder sieht, muß berichtigt werden, und Leid oder eine Anfechtung bahnt oft den Weg zu einer Heilung durch die Liebe. Zur Läuterung der menschlichen Sinnes muß man den Weg einschlagen, den Mrs. Eddy in „Miscellaneous Writings“ (S. 185) ins Licht gerückt hat: „Sich von allem loslösen, was den sogenannten materiellen Menschen ausmacht, und seine geistige Wesenseinheit — die geistige Wesenseinheit des Kindes Gottes — anerkennen und erlangen, ist die Wissenschaft, die geradezu die Schleusen des Himmels öffnet, woraus in jeden Kanal des Seins Gutes fließt, das die Sterblichen von aller Unreinheit reinigt, das alles Leiden zerstört und das wahre Bild und Gleichnis dartut.“
Wenn der christliche Glaube an einen Gott wissenschaftlich verstanden wird, schließt er das wirkliche Bestehen von Sünde, Krankheit und Tod aus, weil sie nicht von Gott kommen. Das geistige Verständnis der Einheit und Allheit Gottes, des Guten, ist das Licht der Welt, der heilende Christus.
In unserem täglichen Verkehr mit andern sollten wir unsern Nächsten entsprechend dem, was göttlich wahr ist, zu würdigen suchen, und in der Wissenschaft den idealen Menschen — Gottes Ebenbild — wahrnehmen. Wir verbleiben in himmlischer Harmonie, wenn wir unsern Bruder nicht als einen Sünder oder ein blindes Opfer sterblicher Geburt, sondern als das geliebte Kind Gottes sehen.