Moses legte in den Zehn Geboten dar, was notwendig ist, um harmonische Beziehungen unter den Menschen herbeizuführen. Das „Du sollst nicht“ mag uns vielleicht streng anmuten, aber Gehorsam ihm gegenüber sichert die Harmonie. Eines dieser Gebote, das neunte, lautet (2. Mose 20:16): „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“
Im allgemeinen versteht die Menschheit unter diesem Gebot, daß wir über den Lebenswandel und Charakter unseres Nächsten nichts weitergeben dürfen, was nicht wahr ist. Natürlich sollte das auch nicht geschehen. Das geistige Licht jedoch, mit dem die Christliche Wissenschaft die Bibel erhellt, hebt unsere Auffassung von dem Neunten Gebot zu einer höheren und geistigeren Stufe empor.
In voller Übereinstimmung mit der Bibel erklärt diese Wissenschaft, daß der Mensch das Bild und Gleichnis Gottes ist, der Ausdruck Seines Wesens, unfähig zu sündigen oder von dem Standpunkt der Heiligkeit abzuweichen. Daher ist der Mensch, den Gott erschaffen hat, immerdar vollkommen und ganz und gar gut. Der Mensch ist kein sündiger Sterblicher, getrennt von Gott, sondern ein Unsterblicher, untrennbar von Gott, dessen vollkommene Widerspiegelung er ist. Daher bedeutet es in der Wissenschaft auch „falsch Zeugnis reden“, wenn wir irgend etwas hörbar feststellen oder in Gedanken festhalten, was an den Eigenschaften oder Handlungen unseres Nächsten nicht gottähnlich ist — was seiner wahren Selbstheit unähnlich ist.
Jesus verstand die wahre geistige Selbstheit des Menschen. Er gestattete sich niemals, „falsch Zeugnis“ über seinen Nächsten zu reden, und Heilung ging von seinem geistigen Verständnis aus. Mrs. Eddy schreibt in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit“ (S. 476): „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eigenes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken. So lehrte Jesus, daß das Reich Gottes unversehrt und allumfassend und daß der Mensch rein und heilig ist.“
Jesus ist unser Beispielgeber, und wenn wir das Neunte Gebot richtig verstehen und befolgen wollen, müssen wir Jesu Beispiel folgen. Um uns zu dieser Ebene geistiger Wahrnehmung zu erheben, mag es hilfreich sein, das Neunte Gebot in Verbindung mit einer anderen Stelle der Bibel zu betrachten. Sie lautet (2. Mose 23:1): „Du sollst falscher Anklage nicht glauben, daß du einem Gottlosen Beistand tust und ein falscher Zeuge seist.“
Einem Gottlosen — wer mag das sein? Ist damit nicht das sterbliche Gemüt gemeint? Das sterbliche Gemüt oder das Bewußtsein der Sterblichen urteilt nach dem, was die materiellen Sinne wahrnehmen. Diese materiellen Sinne sind absolut unzuverlässig, wie wir selbst auf dem Gebiet der optischen und akustischen Täuschungen festgestellt haben. Auch im praktischen Alltag weigern wir uns, jemanden, der als nicht charakterfest oder als unzuverlässig gilt, als Zeugen anzuerkennen. Wieviel sorgfältiger sollten wir darauf bedacht sein, nicht den Einflüsterungen des Bösen über unseren Nächsten beizupflichten und dadurch als falsche Zeugen erfunden zu werden.
Diese Einflüsterungen mögen scheinbar durch den Mund eines anderen zu uns kommen, durch eigene Beobachtung oder durch einen Hang, andere zu kritisieren oder über ihr falsches Verhalten zu sprechen. Letztere Neigung mag sich auf sehr hinterlistige Weise einschleichen, indem sie behauptet, daß eine solche Aussprache größere Klarheit und Harmonie mit sich bringe.
Obwohl Jesus die Sünder rügte, sah er die Unwirklichkeit der Sünde, erkannte er den jeweiligen Anspruch der Sünde als eine Lüge und zerstörte ihn häufig; auf diese Weise befreite er die Sünder, so daß auch sie in etwas ihre wahre Selbstheit zu erkennen vermochten.
Auch wir dürfen das Böse nicht übersehen, aber unsere Haltung sollte so sein, daß es vernichtet wird. Wir sollten es als eine Lüge über den Menschen betrachten. Da wir nicht wissen können, wie sehr unser Bruder darum ringen mag, „das Bild des irdischen“ durch „das Bild des himmlischen“ zu ersetzen (1. Kor. 15:49), sollten wir danach streben, „in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen“ zu sehen, und unserem Nächsten auf diese Weise helfen — nicht aber ihn verurteilen.
Das Neunte Gebot ist eine Teilforderung des „Königlichen Gesetzes“, wie Jakobus es nannte: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (2:8). Eine rein materialistische Selbsterkenntnis von der Art, die die eigenen Irrtümer für wahr hält, ist ein Falsch-Zeugnis-Reden über uns selbst. Ebenso ist es mit der Selbstverdammung im Hinblick auf zurückliegende Fehler. Wenn immer das sterbliche Gemüt uns als Zeugen für seine Irrtümer aufruft, müssen wir ihm unsere Unterstützung versagen.
Wenn wir das königliche Gesetz in geistiger Weise verstehen und befolgen, ist es ein Segen für uns, für unsere Familie, unsere Umgebung und unsere Kirche. Gerade in der Kirche schafft es jene Harmonie und jenen Frieden, die den Fremdling zu unseren Toren ziehen.
Jesaja sagt zu einem jeden von uns: „Laß los, welche du mit Unrecht gebunden hast; laß ledig, welche du beschwerst; gib frei, welche du drängst“ (58:6), und dann verheißt er uns auch den Lohn: „Alsdann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Besserung wird schnell wachsen, ... und soll durch dich gebaut werden, was lange wüst gelegen ist; und wirst Grund legen, der für und für bleibe; und sollst heißen: Der die Lücken verzäunt und die Wege bessert, daß man da wohnen möge.“
Richtet nicht nach dem Ansehen, sondern
richtet ein rechtes Gericht. — Johannes 7:24.