Eine Lehre, die unter den Theologen der ersten Jahrhunderte des Christentums viele Meinungsverschiedenheiten auslöste, war die Lehre von der Fleischwerdung. In jenen Tagen, da das Christentum im Entstehen begriffen war, gab es verschiedene Sekten, die die Verkehrtheit der Materie erkannten, ihre trügerische Natur sowie auch die Tatsache, daß die Materie die Grundlage der Sünde ist. Sie sahen Gott als übersinnlich an, wurden aber verwirrt, wenn es darum ging zu erklären, wie ein übersinnlicher Gott die sinnlich wahrnehmbare Menschheit erreichen könnte. Aufgrund ihrer Einstellung zur Materie flüchteten sich einige Sekten entweder in eine extreme Askese, indem sie dem Fleisch völlig entsagten, oder sie wurden zu Libertinern und gaben sich zügellosen sinnlichen Exzessen hin.
Diese irregeleiteten Theologen, die die Fleischwerdung Jesu verneinten, vermochten nicht, den Zweck des großen Beispiels unseres Meisters zu erkennen, der darin bestand, den Menschen zu zeigen, wie sie sich von der Sterblichkeit und deren Leiden befreien könnten, wie sie sich Gott durch Christlichkeit nahen könnten, bis Materie und Sterblichkeit schließlich verschwinden würden.
In der Bibel finden sich viele Berichtigungen hinsichtlich der falschen Lehren über die Fleischwerdung, unter anderen die Erklärungen des Johannes (1. Joh. 4:3): „Ein jeglicher Geist, der da nicht bekennt, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott“, und (Joh. 1:14): „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“
Die Abstraktionisten der ersten Jahrhunderte finden auch in der heutigen Zeit ihr Gegenstück. Es handelt sich um Menschen, die von Mary Baker Eddys Entdeckung der Christlichen Wissenschaft abweichen und die glauben, daß sie, da es keinen Irrtum zu zerstören gibt — denn Gott ist ja Alles —, menschliche Probleme ignorieren könnten; daß das Heilen nicht wichtig sei, da es ja in Wirklichkeit keine Krankheit gebe; daß wir die Dinge, die uns „zufallen“ sollen (Matth. 6:33), außer acht lassen und uns nicht damit abgeben sollten, die Wahrheiten zu beweisen, die offenbart worden sind. Solche Anhänger sind mit der Theorie zufrieden und versäumen, der Forderung der Christlichen Wissenschaft nachzukommen, die Wahrheit auf menschliche Probleme praktisch anwendbar zu machen.
Christus Jesus lehrte keinen abstrakten Unsinn. Er sagte, daß er gekommen sei, um den Willen Gottes zu tun, und seine Verkörperung jenes Willens war so vollständig, daß er die barmherzigen Heilungswerke vollbringen konnte, die in der Tat bewiesen, daß der Vater aller die göttliche Liebe ist. Das Wort Gottes, der Christus, war im Meister Fleisch geworden. Durch seine christusgleiche Liebe erreichte die Gottheit die Menschheit, und in dem Licht der Wahrheit, das er verkörperte, verschwand der Irrtum.
Mrs. Eddy gibt die wissenschaftliche Erklärung für die Fleischwerdung in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“, wo sie sagt (S. 350): „, Und das Wort ward Fleisch.' Die göttliche Wahrheit muß sowohl an ihren Wirkungen auf den Körper als auch an ihren Wirkungen auf das Gemüt erkannt werden, ehe die Wissenschaft des Seins bewiesen werden kann. Daher die Verkörperung der Wahrheit in dem fleischgewordenen Jesus — jenem Lebensglied, das die Verbindung bildet, durch die das Wirkliche das Unwirkliche erreicht, Seele den Sinn zurechtweist und Wahrheit den Irrtum zerstört.“
In dem Beispiel unseres Wegweisers trat ein wunderbares Gleichgewicht zwischen den absoluten Wahrheiten, die er erklärte, und ihrer Anwendung auf den menschlichen Fortschritt aus dem Tale der Sterblichkeit zutage. Dieselbe peinlich genaue Übereinstimmung finden wir in den Lehren und der Praxis Mrs. Eddys. Ja, sie sagt uns (ebd., S. 126): „Ich habe die Christliche Wissenschaft und ihre Anwendung bei der Behandlung von Krankheit genauso dargetan, wie ich sie entdeckt habe. Ich habe durch Gemüt die Wirkungen der Wahrheit auf die Gesundheit, Langlebigkeit und Moral der Menschen demonstriert.“
Ohne das wahre Verständnis von der Fleischwerdung würde die Menschheit keinen Zugang zu der Macht des Gemüts haben, die die Menschen zu dem absoluten Bewußtsein vom Leben erhebt. Ohne dieses Verständnis würde es kein Zusammentreffen des Menschlichen und des Göttlichen geben, das das innerste Wesen des wissenschaftlichen Christentums bildet.
Die Erneuerung und Umwandlung des menschlichen Bewußtseins ist ein unerläßlicher Schritt, um die Erlösung von der falschen Auffassung von Leben in der Materie zu erlangen. Dieser Vorgang der Vergeistigung bedingt nicht, daß Gott sich unserer menschlichen Schwierigkeiten und Sünden bewußt werden muß, um uns davon zu befreien. Die Sonne braucht keine Finsternis in sich zu schließen, um sie vertreiben zu können. Etwas ist jedoch für die Erlösung erforderlich: daß wir für das Wirken der reinen Wahrheit auf das menschliche Bewußtsein empfänglich sind und jede falsche Annahme aufgeben, die uns in einem Zustand mentaler Dunkelheit hält. Wenn wir uns über das sinnlich Wahrnehmbare erheben, werden wir uns des übersinnlichen Gottes bewußt, in dem unsere wirkliche Selbstheit, Gottes Gleichnis, weilt.
Jede christlich-wissenschaftliche Heilung beweist erneut, daß das Wort Fleisch wird. Sie ist ein Beweis dafür, daß Wahrheit eine machtvolle Gegenwart ist, die das menschliche Gemüt vom Bösen reinigt und so den einzelnen mit seiner unsterblichen, sündlosen Selbstheit in Christus in Einklang bringt.
Die Lehre von der Fleischwerdung, wie Christus Jesus sie lehrte und wie die Christliche Wissenschaft sie lehrt, enthebt uns keineswegs der Notwendigkeit, uns selbst ständig als Gottes geistigen Sprößling zu identifizieren. Dagegen fordert sie von uns, daß wir die Wahrheiten, die wir behaupten, beweisen und fortfahren, sie zu beweisen, bis jede Spur von Sterblichkeit verschwindet.
Der Christliche Wissenschafter wird die fleischlichen Wege der Menschheit, denen durch die Umwandlung des menschlichen Selbst entgegengetreten werden muß, weder entschuldigen noch ignorieren. Ebensowenig aber vergißt er, daß er in der Wissenschaft das vollkommene Kind des vollkommenen Vaters ist, eine Tatsache, die sich beweisen läßt, weil sie ewiglich wahr ist.
