Im Johannes-Evangelium lesen wir (1:1, 14): „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.. .. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Ist nicht in diesen Versen die Wesenseinheit des Wortes, des Christus und seiner Mission, zusammengefaßt — um den Christus in der menschlichen Erfahrung praktisch anwendbar zu machen? Mary Baker Eddy sagt in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ (S. 332): „Christus ist die wahre Idee, die das Gute verkündet, die göttliche Botschaft von Gott an die Menschen, die zum menschlichen Bewußtsein redet.“ Wir müssen den Christus zuerst individuell erkennen, wenn wir seine Macht in menschlichen Angelegenheiten bekundet sehen wollen.
Die eine Tatsache, auf die sich Christi Jesu Lehren stützten, und von der er niemals abwich, war seine absolute Überzeugung von seiner Einheit mit Gott, seinem Vater. „Ich und der Vater sind eins“ (Joh. 10:30) war der Standpunkt, von dem aus er sprach und wirkte. Und wir können erkennen, daß dieser Standpunkt die Grundlage allen geistigen Denkens sein muß, denn nichts anderes als die Einheit von Prinzip und Idee kann im Denken und Handeln vollkommen sein. Diese Einheit bedeutet jedoch nicht Einförmigkeit, sondern die untrennbare Beziehung von Ursache und Wirkung.
Wir wissen, wie Mrs. Eddy uns sagt, daß die Patriarchen und Propheten, obgleich sie herrliche Lichtblicke von dem Messias oder Christus hatten, niemals Jesu Vorstellung von der Einheit mit Gott völlig zu erreichen schienen — jene Einheit, welche demonstrierte daß der Christus allen Menschen Segen brachte, jedem einzelnen, ohne Unterschied von Rasse, Farbe oder materiellen Lebensbedingungen. Der Meister verbot niemandem den Eintritt in das Allerheiligste. Er verlangte keinen vermittelnden Priester für Bittgebete. Der Vorhang im Tempel war im Begriff zu zerreißen. Gottes Einheit bedeutete Gottes Allheit. Niemand sollte außerhalb dieser Allheit bleiben, die die Individualität und Identität aller Menschen einschließt. Jeder einzelne wird in seiner wahren oder geistigen Identität von der Heiligen Schrift als König und Priester vor Gott anerkennt (siehe Offenb. 1:6).
Es war schwer für die anmaßenden, intellektuellen und ungeistig gesinnten Pharisäer, die Lehre von der Einheit anzunehmen, die der Meister verkündigte. Sie bezeichneten diese Lehre als Gotteslästerung — als eine Gleichstellung seiner selbst mit Gott! Jesu Erklärungen bedeuteten jedoch etwas, das weit über das geistige Begriffsvermögen seiner Widersacher hinausging, vielleicht sogar über ihre Bereitwilligkeit zu verstehen. Sie fürchteten sich vor seiner Lehre. Sie war zu anziehend für die Armen, die Sünder, die Unterdrückten, die die Pharisäer durch ihren Begriff von Priestertum zu beherrschen und regieren wünschten. Bei anderen wiederum war es vielleicht ein falscher Begriff von Demut, der es schwierig für sie machte, die Einheit, des Menschen mit Gott zu verstehen, obgleich sie sich nach Erlösung und Trost sehnten — es ging weit über ihr Streben hinaus.
Jesus jedoch brachte einen neuen Begriff von Demut. Er sagte, daß er von sich selber nichts tun könne; durch den Vater aber, der in ihm wohne, könne er des Vaters Werke tun.
Jesus sagte weiter (Joh. 14:1): „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubet an Gott und glaubet an mich!“ Was ist dieses „mich“, an das wir glauben sollen, wie wir an Gott glauben? Sicherlich sprach der Meister von dem Christus, dem einzigen Christus, der geistigen Idee Gottes, der göttlichen Natur und wahren Selbstheit des Menschen, individuell sowohl als im ganzen gesehen. In ihrem Werk „Vermischte Schriften“ sagt Mrs. Eddy (S. 183): „Der Mensch ist Gottes Bild und Gleichnis; was immer Gott möglich ist, ist dem Menschen als Gottes Widerspiegelung möglich.“
Wir wissen, daß wir nur durch die Idee, die das Prinzip ausdrückt, an das Prinzip glauben und das Prinzip verstehen können; wir müssen die Idee annehmen, wenn wir das Prinzip annehmen. Genau so können wir den Geist nur durch die intelligente Idee verstehen, die den Geist ausdrückt. Wir können nur an die Seele glauben und die Seele verstehen, wenn wir die verkörperten Eigenschaften der Seele erkennen, und so fort. In der Christlichen Wissenschaft schließen wir von Ursache auf Wirkung. Wir beginnen mit dem Gemüt, nicht mit der Materie, und wir verstehen das Gemüt durch seine eigene Idee oder seinen eigenen Ausdruck. Wir können den Menschen nicht von Gott trennen; wir können nicht an den einen ohne den andern denken, nicht an den einen ohne den andern glauben, denn sie sind eins in Gottes Allheit. Wer an Gott glaubt, muß auch, wie Jesus es tat, an seine eigene christusgleiche Selbstheit glauben, wenn er dem Meister in seinen Werken nacheifern will. Dieser wirkliche Mensch hat sich niemals von dem Vater getrennt.
An Gott glauben, während man sich selbst oder einen andern mit einem kranken oder sündigen Sterblichen identifiziert, bedeutet Gott nicht zu verstehen; Er kann nur von dem Menschen verstanden werden, der die göttlichen Eigenschaften widerspiegelt. Die rechte Idee ist der Erlöser von der irrigen Annahme; die Christus-Idee erscheint, um falsche Zustände zu heilen. Die rechte Idee von uns selbst als geistig, bewahrt uns vor der falschen Vorstellung, wir seien Sterbliche. Die rechte Idee vom Menschen als Widerspiegelung des unendlichen Gemüts hilft uns, andere von der Annahme zu befreien, daß der Mensch in irgendeiner Beziehung sterblich oder begrenzt sein könne. Die Wahrheit ist zur Zerstörung der Lüge unbedingt notwendig; und sie ist stets gegenwärtig, sie muß nur erkannt und verstanden werden.
Wenn die wahre Vorstellung vom eigenen Selbst so wesentlich für die Heilung des einzelnen ist, wie wichtig ist es dann erst, daß man seine eigene Rolle in der Heilarbeit erkennt! Ob sich das Problem als das eigene oder das eines anderen darstellt — es ist stets eine irrige Annahme. Die eigene Vorstellung muß zuerst geändert werden und das eigene Christus-Bewußtsein wird diese Vorstellung berichtigen. Das Kind Gottes bedarf keiner Behandlung; die Vergegenwärtigung des wahren Begriffes vom Menschen macht die Behandlung aus.
Sitzen wir nicht gelegentlich wartend herum — sei es nun geduldig oder ungeduldig — wie der Mann am Teiche Bethesda? Wir hoffen und beten vielleicht jahrelang, daß der rechte Mensch oder die rechte Idee uns in den heilenden Teich der Wahrheit helfen möge. Wir mögen uns eine lange Zeit so verhalten. Wer aber den unpersönlichen Christus als seine eigene göttliche Natur erkennt, als seine geistige Selbstheit, deren Sendung es ist, das menschliche Bewußtsein zu erleuchten, erkennt sich selbst als die Widerspiegelung Gottes, des großen ICH BIN. Und dann bemerkt man, daß man selbst tatsächlich an der Heilung teilnimmt; man sitzt nicht länger herum mit dem Gefühl, sich nicht bewegen zu können, und wartet darauf, daß jemand einem in den Teich hilft. Mit Hilfe des Christus geht man selbst zum Teich.
Eine menschliche Not deutet in der Umkehrung auf die Gegenwart einer geistigen Idee hin, die darauf wartet, erkannt und verstanden zu werden. Was auch immer unser menschliches Bedürfnis zu sein scheint, Gesundheit, Substanz, Weisheit, Freiheit, Zufriedenheit, Intelligenz oder Trost — wir müssen, um dieses Bedürfnis zu befriedigen, zu Gott aufsehen, doch nicht zu Gott ohne Seine Idee. Wenn wir zu Gott aufsehen, sehen wir zu gleicher Zeit auf Seinen Ausdruck, auf unsere eigene geistige Natur. In diesem wahren Selbst ist alles, was wir brauchen, einbegriffen. „Ich und der Vater sind eins“, nicht: „Der Vater ist Einer und ich bin außerhalb dieser Einheit, obwohl ich hoffe, daß ich eines Tages in ihr sein werde.“
Wenn wir daher an das „Ich“ glauben, das untrennbar vom Vater ist, dann müssen wir auch den Glauben an unsere wahre Gesundheit, unser Sehen und Hören, unsere Freiheit, Intelligenz, Entfaltung und so weiter, einschließen, denn all diese Dinge haben ihren Ursprung im Gemüt. Und wer die Wahrheit für sich selbst erkennt, muß sie auch für die andern wissen.
Laßt uns in Augenblicken der Not, der Entmutigung, des scheinbaren Mißerfolgs an Jesu Hilferuf vom Kreuz denken (Mark. 15:34): „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Mrs. Eddy schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 50): „Der Hilferuf Jesu richtete sich an sein göttliches Prinzip, den Gott, der Liebe ist, wie auch an ihn selbst, die reine Idee der Liebe.“ Wie oft haben wir das Gefühl, daß unsere wahre Selbstheit, unsere göttliche Natur uns verlassen hat, und daß wir von dem, was wir sein möchten, weit entfernt sind? Wer dies Gefühl hat, muß sich um Hilfe an sein göttliches Prinzip, die Liebe, und auch an sich selbst wenden, die reine Idee der Liebe, die ihn niemals verlassen kann, da sie sein wirkliches Selbst ist.
Der christusgleiche Ausblick ist stets der heilende Ausblick, was immer die Schwierigkeit auch sein mag; denn der Christus steht unberührt inmitten des Irrtums und beweist dessen Nichts, da er sich nur der Einheit von Gott und Mensch, Gemüt und seiner Idee, bewußt ist.
Robert Browning schrieb:
Zutiefst in unserm Innern lebt
Die volle Wahrheit unbeschränkt.
ERKENNEN
Heißt: Zu öffnen und zu bahnen einen Weg,
Daß der gefangne Strahlenglanz erscheinen kann;
Statt Einlaß zu begehren für ein Licht,
Das, wie es scheint, von außen kommt.
