Jeder Ausüber der Christlichen Wissenschaft weiß, wie häufig ungelöste Disharmonien in menschlichen Beziehungen die Wurzel körperlicher Probleme sind und mit welcher Gewißheit die Demonstration der göttlichen Liebe Heilung bringt. Jedes Mitglied einer Kirche Christi, Wissenschafter, erkennt, wie nötig es ist, in der Kirchenarbeit Liebe auszudrücken, denn Liebe, im Denken und Handeln demonstriert, ist die Stärke einer Zweigkirche.
Vielleicht besteht die größte Forderung der Kirchenmitgliedschaft sowie auch ihre größte Lektion darin, zu lernen, wie wir unseren Nächsten lieben können. Keine Organisation könnte sich als geeigneter erweisen, dem einzelnen zu helfen, dies zu lernen, als eine demokratisch regierte Zweigkirche Christi, Wissenschafter.
Wenn wir diesen großen Segen erkennen, den unsere Kirche für uns bereithält, und ihren Forderungen mutig und standhaft nachkommen, werden wir die größte Lektion unseres Lebens lernen. Sollten wir uns in Zeiten der Not und Bedrängnis von unserer Kirche abwenden oder uns von ihr zurückziehen, so würden wir den größten Schatz verlieren, den unsere Kirche uns zu geben vermag.
In der Kirchenarbeit lernen wir, daß das Widerspiegeln der göttlichen Liebe nicht bedeutet, von uns als liebevoll und von unserem Nächsten als lieblos zu denken. Das wäre Selbstgerechtigkeit. Wahre Liebe ist keine äußere Freundlichkeit, während das Herz kalt oder das Gemüt kritisch ist. Das wäre Heuchelei. Wenn wir unseren Nächsten lieben wollen, dürfen wir uns weder Geschwätz noch Eifersüchteleien hingeben, denn Ziel und Zweck der Liebe ist zu heilen.
Wenn wir uns auf das Wesentliche besinnen, dann spielt es keine Rolle, ob unsere Kirche in einem Gebäude untergebracht ist, das uns gefällt oder nicht gefällt. Es spielt keine Rolle, ob die Vorhänge, die Topfpflanzen, der Solist, die Leser oder die auf einer Mitgliederversammlung gefällten Entscheidungen unsere Zustimmung finden. Alle diese Fragen nehmen den ihnen zukommenden Platz ein bei der ordnungsgemäßen Abwicklung der Kirchengeschäfte. Aber es handelt sich um Fragen, denen nur eine relative Bedeutung zukommt. Worauf es wirklich ankommt, ist, wieviel wir selbst von der göttlichen Liebe demonstrieren. Davon wird es abhängen, ob in unseren Gottesdiensten Heilungen stattfinden und ob aus Besuchern tüchtige Mitglieder werden.
Wenn sich eine Frage ergibt, bei der es sich um eine Sache des Gehorsams gegen das Prinzip handelt, und wir uns berufen fühlen, für das Prinzip einzustehen, sollten wir daran denken, daß das göttliche Prinzip Liebe ist. Die Lösung wird sich zeigen, wenn wir willens werden, geduldig und demütig zu warten, indem wir darauf vertrauen, daß die Liebe das Denken der Mitgliedschaft erheben und den Weg weisen wird.
Christus Jesus sah sich den schlimmsten aller menschlichen Unzulänglichkeiten gegenübergestellt, doch er trat ihnen stets mit Liebe entgegen. Die versöhnliche Sprache, die vergebende Tat, der heilende Gedanke, die absolute Treue zu Gott — sie kennzeichneten sein Wirken. Beim letzten Abendmahl, als er vor seiner größten Prüfung stand und seinem erhabensten Triumph entgegenging, wusch er den Jüngern die Füße und sagte ihnen, wie im Lukasevangelium berichtet wird (22:27): „Ich.. . bin unter euch wie ein Diener.“
Es gab Zeiten, da Jesus allein auf einen Berg ging, um zu beten, doch niemals löste er seine Verbindung zu seiner kleinen Schar von Nachfolgern. Er zeigte nie eine Regung, die hätte erkennen lassen, daß er über die Berufung, anderen zu dienen, hinausgewachsen wäre. Unmittelbar bis zu seiner Himmelfahrt arbeitete er liebevoll für andere und mit anderen zusammen. Er war nie zu sehr beschäftigt, zu überlastet oder zu erhaben, um in seinem Wirken, andere zu segnen, fortzufahren. Welch praktische Lektionen ergeben sich heute hieraus für das Kirchenmitglied!
So treu war des Meisters Liebe, daß sie jede Wolke des Hasses überstrahlte; so gütig, daß sie die Kranken und Sterbenden heilte; so rein, daß sie die schwere Prüfung der Kreuzigung überdauerte und für die Unsterblichkeit des Menschen Beweis ablegte. Diese Liebe wird von Mrs. Eddy in ihrer Definition von „Gethsemane“ beschrieben (Wissenschaft und Gesundheit, S. 586): „Geduldiges Leiden; das Menschliche, das dem Göttlichen Raum gibt; Liebe, die keine Erwiderung findet und doch Liebe bleibt.“
Jesus verstand und betätigte die Wissenschaft der Liebe, die Wissenschaft vom vollkommenen Gott und dem zu Seinem Ebenbild erschaffenen vollkommenen Menschen. Er wußte, wie er die Suggestionen des Bösen in wissenschaftlicher Weise als unwirklich und grundlos zurückweisen konnte. Er erkannte die Wirklichkeit des Menschen als einer Idee, die von Liebe regiert wird, und zwar gerade dort, wo die boshaften Sterblichen zu sein schienen.
Eben dieselbe befreiende Methode des Christus-Heilens wird uns in der Christlichen Wissenschaft erläutert, so daß wir sie alle anwenden können. Diese Wissenschaft zeigt, daß es, um die Zwietracht in menschlichen Beziehungen auszumerzen, notwendig ist, mit der Berichtigung bei uns selbst zu beginnen, selbst dann, wenn das Problem sich außerhalb von uns zu befinden scheint. Wir müssen stets damit anfangen, unser eigenes Denken zu der Wirklichkeit Gottes als der allmächtigen Liebe und des Menschen als des reinen und vollkommenen Ebenbildes der Liebe zu erheben. Dieses wissenschaftliche Verständnis befähigt uns, Gedanken der Furcht, des Stolzes, des Hasses und der Selbstsucht gegen Eigenschaften auszutauschen, die von Gott stammen, wie Demut, Glauben, Freundlichkeit, Selbstlosigkeit — gegen Gedanken, die christusgleiche Liebe zum Ausdruck bringen. Solch ein Verständnis bricht den Mesmerismus der Feindseligkeit und des Hasses. Es befähigt uns, unseren Blick über die Illusion miteinander streitender persönlicher Gemüter zu erheben zu der Einheit des Gemüts und der allumfassenden Liebe.
Was uns am meisten nottut ist, unser Denken mit der göttlichen Liebe in Einklang zu bringen und unser Denken und Handeln von der Liebe regieren zu lassen. Wenn die Liebe in unserem Denken wirklich den Sieg erlangt, wird Liebe auch in unseren Angelegenheiten den Sieg davontragen.
Ein grundlegender Schritt in der Demonstration von Liebe besteht darin, das Böse vom Menschen zu trennen. Wenn wir das Böse mit unserem Nächsten verbinden, wer ist es dann, der wider den Menschen „falsch Zeugnis“ redet? Wenn wir unseren Nächsten für argwöhnisch, aggressiv, rücksichtslos und ungerecht ansehen, wo hat dann dieser irrige Begriff vom Menschen sein Zelt aufgeschlagen? Unmittelbar in unserem Denken! Wir verabscheuen unseren eigenen Begriff vom Menschen!
Mrs. Eddy erläutert dies in ihrem Werk „Vermischte Schriften“, wo sie die Frage stellt (S. 8): „Kannst du einen Feind gewahren, wenn du nicht zuvor für ihn diesen Ausdruck geprägt hast und dann auf den Träger dieses deines Begriffes schaust?“
In der Christlichen Wissenschaft wird niemals von uns verlangt, etwas Selbstsüchtiges oder Haßerfülltes zu lieben. Aber wir werden aufgefordert zu erkennen, daß der Mensch niemals selbstisch oder haßerfüllt ist, da er das Ebenbild Gottes ist, das schon jetzt liebt und schon jetzt liebenswert ist.
Wenn wir das Böse von unserem Begriff, den wir von unserem Nächsten haben, trennen, dann können wir das Böse als eine unpersönliche Lüge über den Menschen erkennen. Wir können uns die Unwirklichkeit jeder Suggestion vergegenwärtigen, die sich an der Schwelle unseres eigenen Bewußtseins zeigt und geltend macht, der Mensch könne vom Bösen beherrscht werden. Wir können unsere eigene Überzeugung festigen, daß Liebe alles erschafft und alles regiert und daß das Böse keinen Zeugen hat.
Zuweilen mögen wir fürchten, wir seien Personen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, oder wir könnten in Situationen kommen, die jenseits unserer Kontrolle liegen; oder wir mögen glauben, jemand verletze uns, intrigiere gegen uns oder enttäusche uns in unseren Erwartungen. Doch wenn wir das als wahr annehmen, glauben wir dann nicht an die Existenz einer Macht neben Gott? In der Wissenschaft sind wir tatsächlich niemals davon abhängig, was ein anderer sagt oder denkt oder tut, weil wir beweisen können, daß Liebe, das göttliche Prinzip, allerhaben ist und alles beherrscht, was existiert.
Zu glauben, jemand habe uns ein Unrecht zugefügt, heißt an die Abwesenheit des göttlichen Gesetzes zu glauben. Wir müssen daran festhalten, daß das Gesetz der göttlichen Liebe immer gegenwärtig und erhaben ist über alles, einschließlich unserer selbst und unserer Kirche. Es erfordert Demut zuzugeben, daß Liebe alle Macht besitzt. Doch in dem Maße, wie wir diese große Tatsache verstehen und standhaft an ihr festhalten, wird Liebe uns von Zwietracht befreien.
Die Wissenschaft enthüllt, daß Liebe das allwirkende Gute ist. Liebe ist das universale Lösungsmittel. Sie löst den Haß auf. Sie hebt die Wirkung der Bosheit auf. Sie berichtigt Ungerechtigkeiten. Sie beseitigt verletzte Empfindungen und heilt das Herz. Wenn wir das Gesetz der Liebe verstehen und uns von ihm regieren lassen, dann öffnet uns dieses Gesetz einen Weg, so daß wir vor allem beschützt werden, das uns schaden oder versklaven oder unseren Frieden rauben will — einen Weg, auf dem wir diesen Disharmonien entrinnen können. Die unendliche Güte der Liebe sorgt für einen vollen Ausgleich jeden menschlichen Unrechts.
Aus all diesem können wir ersehen, daß Liebe demonstrieren nicht bedeutet, sich dem Irrtum zu ergeben oder unsere Individualität aufzugeben. Im Gegenteil, diese Demonstration bedeutet, daß wir unsere Herrschaft über widrige Umstände festigen und uns unsere Unabhängigkeit des Denkens wahren.
Möge Liebe in jedem Herzen herrschen! Dies ist das christliche Band, das die wahren Nachfolger Christi vereint und sie mit christlicher Macht ausrüstet. Dies ist der Wesenskern der Kirche. Wir beten nur insoweit richtig an, wie wir einen allmächtigen Gott, die Liebe, anerkennen und unser Denken und Handeln von der Liebe regieren lassen. Wir empfangen die Taufe insofern, als wir unser eigenes Herz von Kritik, Groll, Selbstsucht, Bosheit und allen jenen negativen Eigenschaften reinigen, die uns veranlassen möchten, in nachtragender Weise auf die vermeintlichen Sünden eines anderen zu reagieren.
Wir haben teil an der Gemeinschaft mit Gott, insoweit wir das reine göttliche Bewußtsein erlangen, das für des Menschen Einheit mit der unwandelbaren Liebe, seinem Urquell, Zeugnis ablegt. Wir essen das Brot der Wahrheit insoweit, wie wir Haß mit Liebe vergelten. Wir trinken den Wein der Liebe insoweit, wie wir unser tägliches Leben von dem Geist der Liebe beherrschen lassen. Nur so können wir das Erscheinen des ewigen Christus in unserer individuellen Erfahrung und in unseren Kirchenangelegenheiten erkennen und wachhalten.
Es ist in den Augenblicken, in denen wir Reue und Demut beherbergen, in den Augenblicken, in denen wir die selbstsüchtigen Impulse des fleischlichen Gemüts gegen die geistige Liebe des Christus austauschen, daß wir wahrhaft die Gnade Gottes empfangen.
