Von der Sonntagsschullehrerin einer Zweigkirche
Meine Klasse von sechs lebhaften Jungen war eines Sonntagmorgens in großer Aufregung. Ihr ungewöhnliches Interesse galt etwas, das der zuletzt Angekommene ihnen unter dem Tisch zeigte. In einem solchen Augenblick muß der Lehrer, auf dessen Anpassungsfähigkeit es nun ankommt, sein Denken von dem vorher ausgearbeiteten Unterrichtsstoff abwenden, um das Interesse der Kinder so schnell wie möglich auf die Lektion des Sonntags zu lenken, wie sie in dem Christlich-Wissenschaftlichen Vierteljahrsheft gegeben ist.
Obwohl ich wie gewöhnlich meinen Unterricht sehr sorgfältig vorbereitet hatte — unter Benutzung der Konkordanzen, eines biblischen Geschichtswerkes und eines Bibellexikons — wandte ich mich doch von jeglicher Vorbereitung ab und bat die Kinder, das, was sie so interessierte, auf den Tisch zu legen, so daß auch ich es sehen könne. Zu meiner großen Überraschung fand ich, daß es „Knöpfe“ waren, wie sie es nannten, die Klappern oder rasselnden Hornschuppen einer Klapperschlange. Während ich still auf sie blickte, bat ich den liebenden Vater, mir doch gerade die rechten Worte einzugeben. Dann sagte ich lächelnd: „Laßt uns nun die, Knöpfe‘ beiseite legen und über Schlangen sprechen“. Kein Zweifel, das war ein Thema, das sie interessierte.
Zuerst redeten wir von der sprechenden Schlange im Garten Eden, die die falschen Argumente des sterblichen Gemüts darstellt. Dann sprachen wir über Moses, der anfangs in Angst vor der Schlange floh, dann aber auf das Geheiß der Weisheit hin die Schlange beim Schwanz packte und seine Furcht überwand. Aus diesen Erörterungen lernten die Schüler eine wertvolle Lektion über das Überwinden der Furcht. Wir sprachen auch kurz über Jesu Ermahnung an seine Jünger und über deren Nutzanwendung für seine heutigen Nachfolger (Matth. 10:16): „Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“. Inzwischen waren die Klappern vergessen und die Schüler waren eifrig mit den Fragen und Antworten der Lektionspredigt jenes Sonntags beschäftigt.
Viele Jahre später sagte einmal einer dieser Jungen zu mir: „Ich habe niemals unsere Diskussion in der Sonntagsschule über das Überwinden der Furcht vergessen, an dem Sonntag, als wir die, Knöpfe‘ bei uns hatten. Wissen Sie noch?“ Ja, gewiß erinnerte ich mich noch daran. Mir hatte diese Erfahrung den Wert der Anpassungsfähigkeit eines Lehrers beim Unterrichten gezeigt, die Notwendigkeit eines vertrauensvollen und ruhigen Denkens und die Tatsache, daß eine gewissenhafte Vorbereitung niemals umsonst getan ist, selbst wenn sie im Augenblick zurückgestellt werden muß. Denn man weiß nie, wann sie vielleicht später einmal bei einem besonderen Fall Anwendung findet.
Der Sonntagsschullehrer muß sich bewußt sein, daß die Stunde der Sonntagsschule miteingeschlossen ist in die liebende Versicherung, die unsere Führerin Mary Baker Eddy uns in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 494) gibt: „Die göttliche Liebe hat immer jede menschliche Notdurft gestillt und wird sie immer stillen“. Die göttliche Liebe wird nicht nur den Bedarf des Schülers, sondern auch den des Lehrers decken. Wenn aber der Lehrer starr an dem zuvor ausgearbeiteten Unterrichtsplan festhält, wie kann er dann in einem schwierigen Moment die Antwort auf sein Gebet vernehmen?
Von einem anderen Lehrer der Sonntagsschule einer Zweigkirche
In meiner Sonntagsschularbeit finde ich es zuweilen notwendig, mich sofort mit den sterblichen kindischen Annahmen zu befassen, die den Unterricht zu stören drohen. Ich habe gelernt, daß ich sie in dem Maße schnell überwinde, wie ich die Kinder nicht etwa erschreckt als eine Gruppe überlebhafter, kleiner Sterblicher ansehe, die ich zähmen muß, sondern wachsam die ansprechende und heilende Wahrheit so an sie herantrage, daß sie das Nebeninteresse verdrängt. In dieser Weise überwindet die unsterbliche Wahrheit die sterblichen Neigungen. Wenn es z. B. gerade das Ideal eines kleinen Jungen ist, Cowboy zu werden, so betone ich die Intelligenz, Pünktlichkeit, Geschicklichkeit und Fürsorge für die Herde und auch andere gute Eigenschaften, die ein Cowboy ausdrücken muß, bis das Denken sich aufwärts zu dem Urquell aller guten Eigenschaften richtet. Wenn ein kleines Mädchen so entzückt von ihrem neuen Kleid in die Klasse kommt, daß alels nur noch aus Eitelkeit zu bestehen scheint, dann benutze ich die Gelegenheit, die Schülerin an die Liebe ihrer Mutter zu erinnern, die das Kleidchen anfertigte, oder an die Liebe ihres Vaters, der es ihr kaufte; dann weise ich auf das fünfte Gebot hin, das die Forderung enthält, daß wir unsere irdischen Eltern ehren, und von da gehe ich zu dem Ersten Gebot über (2. Mose 20:3): „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“.
Würde ich einfach Cowboys und hübsche Kleider und andere Entzücken der Kindheit aus dem Unterricht verbannen als Dinge, die nicht in die Sonntagsschule gehören, so könnten die Schüler den Eindruck gewinnen, daß sie beim Betreten der Klasse ihre Spezialinteressen draußen lassen müssen; und die Lektionen der Sonntagsschule könnten ihnen so als von ihrem täglichen Leben getrennt erscheinen. Wenn sie jedoch sofort dazu angeregt werden, die sterbliche Vorstellung von einer Sache durch die Wahrheit darüber zu ersetzen, dann wird das wissenschaftliche Erfassen jeder Phase des täglichen Lebens ganz natürlich, ja selbst für unsere kleinsten Schüler, die in dieser Weise die praktische Anwendung der Christlichen Wissenschaft Schritt für Schritt erlernen. In seinem wahren Sein ist jedes Kind die Widerspiegelung der Liebe, die immer gegenwärtig ist. Es ist unser gesegnetes Vorrecht als Lehrer, selbst zu erwachen und den Lehren der Christlichen Wissenschaft gemäß jedes Kind zu dieser Wahrheit zu erwecken.
In dem Maße, wie der Christus, die Wahrheit, das Denken des Lehrers erfüllt, wird dieser die Aufmerksamkeit und das Interesse der Schüler von ihren eigenen Angelegenheiten ablenken können. Diese Behauptung bewahrheitete sich mir in meiner eigenen Erfahrung, als ich einmal eine Stunde vor Beginn der Sonntagsschule einen Sturz erlitt und dann zwar zur rechten Zeit in der Sonntagsschule erschien, aber mit einer Schnittwunde an der Oberlippe, die unter medizinischer Behandlung wahrscheinlich genäht worden wäre. Die Kinder starrten mich an.
Mit der Unbefangenheit eines Fünfjährigen fragte ein kleiner Junge: „Was haben Sie denn am Mund?“ Ich machte keinen Versuch, die Kinder dazu zu bringen, diesen scheinbar vorhandenen Zustand unbeachtet zu lassen, sondern fragte einfach: „Wißt Ihr, was Jesus getan hätte, wenn ihm ein solches Bild des Irrtums begegnet wäre?“ Ernst schüttelten sie die Köpfe; sie wußten es nicht. Ich sagte: „Jesus würde das vollkommene Kind Gottes gerade da gesehen haben, wo solch ein Bild des Irrtums zu sein schien, und er würde es so klar gesehen haben, daß dem sofort eine Heilung gefolgt wäre.“ Das befriedigte die Kinder und löste ihre Spannung, so daß wir zur Lektion des Sonntags übergingen. Als ich nach Hause kam, fand ich, daß die klaffende Wunde an meiner Lippe sich tadellos geschlossen hatte — ein Resultat davon, daß Lehrer und Schüler sich die göttliche Liebe und deren immer-gegenwärtige Kundwerdung vergegenwärtigt hatten.
In „Miscellaneous Writings“ (Vermischte Schriften, S. 117) schreibt unsere Führerin: „Ich stimme Rev. Dr. Talmage bei, daß bei, Gottes Volk Witz, Humor und unverwüstliche Heiterkeit herrschen‘.“ Diese Eigenschaften lassen sich durchaus mit heiliger Arbeit vereinbaren, denn Frohsinn ist eine Eigenschaft des wahren Seins. Ich habe verstehen gelernt, wie notwendig es ist, so viele freudige Eigenschaften der Liebe in meine Klasse zu bringen, daß ihre Anziehungen den Schülern die Lokkungen des sterblichen Gemüts aufwiegen. In dem Maße, wie es mir gelingt, meinem Lehren die göttliche Färbung und den Reiz dieser Eigenschaften zu verleihen, ist Aufmerksamkeit vorhanden; und in gewissem Grade sind die Kinder dann fähig, den „alten Menschen“ abzulegen und den „neuen Menschen“ anzuziehen, wie Paulus es beschreibt. Wenn diese Umwandlung durch den wiederholten Nachdruck, den der Unterricht in der Sonntagsschule ihr gibt, zur Gewohnheit wird, dann werden Schüler und Lehrer immer mehr ihr wahres Sein als die Widerspiegelung Gottes verstehen lernen.