In der Industrie oder im Verkehrs- und Gesundheitswesen begegnet man allgemein Vorbeugungsmaßnahmen und Vorbeugungsmitteln, die Unfälle und Krankheiten verhüten sollen. Man kann den liebevollen Beweggrund, der ihnen zugrunde liegt, nicht leugnen, aber es muß gleichzeitig zugegeben werden, daß diese Vorbeugung, wie alles, was das menschliche Gemüt zutage fördert, begrenzt und unzulänglich ist. Mary Baker Eddy erklärt in ihrem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 369): „Die prophylaktischen und therapeutischen (d.h. die vorbeugenden und heilenden) Künste gehören entschieden der Christlichen Wissenschaft an, wie man leicht erkennen kann, wenn man die Psychologie oder die Wissenschaft des Geistes, Gottes, versteht.“
Worin besteht nun die Kunst wahrer und daher dauernder Vorbeugung in der Christlichen Wissenschaft? Sie besteht in beständiger Beachtung der Zehn Gebote, im „Beten ohne Unterlaß“, in der beständigen Pflege des geistigen Sinnes; sie besteht darin, unter allen Umständen auf das Gute zu vertrauen, unausgesetzt Wachsamkeit und Geduld zu üben — kurz, die Kunst wahrer Vorbeugung liegt darin, immer auf der geistigen Höhe zu bleiben.
Im 16. Kapitel des Lukasevangeliums finden wir das allen Christen vertraute Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus. Wie das Gleichnis berichtet, befand sich der reiche Mann, der auf Erden herrlich und in Freuden gelebt hatte, nach seinem Tode in einem Zustand der Qual, wohingegen Lazarus, dem es auf Erden übel ergangen war, nach seinem Tode in Abrahams Schoß ruhte. Um der Möglichkeit vorzubeugen, daß seine Brüder auch an diesen „Ort der Qual“ kämen, bat der reiche Mann Abraham, er möge Lazarus als Warnung zu ihnen senden. Abraham verwarf dieses Verlangen mit den Worten: „Sie haben Mose und die Propheten; laß sie dieselben hören.“
Hier ist eine befriedigende Antwort auf die besorgte Frage des menschlichen Herzens: „Was ist zu tun, um Arbeitslosigkeit, Krankheit, Mangel, Verlust, Trennung und dergleichen vorzubeugen, oder biblisch ausgedrückt, um nicht an den, Ort der Qual‘ zu kommen?“ Auch heute noch ist das wirksamste Vorbeugungsmittel das, auf Jesu, Mose und der Propheten Mahnungen zu hören. Jede Erfahrung des täglichen Lebens ist wertvoll für uns, denn sie gibt uns Gelegenheit, unser individuelles Leben mit dem Gesetz Gottes in Übereinstimmung zu bringen, und das des geistigen Sinnes zu berichtigen.
Durch unbedingten Gehorsam gegen Gott befreite Moses die Kinder Israel aus dem Frondienst, aus dem „Ort der Qual“. Aber während der Wanderung durch die Wüste mußte er sein Denken beständig auf der geistigen Höhe halten, um einem Rückfall der Kinder Israel in die Knechtschaft vorzubeugen. Diese geistige Höhe ermöglichte es ihm, die vielen überzeugenden Beweise göttlichen Schutzes, göttlicher Versorgung und göttlicher Führung zu erbringen. So wurde sein Vorbild zu einem Segen für seine wie für kommende Generationen.
Wir sollten uns bewußt werden, wie oft uns ein „Ort der Qual“ durch die vorbeugende Kraft der Wahrheit erspart geblieben ist. Genau genommen ist jedes christlich-wissenschaftliche Gebet, jeder Gottesdienst, jede Bibellektion, jeder Vortrag, ja, jeder Wahrheitsgedanke vorbeugender Natur. Darüber hinaus aber sollte spezielle Arbeit getan werden. Mary Baker Eddy gibt uns im Lehrbuch einen wunderbaren Fingerzeig für diese vorbeugende Arbeit. Sie beleuchtet in ihren Ausführungen über das Buch der Offenbarung die Vision des Johannes, wie wir sie im 10. Kapitel der Offenbarung finden. Hier ist von dem Engel die Rede, der in seiner Hand „ein Büchlein“ hielt und seinen rechten Fuß auf das Meer und den linken auf die Erde setzte. Mrs. Eddy schreibt darüber (S. 559): „Enthielt dieses selbe Buch die Offenbarung der göttlichen Wissenschaft, deren ‚rechter Fuß‘ oder herrschende Macht auf dem Meere stand — auf dem elementaren, latenten Irrtum, der Quelle aller sichtbaren Formen des Irrtums? Der linke Fuß des Engels stand auf der Erde; d.h. eine sekundäre Macht wurde über den sichtbaren Irrtum und die hörbare Sünde ausgeübt.“
Gibt uns Mrs. Eddy in diesen inspirierten Worten nicht ein hervorragendes Beispiel des vorbeugenden Wirkens der Wahrheit? Sie bezeichnet hier interessanterweise das Meer als latenten, somit als noch nicht wahrnehmbaren Irrtum und die Erde als sichtbar und hörbar oder als Irrtum, der Form angenommen hat. Sie spricht von dem rechten Fuß als der herrschenden Macht, die offensichtlich vorbeugt, daß sich der latente Irrtum zu einer Form entwickelt. Der linke Fuß wird als „sekundäre Macht“ bezeichnet, die als heilender Faktor in Erscheinung tritt, wenn der Irrtum bereits angenommen hat.
Im täglichen Leben tritt oft die Versuchung an uns heran, Berichten über Krankheit, Unfall, Erblichkeit, sowie irrigen Prophezeiungen in Bezug auf Krieg, Unheil und Lebensaussichten Gehör zu schenken. Dies ist der Augenblick, in dem der Engel — die göttliche Wissenschaft — erscheint und den Fuß beherrschend auf diesen noch ungeformten Irrtum setzt, um seiner Entwicklung in sichtbare Form vorzubeugen. Diese Wissenschaft offenbart die geistige Tatsache des vollkommenen Gottes und des vollkommenen Menschen. Sie ist mächtig genug, diese latente Form des Irrtums im Keim zu ersticken. Ist jedoch diese vorbeugende Arbeit unterblieben und hat der Irrtum Form angenommen, so tritt eine sekundäre Macht, versinnbildlicht durch den linken Fuß des Engels, in Tätigkeit. Diese sekundäre Macht des Engels befreit das Denken durch das berichtigende Gesetz des Guten, die allmächtige Heilkraft der Liebe. Die biblische Illustration läßt klar erkennen, daß Vorbeugen uns den „Ort der Qual“ erspart.
Die vorbeugende Macht der Wahrheit wurde dem Verfasser durch folgende Erfahrung klar vor Augen geführt. Zu einer Zeit, als die Presse auffallend häufig von Flugunfällen berichtete, hatte er Vorbereitungen für verschiedene Langstreckenflüge zu treffen. Zu diesen Vorbereitungen gehörte für ihn auch die mentale vorbeugende Arbeit, wie er sie zu tun gewohnt war. Bei dieser Arbeit kamen ihm die sieben Synonyme zu Hilfe, die Mrs. Eddy für die Gottheit gegeben hat: Liebe, Leben, Wahrheit, Gemüt, Seele, Geist, Prinzip. So sah er anstelle der Tragflächen des Flugzeuges nur die Schwingen der Liebe, die niemals brechen; die Motore versinnbildlichten für ihn das Leben, als ewig harmonische, ununterbrochene, pulsierende Gegenwart; Wahrheit entfaltete ihm die Botschaft, die er zu empfangen, wie auch zu bringen hatte; er sah Gemüt in der tragenden Kraft und Intelligenz ausgedrückt und in den Höhen und Tiefen und der unendlichen Weite; Seele offenbarte sich dem Verfasser in der Freude, Schönheit, Erhabenheit und Majestät des Fluges; Geist wurde für ihn durch Gegenwart, durch die Überwindung von Raum und Zeit symbolisiert; Prinzip sah er in Ordnung, in Präzision ausgedrückt. Diese Entfaltung der Wahrheit war von einem Gefühl tiefen Friedens, von einem Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit begleitet und machte jeden Flug zu einer wahren Freude.
Bei dem letzten der fünf Langstreckenflüge mußte der Atlantische Ozean überquert werden. Als sich das Flugzeug bereits 75 Meilen in fünftausend Meter Höhe über dem Ozean befand, war der Pilot gezwungen, das Flugzeug wegen eines Motorendefektes schnell abgleiten zu lassen, um es in geringer Höhe zum Startplatz zurückzubringen. Der Motorenschaden hatte sich bereits so weit ausgewirkt, daß die Führerkabine mit Rauch erfüllt war und der Pilot und seine Mitarbeiter mit Sauerstoffmasken arbeiteten. Vom ersten Augenblick an hatte der Verfasser die Situation erkannt und konnte so wieder seine spezielle Arbeit tun. Das Flugzeug erreichte wohlbehalten das Rollfeld der Ausgangsstation. Die menschlichen Maßnahmen, die man zur Verhütung eines Brandes vorgesehen hatte, brauchten nicht in Aktion zu treten, denn die Engel Seiner Gegenwart hatten einem Unglück vorgebeugt.
Ob es sich darum handelt, eine Kriegspsychose in Schranken zu halten oder die Wirkungen einer sogenannten schlechten Ernte abzuwenden, der Massensuggestion von Krankheit und Epidemie zu steuern oder einer Krisis im Wirtschaftsleben Einhalt zu gebieten — immer ist der Christliche Wissenschafter in der glücklichen Lage, durch sein Verständnis von der Herrschaft der göttlichen Liebe in sich selbst die Furcht zu überwinden und so der gesamten Menschheit unschätzbare Dienste zu leisten. Ein solcher Christlicher Wissenschafter ist stets auf der Hut und wachsam, denn Vorbeugung und Wachsamkeit gehen Hand in Hand. Mrs. Eddy sagt in „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 232): „In dem geweihten Heiligtum der Wahrheit ertönen Stimmen von ernster Bedeutung, aber wir achten ihrer nicht.“ Als Jesus am Ende seiner Laufbahn noch einmal von den Leiden sprach, die jene Zeit über seine Landsleute bringen würde, erhob er mahnend seine Stimme mit den Worten (Matth. 23:27): „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt.“ Mögen wir in unserem Leben stets bemüht sein, die mahnende Stimme der Weisheit und Liebe nicht zu überhören!
Je reiner und selbstloser unser Leben ist, desto wirksamer werden wir die vorbeugende Kunst der Christlichen Wissenschaft anwenden. Die Bergpredigt wurde von Jesu großer Liebe zur Menschheit diktiert, und sie veranschaulicht die wahre Kunst der Vorbeugung. Wenn immer das menschliche Herz fragt, wie es in dieser oder jener Lebenslage einem Übel am besten vorbeugen könne, gibt die Bergpredigt in ihrer Fülle und Einfalt eine klare Antwort.
Wie Jesu Bergpredigt, so geben uns auch das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft und Mrs. Eddys andere Schriften die Mittel an die Hand, allem Bösen vorzubeugen; es steht bei uns, diese Mittel richtig zu gebrauchen. Können wir nicht in Dankbarkeit frohlocken, daß wir durch unsere vorbeugende und heilende Arbeit fähig sind, Mrs. Eddys Demonstration fortzuführen, deren Ziel die Erlösung der Menschheit ist?