[Wir bringen hiermit die letzte der fünf Ansprachen, die bei der Versammlung gehalten wurden, welche am 10. Juni 1959 im Erweiterungsbau Der Mutterkirche stattfand.]
„Der Bau der Wahrheit und Liebe“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy, S. 583) ist nicht unter einer Straßenadresse zu finden; er ist nicht ein Dom aus Stein und Stahl und bleigefaßtem Glas. Er ist die geistige Wohnstätte der Ideen Gottes. Er ist so allumfassend und fortdauernd wie die Wahrheit, so friedvoll und so beglückend wie das Himmelreich. Er ist das unbegrenzte Tätigkeitsfeld für das dem Menschen von Gott verordnete Wirken, denn er ist das grenzenlose geistige Reich der Wahrheit und der Liebe, wo der Mensch, das geistige Ebenbild Gottes, sein ganzes Sein hat und Intelligenz und Liebe zum Ausdruck bringt.
Die Schönheit, die Harmonie und das ununterbrochen fortbestehende Wirken der Kirche zu verstehen, heißt, sie zu lieben; wenn wir die Forderungen erkennen, die sie an uns stellt, haben wir das heilige Verlangen, diese zu erfüllen. Nur auf diese Weise können wir wirklich in der Kirche leben und ihr angehören.
„Der Bau der Wahrheit und Liebe“ ist die universale und triumphierende Kirche, die Kirche der weltumfassenden Liebe und der sieghaften Wahrheit. Sie ist wirklich das „Haus Gottes“, das erfüllt ist von der „Herrlichkeit des Herrn“, wie es im 2. Buch der Chronik (5:14) beschrieben wird. Diese Herrlichkeit ist nun für uns alle erreichbar geworden dank der epochemachenden Entdeckung der Christlichen Wissenschaft, die das menschliche Denken veranlaßt, seine bisherige Grundlage vollständig zu verändern von der Materie zum Geist als dem Leben, der Substanz und der Macht. Dies ist die ungeheure Bedeutung des Lebens und Wirkens der geliebten Entdeckerin und Gründerin, unserer verehrten Führerin Mrs. Eddy.
Auf Grund ihrer Lehren verstehen wir, daß die geistige Idee von Kirche, die sie erkannte und uns erklärte, auf der menschlichen Daseinsebene zum Ausdruck kommt als Die Mutterkirche, Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter, in Boston, Massachusetts, welche sie gründete, um das Allumfassende, die Fortdauer und das sieghafte Wirken jener geistigen Idee zu bekunden.
In der „Historischen Skizze“ aus dem Handbuch Der Mutterkirche von Mrs. Eddy heißt es (S. 19): „Die Erste Kirche Christi, Wissenschafter in Boston, Mass., soll sich auf den Felsen Christus gründen, ja auf die Erkenntnis und Demonstration der göttlichen Wahrheit, des göttlichen Lebens und der göttlichen Liebe, welche die Welt von Sünde und Tod heilt und erlöst. Dadurch soll sie in gewissem Grade die universelle und triumphierende Kirche widerspiegeln.“
Wie wundervoll dies mit dem Ziel übereinstimmt, das Mrs. Eddy der menschlichen Einrichtung der Kirche setzte, nämlich, den Beweis ihrer Nützlichkeit fortwährend dadurch zu erbringen, daß sie sowohl das geistige und intellektuelle Niveau wie auch das körperliche Wohlbefinden des Menschengeschlechts hebt durch die wahre Erkenntnis von Gott, welche die christlich-wissenschaftliche Kirche hochhalten und ausbreiten muß.
Die Mutterkirche ist also ganz gewiß nicht als Elfenbeinturm gedacht. Die Christliche Wissenschaft hat keinen Elfenbeinturm. Es liegt im Wesen ihrer Christlichkeit, daß ihre Botschaft auf den Straßen der Welt — den Hauptstraßen und den Fußpfaden — zu finden ist, wo sie zu den Menschen aller Art die herzerwärmende Botschaft der Wahrheit und der Liebe spricht, den Schleier materieller Beschränktheit lüftet und jenen Befreiung bringt, die lauschen und verstehen.
Da die Arbeit der Kirche die Gesamtsumme der Arbeit ihrer Mitglieder darstellt, dient die Kirche dem Vorsatz unserer Führerin in dem Verhältnis erfolgreich, wie sich die Mitglieder diesem Vorsatz weihen und bestrebt sind, ihm zu dienen.
Jeder von uns sollte sich fragen: Welche Einstellung habe ich zur Kirchenarbeit? Empfinde ich noch die gleiche Inspiration wie zu der Zeit, als die große, beglückende Wahrheit der geistigen Vollkommenheit zuerst über meinem Denken aufdämmerte? Oder hat sie ihre Frische immer mehr verloren, bis der aufwärtsführende Pfad schließlich zu einer alten Wagenspur wurde, die zu keinem besonderen Ziel mehr führt?
Wir sollten uns auch fragen: Ist für mich die Mitarbeit in der Kirche oder in einem Ausschuß End- und Selbstzweck, oder betrachte ich sie als eine Tätigkeit, die die weltweite heilende Mission der Christlichen Wissenschaft unterstützt, die dazu bestimmt ist, uns und die Welt von dem allgemeinen Alpdruck des Glaubens an lebendige Materie und intelligentes Böses zu erlösen?
Wie steht es um unsre Unterstützung der Mittwochabend-Zeugnis Versammlungen? Diese ist wesentlich nicht allein für die Aufrechterhaltung der geistigen Idee der Kirche in unserm eigenen Bewußtsein, sondern auch für das Wachstum der menschlichen Einrichtung der Kirche und für unseren eigenen Fortschritt. Sind wir regelmäßig anwesend, zu jeder Zeit, auch bei regnerischem und kaltem Wetter? Es ist ein alter, herkömmlicher Brauch, sonntags zur Kirche zu gehen; mittwochs aber zur Kirche zu gehen ist ein christlich-wissenschaftlicher Brauch, den Mary Baker Eddy, unsere Führerin, eingeführt hat!
Geben wir Zeugnisse, wie wir es tun sollten? Oder gestatten wir dem Widerstand gegen die heilende Macht der Christlichen Wissenschaft, uns wie festgebannt auf unserm Platz zu halten? Wenn wir zur Zeit unsrer Trübsal nicht zu Gott sagen würden: „Laß doch heute einen andern geheilt werden“, dänn sollten wir in der Stunde der Befreiung auch nicht zu uns selbst sagen: „Heute abend mag ein anderer Gott danken für die Christliche Wissenschaft.“ Wunderbare Heilungen finden statt. Welch große Freude ist es doch, von ihnen zu berichten! Die Welt — ja das Gemeinwesen, in dem wir leben — will von ihnen erfahren, muß von ihnen erfahren.
Widmen wir dem Gebet zur Unterstützung der Gottesdienste und der Kirche selbst reichlich Zeit? Es kann unmöglich einem Angriff des sterblichen Gemüts gelingen, die geringste Wirkung zu erzielen, wenn wir geistig auf der Hut sind und seine Machtlosigkeit wissenschaftlich erkennen; solange wir die uns zugewiesene Aufgabe gewissenhaft erfüllen, und im Gehorsam gegen Mrs. Eddys Anweisung unsre Pflicht gegen Gott, gegen unsre Führerin und gegen die ganze Menschheit nicht versäumen und uns nicht dazu verleiten lassen, diese unsre Pflicht zu vergessen.
Wir müssen uns täglich vergegenwärtigen, daß die Kirche Christi, Wissenschafter, für die menschliche Wahrnehmung das Erscheinen des unsterblichen, unantastbaren Baues der Wahrheit und der Liebe bedeutet, die als solcher die ihr von Gott zugewiesene Bestimmung erfüllt; daß kein Widerstand der Materialität — wie dreist oder wie hinterlistig er auch sein mag — ihr von Gott gelenktes Wirken stören kann, und daß kein durch Ichbezogenheit oder Selbstzufriedenheit verursachtes Erschlaffen uns davon abhalten kann, liebevoll und erfolgreich an ihrem Wirken teilzunehmen. Wir wollen uns täglich vergegenwärtigen, daß der Irrtum weder unsre Hingebung schwächen noch uns dazu verleiten kann, unsern Anteil an der Arbeit andern zu überlassen und uns dadurch unsres Lohnes zu berauben.
Laßt uns an der Tatsache festhalten, daß die christlich-wissenschaftliche Bewegung sich erfolgreich entfaltet, weil die Christliche Wissenschaft die Wahrheit ist, und weil die Kirche, die sie verkündet, von dieser Wahrheit beschirmt wird. Wir haben das Recht zu wissen, daß die erfolgreiche Wirksamkeit unserer Kirche niemals von irgend etwas Wirklichem behindert wird, niemals von etwas durchkreuzt wird, das nicht durch die göttliche Liebe überwunden oder entfernt werden kann.
Da die Christliche Wissenschaft mit ihrer Lehre von der Unwirklichkeit des Bösen die eingewurzelten Annahmen des Bösen wie Haß, Machtbewußtsein, Herrschsucht und Rivalität auf der einen Seite, Gleichgültigkeit und Trägheit auf der andern, herausfordert, ist es ganz klar, daß wir, um diese Herausforderung erfolgreich in die Welt tragen zu können, selbst von diesen Annahmen frei sein müssen. Der erste Beweis dieser Freiheit zeigt sich in unserm Verhalten gegenüber unsern Mitmenschen — ganz besonders innerhalb der Kirche.
Sie werden sich daran erinnern, daß Gott von den Kindern Israel bei der Vorbereitung auf die Inempfangnahme der Tafeln mit den Zehn Geboten ein Opfer verlangte — ein Opfer, das ein Sinnbild sein sollte für Hingabe und Reinheit. Er befahl: „Und sollst Aaron, deinem Bruder, heilige Kleider machen, die herrlich und schön seien“ (2. Mose 28:2). Dürfen wir nicht angesichts der Tatsache, daß Aaron geistig weniger vorgeschritten war als Moses, annehmen, daß diese schönen Kleider die geistige Haltung versinnbildlichten, die wir unserm Bruder gegenüber — und ganz besonders den Schwächen unsres Bruders gegenüber — einnehmen sollten?
In der Kirche müssen wir unserem Bruder helfen; wir müssen dies jedoch im Geiste der Liebe und der Demut tun. War nicht das die Lektion, die Christus Jesus seine Jünger fünfzehnhundert Jahre später lehrte, als er einen Schurz nahm, sich umgürtete und ihnen die Füße wusch? Das Waschen der Füße unsres Bruders erniedrigt uns nicht, sondern es hebt uns höher durch den Adel der natürlichen Demut der Liebe, denn diese geistige Erhebung ist praktisch angewandte Liebe. Wenn wir dies also heute tun, so wird unsre Kirche zum heiligen Ort, wo sich die Verheißung erfüllt, die Gott dem Moses bezüglich der Stiftshütte gab. Gott sagte (2. Mose 29:42): „Da will ich mich euch bezeugen und mit dir reden.“
Wir tun gut daran, dessen eingedenk zu bleiben, daß, während wir jetzt heilige Kleider für unsre Brüder machen, die sie zu benötigen scheinen, andere, die vor uns dienten, für uns heilige Kleider gemacht haben. Wir sind uns nicht immer bewußt, wie viele Male unsre eigenen Füße gewaschen werden mußten, wie viele Kämpfe ein anderer durchzufechten hatte, um uns so zu sehen, als sähe er Gottes Angesicht.
Unsre Kirche ist öde und leer, wenn wir unsern Bruder nicht lieben, und die bösen Ansprüche der Selbstsucht, der Herrschsucht, der Überheblichkeit, der Eifersucht und des Hasses nicht überwunden haben, sowie auch die Versuchungen der Indolenz und Gleichgültigkeit.
Wenn wir aus Liebe zu unsern Mitmenschen arbeiten, spiegeln wir Christi Gemüt wider, das uns untereinander und alle mit dem göttlichen Gemüt verbindet. Dann werden unsre täglichen Gebete für die Kirche wunderbare Frucht tragen in der erfolgreichen Entfaltung unsrer Bewegung. Niemand hat jemals wirklich zum Aufbau der Kirche beigetragen, solange er nicht seinen Bruder mit hineinnahm. Und die Kirche zu erbauen — das heißt, sie in unserm eigenen Bewußtsein aufzurichten — ist die einzige Art und Weise, in ihr zu leben und die menschliche Einrichtung zu unterstützen, die das Sinnbild der wirklichen Kirche darstellt.
Dies ist unsre Aufgabe. Sie gut zu erfüllen ist unser Bestreben und unser Gebet. Mit Gottes Hilfe werden wir erfolgreich sein. Dann „sollen Tannen für Hecken wachsen und Myrten für Dornen; und dem Herrn soll ein Name und ewiges Zeichen sein, das nicht ausgerottet werde“ (Jes. 55:13). Dann soll „die Herrlichkeit des Herrn offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen“ (Jes. 40:5).
