Theorie ohne Beweis ist intellektuelles Experimentieren, eine Hypothese, die als Erklärung für gewisse Phänomene und deren Ursachen und Zusammenhänge dargeboten wird; daher bedeutet sie bloße Spekulation oder Betrachtung. Andererseits ist eine Theorie, die sich durch die Anwendung ihrer Grundwahrheiten als wahr erwiesen hat, exakte Wissenschaft, denn sie kann verstanden und in der Praxis erfolgreich angewandt werden.
Obwohl im Bereich der Naturwissenschaften das Aufstellen von Theorien und das nachträgliche Ersetzen dieser Theorien durch neue Annahmen als ein anerkanntes Hilfsmittel der Forschung gelten, werden Theorien in der Theologie, beim Studium der religiösen Anschauungen von Gott, zu bloßen Schlußfolgerungen aus menschengemachten Prämissen, die notwendigerweise ergebnislos bleiben müssen. Das Aufstellen von Theorien, ohne sie zu beweisen, kann die Erleuchtung der Menschheit nicht förden.
Das Spekulative, das Experimentelle, die bloße Theorie haben keinen Platz in der Christlichen Wissenschaft, deren Theorie oder Theologie ihren Beweis in sich schließt: das Heilen der Kranken. Die Theologie der Christlichen Wissenschaft besteht nicht aus veränderlichen doktrinären Annahmen, sondern aus Erklärungen über die absolute Wahrheit des Seins, die von Christus Jesus gelehrt und bewiesen wurden; sie ist daher die Theologie Christi Jesu, die, obwohl vergessen, lange Jahrhunderte hindurch unverändert geblieben ist, wie dies bei der Wahrheit immer der Fall ist. Diese Theologie wurde von Mrs. Eddy erkannt, in reichem Maße bewiesen und später von ihr in der Christlichen Wissenschaft vollständig erklärt.
Die Theologie der Christlichen Wissenschaft macht ihre Wissenschaft aus. Sie erklärt und beweist Gott als Geist, Gemüt, Leben, als unendliche, schöpferische Ursache, und den Menschen und das Universum — die Wirkung Seiner schöpferischen Tätigkeit — als Gottes geistigen Ausdruck oder Sein Ebenbild. Sie erklärt Christus, Wahrheit, als die Christus-Botschaft, die das Wesen des wirklichen Menschen als unzerstörbares, gottgeschaffenes und von Gott regiertes geistiges Sein darstellt und die lehrt, daß Jesus, der Meister unter den Christen, diese Wahrheit sein ganzes Leben lang durch das ihm innewohnende Verständnis von dem Christus bewies.
Unter den Darlegungen in dem Buch „Wissenschaft und Gesundheit“ von Mary Baker Eddy, die Gott, den Menschen und das christusgleiche, heilende Verständnis erklären, befinden sich unter anderm folgende:
„Gott ist unendlich, das einzige Leben, die einzige Substanz, der einzige Geist oder die einzige Seele, die einzige Intelligenz des Universums, einschließlich des Menschen“ (S. 330).
„Der unsterbliche Mensch war und ist Gottes Bild oder Idee, ja der unendliche Ausdruck des unendlichen Gemüts, und der unsterbliche Mensch besteht zugleich mit diesem Gemüt und ist gleich ewig mit ihm“ (S. 336).
„Das christusgleiche Verständnis vom wissenschaftlichen Sein und vom göttlichen Heilen umfaßt als Grundlage des Gedankens und der Demonstration ein vollkommenes Prinzip und eine vollkommene Idee — einen vollkommenen Gott und einen vollkommenen Menschen“ (S. 259).
Aus der Unendlichkeit oder Allheit Gottes, der göttlichen Wahrheit, des göttlichen Lebens und der göttlichen Liebe, ergibt sich die unausweichliche Schlußfolgerung, daß die Materie nichts ist. Dies wiederum weist auf die Unwirklichkeit oder rein illusorische Natur der Empfindungen und Forderungen der Materie, ihrer Schmerzen und Freuden, ihrer Drohungen und Versprechungen hin. Dies ist einer der wichtigsten Punkte der Theologie — der Wissenschaft — der Christlichen Wissenschaft.
Da diese Theologie allen Sinneswahrnehmungen und dem herkömmlichen Denken gerade entgegengesetzt ist, würde die Christliche Wissenschaft schon vor langer Zeit verschwunden sein, wäre nicht die heilende Praxis ihrer Theologie gewesen, die seit mehr als neunzig Jahren reichliche Beweise ihrer Wahrheit geliefert hat. Diese Heilungswerke werden in immer neuen Gebieten auf der ganzen Welt vollbracht, wo sich die Christliche Wissenschaft einen Platz unter den Völkern und Rassen der Menschheit gesichert hat. Die Stärke und Fortdauer der Christlichen Wissenschaft liegen in diesem fortwährenden Beweisen ihrer Erklärungen durch das Heilen von physischer Krankheit, von falschen Gelüsten, von Haß, Furcht, Gier, Eifersucht und all den unheilvollen, verderblichen Impulsen des materialistischen Denkens.
Die Fähigkeit, einen Lehrsatz der Naturwissenschaft zu beweisen, hängt einzig und allein davon ab, daß man ihn richtig versteht; moralische oder ethische Eigenschaften spielen dabei so gut wie keine Rolle. In der Christlichen Wissenschaft jedoch befähigt ein intellektuelles Verständnis ihrer Theologie noch nicht dazu, ihre Macht und Wirksamkeit zu beweisen. Eine gesunde Moral, eine inbrünstige Treue zum Guten, ein erwachter geistiger Sinn, der die alleinige Macht und lebenspendende Liebe Gottes wahrnimmt und die Unwirklichkeit alles dessen erkennt, was sich Ihm widersetzen möchte — dies sind die Eigenschaften, die unseren wissenschaftlichen Erklärungen die geistige Lebendigkeit und Klarheit geben, die wiederum den praktischen Beweis herbeiführen, daß die Theologie der Christlichen Wissenschaft nicht bloße Theorie, sondern absolute Wissenschaft ist.
Das Aufstellen von Theorien über die Tugenden oder das bloße Vortäuschen ihres Vorhandenseins genügt nicht, man muß sie sich tatsächlich aneignen. Vergeistigung des Charakters erfolgt nur durch eine tiefe innere Hingabe an die hohe geistige Norm der Christlichen Wissenschaft. Eine solche Hingabe zeigt sich in der völligen Bereitwilligkeit, die alte materialistische Denkweise aufzugeben und den lieblosen, furchterfüllten oder sündigen Impulsen, die daraus folgen, zu widerstehen und sie umzukehren. Nur völlige Aufrichtigkeit befähigt einen, sich der geistigen Disziplin der Christlichen Wissenschaft zu unterwerfen. Ohne diese Unterwerfung werden wir der Fähigkeit, ihre Theorie zu beweisen, ermangeln.
Da die Theologie der Christlichen Wissenschaft jedes Sinnenzeugnis zurückweist, läuft sie allen grundlegenden menschlichen Annahmen über Leben und Substanz zuwider, allen Annahmen über die Quelle und Verfügbarkeit der Intelligenz, ja über das Wesen der Wirklichkeit selbst. Mögen auch aus diesem Grunde die radikalen Behauptungen der Christlichen Wissenschaft manche Menschen zu Gegnern machen, so kann doch selbst der voreingenommene Forscher angesichts der greifbaren Beweise für die Wahrheit dieser Behauptungen nur nachdenklich werden.
Die vor uns liegende große Notwendigkeit besteht darin, die Theorie des Christus zu einer lebendigen Wirklichkeit und zu einem lebendigen Segen werden zu lassen, indem wir sie in unserem eigenen Leben in die Praxis umsetzen. Verstehen ist nicht genug; es gibt etwas für uns zu tun. Dies wird in der Geschichte von dem Schriftgelehrten veranschaulicht, der Christus Jesus fragte, in der Absicht, ihn bloßzustellen (Luk. 10:25): „Meister, was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?“ Als Antwort befragte Jesus ihn über das Gesetz, das den Weg zu diesem hohen Ziel vorschrieb. Fließend zitierte der Mann das Gebot, Gott von ganzem Herzen zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst. Er kannte den Buchstaben des Gesetzes sehr gut. Darauf wies ihn der Meister auf den Hauptpunkt hin: „Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben.“
Als Jesus auf die weitere Herausforderung: „Wer ist denn mein Nächster?“, mit der Erzählung vom barmherzigen Samariter antwortete, zeigte der Schriftgelehrte wieder, daß er theoretisch die Idee erfaßte, daß der Nächste derjenige ist, der einem anderen Barmherzigkeit erweist. Und wieder antwortete der Meister: „So gehe hin und tue desgleichen!“
Theoretisches Wissen ist nicht genug; wir müssen das, was wir wissen, in unserem Leben beweisen. Die Praxis der Christlichen Wissenschaft ist es, die das reine Christentum ihrer Theologie umfassend bestätigt.
