Das Amt eines Lesers in einer christlich-wissenschaftlichen Kirche ist ein heiliges Amt und erfordert Hingabe, selbstlose Liebe, Weisheit und vor allem anderen ein Verständnis der im Johannes-Evangelium aufgezeichneten Worte Jesu Christi (8:28): „[Ich tue] nichts von mir selber ..., sondern, wie mich mein Vater gelehrt hat, so rede ich.“ Als Diener Gottes und unter Seinem Befehl, sollte der Leser vor allem anderen danach trachten, Ihm zu gefallen; dann sollte er das Wort der Wahrheit so klar und freudig verkünden, daß nicht der, der die Botschaft verkündet, sondern die Botschaft selbst im Denken des Zuhörers haften bleibt.
Wenn die Kirchenmitglieder der Sache der Christlichen Wissenschaft und ihrer Entdekkerin und Gründerin Mary Baker Eddy treu sind, so wird die Ernennung oder Wahl eines Mitglieds in das Amt des Lesers nicht eine Sache persönlicher Beliebtheit sein.
In der Frühzeit der Entfaltung dieser Religion was es üblich, ebenso wie in gewöhnlichen orthodoxen Kirchen eine Predigt über ein aktuelles Thema zu halten. Man fand jedoch, daß viele der Predigten, die über die Christliche Wissenschaft von ihren Anhängern gehalten wurden, von anderen allgemeinen theologischen Begriffen durchdrungen waren. Nachdem Mrs. Eddy um weitere Führung, ihre Entdeckung in ihrer ursprünglichen Reinheit zu schützen, gebetet hatte, wurde sie dazu geführt, die Bibel und ihr Buch, „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ als unsere einzigen Prediger einzusetzen (siehe: Handbuch Der Mutterkirche von Mrs. Eddy, Art. XIV, Abschn. 1).
Der Abschnitt „Wählbarkeit“ im Handbuch (Art. II, Abschn. 2) bezieht sich auf die Leser Der Mutterkirche; und die Anweisungen sind kurz und einfach. Sie lauten: „Die Vorstandsmitglieder sollen verständliche Leser wählen, die musterhafte Christen und gründliche Kenner der englischen Sprache sind.“ Diese auf Leser bezüglichen Anweisungen sollten auch von Zweigkirchen so genau wie möglich befolgt werden.
In „Wir kannten Mary Baker Eddy — Erste Serie“ wird berichtet, daß einst, als Mrs. Eddy ihrer Gewohnheit gemäß eines Morgens mit den Mitgliedern ihres Haushalts sprach, sich eine Erörterung mit Bezug auf Leser ergab. Ein Mitglied der kleinen Gruppe bat Mrs. Eddy, ihnen die Worte ihres Gedichtes „Weide meine Schafe“ vorzulesen. Sie willigte ein, und jemand, der das Vorrecht hatte, anwesend zu sein, schrieb später (S. 15): „Als sie ehrfurchtsvoll mit den Worten, Hirte, wasch sie rein‘ schloß, hatten wir das Gefühl, eine Taufe des Geistes erlebt zu haben und von viel persönlichem Sinn, Befangenheit und Furcht gereinigt zu sein.“
Diese Worte mögen sich jedem Leser als eine Hilfe erweisen, eine Führung zu dem Gebet, daß er ebenfalls „von viel persönlichem Sinn, Befangenheit und Furcht gereinigt“ werden möge. Wenn jemand Gott-bewußt ist, dann kann der Irrtum, befangen zu werden, sobald man sich in einem Raum oder einer Halle vor Zuhörern befindet, den Leser nicht zu Fehlern in Aussprache oder Vortrag verleiten. die gelegentlich durch Eifer ohne Wissen zustande kommen. Wenn der Leser Gott-bewußt ist, so ist er imstande zu beweisen, daß nichts störend auf die Einfachheit und Reinheit der Botschaft einwirken kann, der er so gern Gerechtigkeit angedeihen lassen möchte.
Obgleich die Sprechtechnik des Vorlesens nicht das Wichtigste ist, so ist doch eine gewisse Kenntnis derselben oft von Nutzen. Es ist zum Beispiel gut, den Unterschied zwischen klarem Sprechen und affektiertem Sprechen zu verstehen, weil die Unsicherheit oder Freiheit des Lesers zum großen Teil von seiner Erkenntnis dieses Unterschieds abhängig ist. Wenn der Leser bei der Vorbereitung für den Sonntagsgottesdienst die Lektionspredigt aus dem Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft studiert, so sollte er selbstverständlich ein gutes Wörterbuch zur Hand haben; nicht nur, um die Bedeutung und Aussprache nicht vertrauter Worte, die in dem wundervollen Wortschatz unserer Führerin zu Tage treten, aufzusuchen, sondern sich auch über die Aussprache kurzer, gebräuchlicher Worte zu unterrichten; denn solche Worte werden oft auf Grund von Sprachgewohnheiten oder auch auf Grund örtlicher Dialekte falsch ausgesprochen.
Deutlichkeit und klare Aussprache sind wesentlich, da sich zweifellos unter den Zuhörern manche befinden, die mit der vorgelesenen Lektionspredigt nicht vertraut sind, sowie andere, die noch fast nichts von der Christlichen Wissenschaft wissen und zum Gottesdienst gekommen sind, um aufgeklärt zu werden. Wenn sich Fremdlinge in unseren Toren befinden, gerade jene, die wir besonders zu erreichen suchen, so könnte der Verlust oder die Veränderung eines einzigen Wortes, sei es zu Beginn, in der Mitte oder am Ende eines Satzes, zu Verwirrung oder vollständigem Mißverstehen seitens des Neulings führen.
Doch die Verantwortung für die geistige Anregung, die Zweck und Ziel eines christlich-wissenschaftlichen Gottesdienstes ist, liegt nicht allein bei den Lesern. In Zweigkirchen sind die Leser gewöhnlich durch einen Mehrheitsbeschluß der Mitglieder für ihr Amt gewählt worden, die die Gewählten selbstverständlich liebevoll unterstützen. Solche Unterstützung ist für jedes rechte Bemühen notwendig, und in einer christlich-wissenschaftlichen Kirche, wo Liebe die Tadelsucht und Zustimmung die Krittelei verdrängen, und wo Gott allein das Denken eines jeden Mitgliedes regiert, wird das natürliche Ergebnis eine heilende und erhebende Erfahrung sein.
Das folgende einfache Beispiel mag als eine Erläuterung für die Rolle, die die Gemeinde in der Kunst des Zuhörens spielt, dienen. Dem Mitglied eines Orchesters gegenüber, das jeden Abend über den Rundfunk zu hören war, wurde einst die folgende Bemerkung gemacht: „Zuweilen klingt das Orchester soviel besser als andere Male.“ Der Musiker antwortete ruhig: „Vergessen Sie nicht, daß dies zum großen Teil davon abhängt, wie Sie zuhören.“ Vielleicht können wir als Zuhörer die Bedeutung dieser kurzen Unterhaltung zum Teil unseres innersten Denkens machen, wenn wir einem Gottesdienst beiwohnen. Der Ausüber, der Fehler in seinem Patienten findet und sich bemüht, sie menschlich zu berichtigen, statt ihn als Gottes vollkommenes Kind zu sehen, ist nicht der beste Heiler. Das Kirchenmitglied, das sich durch gewisse Vorfälle in der Führung seiner Kirche verärgert fühlt, statt sich zu vergegenwärtigen, daß es im Heiligtum des Geistes weilt, trägt nicht dazu bei, leere Bänke zu füllen. Das Sehen mit den Augen der Liebe und das Hören mit den Ohren der Liebe hat eine heilende Wirkung. Wenn wir die vollkommenen Kinder Gottes sehen, wie uns die Christliche Wissenschaft lehrt, und wenn wir das Wort Gottes hören, wer auch immer jenes Wort verkündet, so werden wir über persönliche Vorlieben und Abneigungen emporgehoben.
Ein treues Kirchenmitglied, das den Namen eines Christlichen Wissenschafters angenommen hat, ist bereit, in jedem Amt zu dienen, in das es durch das Wirken der Wahrheit geführt wird, sei es als Leser, Sonntagsschullehrer, Helfer in der Garderobenablage oder Ordner, und es dient in dem ihm zugewiesenen Amt mit Freuden. Die Neigung zu übertriebener Feierlichkeit, Wichtigtuerei oder der falschen Vorstellung, mit zu großer Verantwortung belastet zu sein, sollte uns nicht dazu veranlassen, diese Freude aus den Augen zu verlieren. Die Christliche Wissenschaft ist nicht eine Religion von Sack und Asche. Sie ist in ihrer Darlegung nicht niederdrückend feierlich, sondern sie ist freudig, weil sie der Welt ein Verständnis von Gott und Seiner erlösenden Macht bringt. Diese Macht heilt Krankheit, offenbart die trügerischen Eigenschaften der Sünde, bringt Disharmonie zum Schweigen und zerstört die Furcht. Wenn die Leser und alle an dem Gottesdienst Beteiligten dessen eingedenk bleiben, daß sie jene Freude widerspiegeln müssen, von welcher der Meister sagte, daß „niemand sie von [uns] nehmen" kann (Joh. 16:22), so wird ein inspirierender und heilender Gottesdienst die Regel sein.
Wenn alle, die die Christliche Wissenschaft als Führer und Ziel angenommen haben, die göttliche Liebe ausdrücken, so werden unsere Kirchen mit aufrichtigen Suchern nach der Wahrheit gefüllt sein. Die ehrlichen Bemühungen derer, die dazu berufen sind, in unseren Kirchen zu lesen, werden unterstützt werden, und jene, die in den Toren unserer Kirchen nach dem Licht suchen, werden neue Hoffnung, Gesundheit und Zufriedenheit erlangen.
