Der Jahreswechsel ist eine Zeit des In-sich-Gehens, des Beginnens einer neuen Seite, wie man zu sagen pflegt — der guten Absichten und des erneuten Strebens nach eigener Vervollkommnung. Der Punkt, den die Christliche Wissenschaft besonders betont bei diesem Bestreben, ist die Notwendigkeit, die wirkliche, geistige Individualität als Gottes Ebenbild zu demonstrieren. Dies erfordert nicht nur den Ausdruck geistiger Gedankeneigenschaften, sondern auch rechte Betätigung — jene Tätigkeit, die wahre Charaktereigenschaften in richtiger Weise anwendet, um sie in höchstmöglichem Maße nutzbar zu machen.
Zeit und Ewigkeit stimmen überein, wenn man lernt, seine ewige Individualität in seiner zeitlichen menschlichen Erfahrung zum Ausdruck zu bringen. Auf Seite 70 ihres Werkes „Rückblick und Einblick“ spricht Mary Baker Eddy von dem individuellen Platz, den die Jungfrau Maria einnahm, dem Platz, den Christus Jesus in seiner individuellen Aufgabe ausfüllte, sowie von dem Platz, den sie selbst als Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft einnimmt. Sie führt ihre Schlußfolgerungen weiter aus, bis zu dem Punkt, wo sie die ganze Menschheit miteinbezieht, indem sie sagt: „Jeder einzelne muß in Zeit und Ewigkeit seinen eigenen Platz ausfüllen.“ Ein ehrliches Erforschen des eigenen Denkens, um zu ergründen, ob man wirklich sein Bestes leistet und hier seine individuelle Tätigkeit in der Ewigkeit demonstriert, ist eine nutzbringende Beschäftigung für den Neujahrstag.
Da die körperlichen Sinne das menschliche Wesen zu beherrschen scheinen, tragen die Menschen im allgemeinen so viel Sorge um die Materie, die den Begriff von Substanz darstellt, den diese Sinne hegen. Die Materie erscheint einem in dem Maße wichtig, wie man sich von den körperlichen Sinnen beherrschen läßt. Doch die Christliche Wissenschaft lenkt das Denken der Menschen hinweg von den körperlichen Sinnen und ihrem Bewußtsein der Materie und auf die Erkenntnis des Geistes als Alles-in-allem und folglich als der einzig wahren Substanz. Sie offenbart den Menschen als das individuelle Bewußtsein des Geistes und nicht der Materie. Sie enthüllt unsere wirkliche, ewige Betätigung als die eine besondere Tätigkeit in der Widerspiegelung des Geistes von sich selber — vom Guten. Dies Abwenden von der Materie und Hinwenden zu Gott vergeistigt nicht nur das Denken, sondern es verleiht dem Menschen eine klarer definierte Individualität und rechte Betätigung in seiner gegenwärtigen Erfahrung.
Im Reich Gottes handelt jede Gottesidee immerdar im vollsten Maße gemäß ihrer geistigen Nützlichkeit, Fähigkeit und Möglichkeit. Nur die göttliche Liebe konnte ein Universum nach solch einem Muster der Vollkommenheit schaffen. Im Reich der Liebe gibt es keinen Wettstreit um Platz und Macht, denn jede Idee hat ihren eigenen Platz in der Ewigkeit auszufüllen. Ein jeder, der seine Tätigkeit im wirklichen Universum versteht, wird gewiß dazu geleitet werden, das zu tun, was er am meisten zu tun wünscht und wofür er am besten geeignet ist in seinem gegenwärtigen Daseinszustand. Er erkennt die Unwirklichkeit der Rivalität, sowie der Rachsucht und des Bösen, welche die Folgen dieser negativen Einstellung sind, und er fühlt keine Neigung, sich solchen Irrtümern hinzugeben.
In der Wissenschaft der Musik hat jede Note ihren Platz im Tonsystem, um, ohne jemals mit den anderen Noten in Konflikt zu geraten, vielmehr in Übereinstimmung mit den anderen die Schönheit und Harmonie der Wissenschaft, die sie alle repräsentieren, zum Ausdruck zu bringen. Die gleiche Ordnung ist in der göttlichen Wissenschaft zu finden, in der die Individualität der Ideen ewiglich bewahrt bleibt und ihr individuelles Wirken in all seiner Besonderheit fortdauert, selbst wenn sie sich alle miteinander verbinden in dem unermeßlichen Ausdruck der göttlichen Harmonie. Mrs. Eddy sagt in ihrem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 217): „Es ist unmöglich, daß der Mensch durch das Verständnis, welches die Wissenschaft verleiht, seine Identität verliert; und die Vorstellung einer solchen Möglichkeit wäre noch sinnwidriger als die Folgerung, daß die individuellen musikalischen Töne in der Quelle der Harmonie verloren gehen.“
Eine Zunahme an Gutem durch die Demonstration der wahren Selbstheit wird niemals ein Aufgehen — ein Sich-Verlieren — in der Gottheit zur Folge haben, sondern vielmehr eine Klärung der Individualität als Widerspiegelung Gottes. Als Christus Jesus bei der Himmelfahrt den menschlichen Sinnen entschwand, so bedeutete das nicht, daß seine individuelle Selbstheit in der Gottheit verschwunden war, wie die Wellen im Meer verschwinden, sondern daß er sich über die begrenzte Auffassung der körperlichen Sinne erhoben hatte, die den Menschen als Materie statt als Gottesidee definieren.
Christus Jesus selbst sagte (Matth. 28:20): „Siehe, ich bin bei euch alle Tage.“ Und seine Mission erklärend, bemerkte er: (Joh. 6:40): „Das ist der Wille des, der mich gesandt hat, daß, wer den Sohn sieht und glaubt an ihn, habe das ewige Leben; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.“ Durch Christus, die Wahrheit, findet „jedermann“ — jedes Einzelwesen — seinen ewigen Platz. Gutheit allein definiert den Menschen und erklärt seine Selbstheit als todlos.
Die Lehren des Wegweisers und der Christlichen Wissenschaft stehen daher in scharfem Gegensatz zu gewissen orientalischen Systemen, welche ihre Anhänger veranlassen, nach der Zerstörung der individuellen Lebensflamme zu streben. Nicht die Vernichtung des Selbst, sondern das Aufgeben des falschen, materiellen Begriffs vom Selbst ist das Ziel des wissenschaftlichen Christentums. Diese Art der Selbstaufopferung bereichert den menschlichen Charakter und das menschliche Leben und macht diejenigen, die sie üben, nützlicher — und besonders nützlicher in höherer geistiger Art. Der Meister bezog sich wahrscheinlich auf solch eine Bereicherung, als er sagte (Joh. 12:24, 25): „Es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt's allein; wo es aber erstirbt, so bringt der wird's verlieren; und wer sein liebhat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt haßt, der wird's erhalten zum ewigen Leben.“
All diese Lehren haben einen praktischen Einfluß auf unseren Erfolg beim Demonstrieren unseres Platzes, unserer Stelle im täglichen Leben. Einen wahren Begriff vom Selbst und seiner unsterblichen, nutzbringenden Wirksamkeit in der Widerspiegelung des ewigen Lebens zu erlangen, ist die Inspiration des Christlichen Wissenschafters. Uns bewußt zu sein, daß wir des Menschen Verbundenheit mit Gott beweisen, daß wir beständig vom Geist regiert werden, daß wir die vollen Kräfte der Intelligenz und der Liebe in unserem gegenwärtigen Verstehen dieser Eigenschaften benutzen, ist wohl alles, was wir zur Zeit tun können. Doch das zu tun, bedeutet, daß wir gewißlich zu der nächsten Stufe hinstreben, die immer eine Erhöhung intelligenter Fähigkeiten, eine weitere Ausdehnung der Nützlichkeit, ein Nachlassen der Sünde und ein Erfassen von der Unwirklichkeit der Materie in sich schließt.
Mrs. Eddy erklärt das Ergebnis eines solchen Fortschritts in „Wissenschaft und Gesundheit“, wenn sie sagt (S. 265): „Diese wissenschaftliche Auffassung vom Sein, welche die Materie für Geist aufgibt, deutet keineswegs darauf hin, daß der Mensch in der Gottheit aufgeht und seine Identität einbüßt, sondern diese Auffassung verleiht dem Menschen eine erweiterte Individualität, eine umfangreichere Sphäre des Gedankens und der Tätigkeit, eine umfassendere Liebe, einen höheren und dauernderen Frieden.“ Beim Fortschritt im Verstehen der wahren Individualität findet der Wissenschafter jene Befriedigung und jenen Frieden, die sich nur daraus ergeben, daß man seinen Platz in der Zeit ausfüllt, indem man seine nutzbringende Wirksamkeit in der Ewigkeit demonstriert.