In dem Maße wie jemand ein größeres Verständnis von der Christlichen Wissenschaft erlangt, findet er ein lebhaftes, neues Interesse am Gebet, durch seine Erkenntnis, daß dieses sowohl ein wissenschaftlicher wie auch ein religiöser Vorgang ist. Wieviel das Gebet ihm auch vorher bedeutet haben mag, es bedeutet ihm noch mehr, wenn er erkennt, daß es ebenso wie das Drehen des Abstimmknopfes am Rundfunkgerät und manch andere menschliche Handlung auf bekannten Bedingungen beruht, und daß es definitiv in seiner Methode und gewiß in seinen Ergebnissen sein kann. Er sieht natürlich ein, daß seine Reichweite bei weitem über alle materielle Vorgehen hinausgeht, und daß es zusammen mit der Wirkung, die natürlich damit verbunden ist, alles erreichen kann, das erreicht werden muß. Auch wird er durch die Erkenntnis ermutigt, daß das einzige Erfordernis für seine Wirksamkeit die Überzeugung von der Wahrheit ist, auf die es sich gründet.
Der Anhänger der Christlichen Wissenschaft wird sehr bald verstehen, daß dies gerade ist, was Christus Jesus uns über das Gebet lehrte; doch er sieht die Lehren des Meisters in einem neuen Licht, wenn er anfängt, sie als wissenschaftlich zu erkennen. Dies sind die Worte Jesu (Mark. 11:23, 24): „Wahrlich, ich sage euch: Wer zu diesem Berge spräche: Hebe dich und wirf dich ins Meer! und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, daß es geschehen würde, was er sagt, so wird's ihm geschehen, was er sagt. Darum sage ich euch: Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubet nur, daß ihr's empfangen werdet, so wird's euch werden.“
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft sagt: „Jesus von Nazareth war der wissenschaftlichste Mensch, der je auf Erden gewandelt ist“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 313). Welche Wichtigkeit sie seinen obenerwähnten Worten beimaß, ist aus der Tatsache zu ersehen, daß sie dieselben an den Anfang des ersten Kapitels ihres Hauptwerkes „Wissenschaft und Gesundheit“ setzte. Dann unternimmt sie es, den vollkommen vernunftgemäßen und anwendbaren Charakter dieser Lehre darzulegen. Ihre Erklärung ist zugleich tiefschürfend und einfach. Sie fordert das Sinnenzeugnis heraus, wie es geschehen muß, selbst im Licht der modernen Physik; doch sie geht über die Physik hinaus, indem sie zeigt, daß dieses Sinnenzeugnis nicht nur unrichtig ist, sondern illusorisch und unwirklich, da es nur Hinweise auf die Wirklichkeit liefert.
In der Christlichen Wissenschaft wird Gott, das regierende Prinzip alles Bestehenden, als das unendliche Gute verstanden, als vollkommene und unbegrenzte Intelligenz, als Leben und Liebe, und der Mensch und das Universum als der unmittelbare und unbeschränkte Ausdruck des göttlichen Wesens. Aus diesen Tatsachen geht hervor, daß solche Erscheinungen wie ein Berg, der versetzt werden muß, oder irgend etwas, das nicht an seinem rechten Platz oder irgendwie in Unordnung ist — daß all dies nicht das ist, was es zu sein scheint. Es ist nicht substantiell, wie es erscheint, sondern ein falsches Gedankenbild, eine Illusion, die nur von den unzuverlässigen materiellen Sinnen unterstützt wird. Was ist erforderlich für die Berichtigung solch einer Falschheit? Die Christliche Wissenschaft legt dar, daß es die Erkenntnis der Wahrheit ist — der Wahrheit von der Gegenwart und Macht Gottes und von Seiner absoluten Regierung alles dessen, worum es sich handelt. Die Erfahrung zeigt, daß in dem Maße, wie die Erkenntnis dieser Tatsache durch das Gebet erlangt wird, die unharmonische oder unbefriedigende Lage, die zu existieren schien, dem Zeugnis der göttlichen Wirklichkeit weicht; und wenn menschliche Schritte notwendig sind, um dies zu erreichen, kann das Gebet offenbaren, was sie sein sollten, und in vollstem Maße die Ausführung derselben erleichtern. Das ist es, was bei dem heilenden und erlösenden Werk der Christlichen Wissenschaft geschieht — ebenso wie zu Zeiten Jesu.
Die Christlichen Wissenschafter behaupten keineswegs, daß sie schon die ganzen Möglichkeiten solch eines Gebets erfüllt haben. Was sie jedoch von seinen Ergebnissen gesehen haben, versichert sie über alle Zweifel hinaus seiner Rechtmäßigkeit und seiner weitgehenden Möglichkeiten. Sie haben gesehen, wie es jede Art Krankheit heilte, oft wenn es keine Hoffnung auf eine Heilung durch andere Methoden mehr gab. Sie haben gesehen, daß es Kummer und Mangel überwand, gar oft wenn diese ebenfalls hoffnungslos schienen. Sie haben gesehen, wie es menschliche Beziehungen harmonischer machte, wie es unerwartete Fähigkeiten und Gelegenheiten aufdeckte, für Einzelmenschen sowohl wie für Gruppen, wie es notwendige Führung brachte, sowie auch die notwendigen Lösungen auf den verschiedensten Forschungsgebieten, wenn nichts als Hindernisse sich aufzutürmen schienen, und wie zahllosen Menschen, die mit anderen Formen persönlicher und beruflicher Probleme rangen, neue Wege geöffnet wurden. Sie haben gesehen, daß solches Gebet nicht nur eine gelegentliche Hilfe war, sondern zuverlässig hilfreich zu allen Zeiten und in all ihren Angelegenheiten.
Der Christliche Wissenschafter erkennt, was solch ein Gebet in sich schließt, es bedeutet ein Auf tun des Denkens für die geistigen Tatsachen. Dadurch erkennt er und erlangt er Schritt für Schritt den Beweis, daß er sowohl wie diejenigen, mit denen er verbunden ist, und seine Umwelt im allgemeinen nicht begrenzt sind, wie es den Anschein hat, sondern daß sie in vollkommener Weise die Natur Gottes bekunden.
Wenn der Christliche Wissenschafter beobachtet hat, was solches Gebet vollbringen kann, dann wird natürlich sein größtes Bestreben sein, es in vollerem Maße zu meistern. Und er weiß, daß die Hauptforderungen hierfür eine bessere Kenntnis der geistigen Wahrheit, ein noch volleres Verständnis derselben und ein festeres Vertrauen auf sie sind.
Der französische Flieger und Schriftsteller Saint Exupery erzählt von Eingeborenen aus der Sahara, die vor einigen Jahren als Gäste einer Fluggesellschaft nach Frankreich und dem Senegal gebracht wurden. Diese Menschen hatten immer in kleinen Wüstendörfern gelebt. Sie hatten niemals gewußt, was es war, genug Wasser zu haben, hatten niemals einen Fluß, eine Rose oder einen Baum gesehen; und sie konnten sich nicht gleich dem Neuen in anderen Ländern anpassen. Manche weinten vor Freude, als sie zum ersten Mal einen Wald sahen. Drei von ihnen, die nach Frankreich kamen, zeigten ein gewisses Interesse für den Fernsprecher, für die Drähte, die Stimmen übertrugen; doch sie hatten kein Interesse für den Rundfunk. Dieser ging offenbar zu weit über ihre Erfahrung hinaus. In den französischen Alpen sahen sie ihren ersten Wasserfall, eine große verstrickte Wassersäule, die über einen Berghang herabstürzte. Sie kosteten von ihm, um sich zu vergewissern, daß es wirklich Wasser war, und standen dann lange still davor und schauten ihn an. Als der Führer weitergehen wollte, wünschten sie noch dazubleiben und zu warten. „Worauf warten?“ fragte er.
Die Antwort war: „Auf das Ende!“
Die Christlichen Wissenschafter verstehen, daß das, wessen die Menschheit am meisten bedarf, ein Verständnis des Guten ist, in seinem wahren Charakter — das Verständnis, daß das Gute nicht abwesend oder begrenzt sein kann, daß es weder beginnen noch enden kann in irgendeiner seiner Bekundungen, daß es vielmehr unendlich ist, immer gegenwärtig, und daß es immer vollkommen widergespiegelt wird in der wahren Selbstheit eines jeden von uns und in allem Sein. Denn die Christliche Wissenschaft zeigt, daß gemäß den Lehren Jesu das Gute Gott ist.
Um ihr eigenes Verständnis und ihr Vertrauen auf die göttliche Wirklichkeit und ihre Kenntnis derselben zu fördern, fahren die Christlichen Wissenschafter fort mit ihrem ernsten Studium der Bibel und der Schriften Mrs. Eddys; denn in diesen Büchern werden die geistigen Tatsachen und die Mittel und Wege, sie zu begreifen und zu demonstrieren, in vollem Maße dargelegt. Sie erkennen, daß die Hauptsache immer ist, die Wahrheit zu wissen und sie bewußt in ihrem Denken und Leben zum Ausdruck zu bringen; und sie wissen wohl, daß das beständige Wachsamkeit bedeutet gegen gewisse Formen menschlichen Denkens, die ihren Begriff des Guten verfinstern oder begrenzen könnten — im besondern solche Formen, die allgemein angenommen worden sind, und die aus dem Grunde besonders überzeugend wirken. Anhänger der Christlichen Wissenschaft, die erhöhte Wirksamkeit ihrer Gebete anstreben, haben sie oft durch diese Art Wachsamkeit erlangt.
Drei Formen des gegenwärtigen allgemeinen Denkens, die besondere Gelegenheiten für solche Wachsamkeit bieten mögen, können hier kurz erwähnt werden.
Eine derselben ist die beständige Darstellung durch die verschiedenen Mittel des modernen Werbewesens und mit Hilfe aller verschiedenen Kunstformen, daß Befriedigung in materiellen Dingen gefunden werden kann. Der Christliche Wissenschafter weiß, daß er, wenn er diese Suggestion annähme und um materielle Dinge und Zustände betete, sein Gebet nur begrenzen und in die unrechte Richtung aussenden würde; er würde um zu wenig beten und in der falschen Weise. Er weiß auch, daß, wenn er geistig recht orientiert bleibt und sein Gebet eine rückhaltlose, dankbare Annerkennung dessen ist, was er wirklich durch seine Beziehung zu Gott empfängt — nämlich vollkommene und unbegrenzte Intelligenz, Leben und Liebe — er den nötigen Beweis all dieser Dinge erfahren kann, und zugleich damit auch all die Dinge, die er menschlich benötigt, einschließlich einer Befriedigung, die in keiner anderen Weise erlangt werden kann.
So kann er auch durch Wachsamkeit in Beziehung auf gewisse Gedankenrichtungen über Krankheit gesegnet werden. In dem Bemühen, Krankheiten durch materielle Mittel zu bekämpfen und allgemeine Unterstützung für diese Zwecke zu erlangen, wird eine Krankheit nach der anderen von den entsprechenden Gruppen in die Öffentlichkeit gezogen. Der Christliche Wissenschafter würdigt die menschenfreundliche Absicht dieser Kreuzzüge und die Hingebung derer, die dabei mitwirken. Doch er hilft sich selbst und anderen mehr, einschließlich derer, die in diese Kreuzzüge verwickelt sind, wenn er sein eigenes Denken klar erhält. Indem er an seinem Verständnis festhält, daß die Krankheit in keinem Fall etwas anderes ist als ein falsches und unwirkliches Gedankenbild, das wissenschaftlich durch die Wahrheit geheilt werden muß, und daß die Linderung des Leidens durch materielle Mittel nur dem Glauben an solche Mittel zuzuschreiben ist, sowie dem entsprechenden Nachlassen der Furcht, wenn die Mittel angewandt werden, stärkt er sein Vertrauen auf die geistige Wahrheit und fördert so die Wirksamkeit seiner Gebete.
Der Wissenschafter kann ebenfalls dadurch gesegnet werden, daß er wachsam das gegenwärtige menschliche Denken hinsichtlich der Natur der Materie, besonders der atomischen Kraft, beobachtet. Mrs. Eddy zeigt, daß alle materiellen Erscheinungen nichts anderes als falsche Auffassungen der materiellen Sinne und falsche Darstellungen der geistigen Tatsachen sind. So schreibt sie in ihrer Definition von „Elias“, daß er „die Christliche Wissenschaft“ darstellt, „durch welche die geistige Tatsache von allem, was die materiellen Sinne erblicken, erkannt werden kann“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 585). Doch was ist die Tatsache, die durch die atomische Kraft falsch dargestellt wird, wie sie materiell in Erscheinung tritt? Offenbar ist sie in der Christlichen Wissenschaft die unbegrenzte, immer gegenwärtige und vollkommen segensreiche Macht Gottes. Der Christliche Wissenschafter versteht, daß die wahre Schutzwehr der Nation auf dem Verständnis dieser großen Wahrheit beruht, ebenso wie der wahre Sieg über jedwede Erscheinung zerstörerischer Kraft. Denn in Übereinstimmung mit der universellen Regel der Christlichen Wissenschaft bringt die Vergegenwärtigung der geistigen Wahrheit ihren eigenen Beweis mit sich, einschließlich der notwendigen Hilfe bei dem Erkennen und dem Treffen der menschlichen Maßnahmen, die erforderlich sein mögen.
Folglich erhält der Christliche Wissenschafter in seinen Gebeten ohne Wanken die große Tatsache von der Gegenwart, Macht und Allheit Gottes aufrecht. Er erkennt, daß er und alle Menschen in vollstem Ausmaße alles empfangen, was Gott uns geben kann, und daß sie nichts anderes empfangen. So hilft er sich selbst und anderen in wissenschaftlicher Weise und nähert sich dem vollen Beweis der göttlichen Wirklichkeit, auf den Jesus hinwies, als er sagte (Joh. 15:7): „So ihr in mir bleibet und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.“