Was auch immer ein Mensch zu unternehmen plant, er bemißt die Ratsamkeit und Zeitgemäßheit des Schrittes nicht nur nach dem, was er als seine allgemeine Situation erkennt, sondern auch danach, wie sich ihm aus seiner Perspektive die Zukunft darbietet. Wenn seine Ansichten von den materiellen Sinnen geformt werden, werden sie sich innerhalb der Begrenzungen der materiellen, sterblichen Lebensauffassung bewegen mit ihren Ungewißheiten, bedrückenden Einflüssen und verborgenen Befürchtungen. Dies ist die Perspektive der Sterblichkeit. Nähmen wir sie als wahr an, so würde sie die freie Entfaltung unserer Fähigkeiten lähmen und uns in hohem Maße der Freude und der Freiheit berauben, die eine Folge des Vertrauens auf die Erfüllung des Guten sind.
Die Christliche Wissenschaft vertreibt diese falsche Auffassung durch die Offenbarung der wahren Perspektive vom Leben, an der wir unsere Erwartungen von der ununterbrochenen, fortschreitenden Entfaltung des Guten messen können. Diese Perspektive besteht nicht aus Begrenzungen von Zeit und Gelegenheit oder aus ungewissen Erwartungen, sondern aus den ewigen Tatsachen des Seins.
Derjenige, der die Christliche Wissenschaft studiert, gelangt zu einer Erkenntnis über sich selbst, seinen Charakter, seine Gegenwart und seine Zukunft, die sich von der Erkenntnis, die die materiellen Sinne vermitteln, grundlegend unterscheidet. Diese Wissenschaft zeigt deutlich, daß Leben Gott ist und daß der individuelle Mensch die geistige Widerspiegelung oder der gotterschaffene Ausdruck dieses einen unendlichen Lebens ist. Seinem innersten Wesen nach sowie durch die Fruchtbarkeit seiner gottverordneten Tätigkeiten legt der Mensch für die absolute, unwandelbare Güte, Macht und Ganzheit Gottes Zeugnis ab.
Das Leben des Menschen ist nicht eine flüchtige Daseinsauffassung, sondern der individuelle Ausdruck der unendlichen Vollkommenheit, Intelligenz und Lebenskraft der Wahrheit, des schöpferischen Gemüts. Nicht die Widerspiegelung des göttlichen Lebens, sondern eine falsche, flüchtige Auffassung vom Leben ist es, die die sterbliche Annahme in Kindheit, Jugend, Reife und Alter einzuteilen scheint. Jede Phase dieser falschen, flüchtigen Lebensauffassung scheint ihre eigenen besonderen Probleme, vorübergehenden Befriedigungen, Hoffnungen und Enttäuschungen zu haben; die Widerspiegelung des Lebens dagegen ist so unwandelbar vollkommen wie das Leben selbst. Der Mensch, die Offenbarwerdung Gottes, ist ein sich seiner selbst bewußtes, intelligentes Wesen, das in seinem Ursprung, seiner Struktur und Funktionsfähigkeit weder materiell, mechanisch noch chemisch, sondern rein geistig ist.
Christus Jesus machte es klar, wie nötig es ist, sich diese wahre Auffassung vom Menschen zu eigen zu machen, und zwar durch das Verständnis von der Christus-Botschaft, die von Gott, dem göttlichen Gemüt, zum menschlichen Bewußtsein kommt. Er sagte: „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen“ (Joh. 17:3). Wenn wir den Christus, die Wahrheit, einmal verstanden haben, so erwächst uns daraus die Pflicht, entsprechend diesem Verständnis unsere Schuldigkeit zu tun. Dies geschieht, indem wir uns in unserer täglichen Erfahrung der göttlichen Natur unserer wahren Selbstheit angleichen und uns selbst und alle anderen aus jener wahren Perspektive sehen, aus der der Meister sich und alle Menschen sah.
Wenn wir in dieser wissenschaftlichen Perspektive beharren, wird es uns klarwerden, daß die ewige, zeitlose Fortdauer Gottes und die unwandelbaren Fähigkeiten und die unwandelbare Lebenskraft des Menschen jegliches Zeitelement sowie die menschliche Vorstellung von Alter ausschließen. Dann werden wir nicht versucht sein, unsere zukünftigen Möglichkeiten, Gutes zu vollbringen, und unsere gegenwärtigen Verpflichtungen vom Standpunkt der falschen Perspektive einer materiellen Lebensauffassung zu beurteilen.
Wir werden nicht glauben, daß es je eine Zeit geben könnte, da es zu früh — oder zu spät — wäre, Charakterfehler zu berichtigen oder etwas wiedergutzumachen. Ebensowenig gibt es jemals einen Lebensabschnitt, in dem es zu früh — oder zu spät — wäre, Fortschritt zu erwarten und auf ihn hinzuarbeiten, sich auf eine ständig zunehmende Erkenntnis des Guten einzustellen und es zu erwarten; das Gesetz Gottes, des Guten, fordert von uns, daß wir dies tun. Geistig gesehen gibt es tatsächlich keinen Grund, warum ein reiferer Mensch nicht ebenso wie ein jüngerer darauf vertrauen sollte, daß er reichlich Zeit hat, sich zu bewähren, einen Fehler wiedergutzumachen, Erfolg zu erlangen und sich der Früchte des Erfolgs zu erfreuen — keinen wahren Grund, warum seine Ziele nicht ebenso hochgesteckt sein sollten.
Es gibt nur eine wahre Perspektive, aus der wir das Leben und unsere Beziehung dazu sehen müssen. Es ist die Perspektive des Christus, die einen vollkommenen Gott und Seine Widerspiegelung, den unwandelbar vollkommenen unsterblichen Menschen enthüllt. Unsere Führerin Mrs. Eddy beschreibt diese Auffassung vom Menschen, wenn sie sagt (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 246): „Die strahlende Sonne der Tugend und der Wahrheit besteht zugleich mit dem Sein. Ihr ewiger Mittag, der von keiner sinkenden Sonne verdunkelt wird, ist das Menschentum.“ Dies ist die Perspektive vom Menschen, die von der Christlichen Wissenschaft erklärt wird und die die Christlichen Wissenschafter aufrechterhalten — nach der sie sich richten. Sie sagt uns, daß der Mensch, die Offenbarwerdung Gottes, ewig lebt und daß in Wahrheit ein jeder von uns ein individuelles geistiges Wesen ist. Aber wir müssen uns ständig der Tatsache bewußt bleiben, daß die klare Überzeugung von unserer Unsterblichkeit nur durch eine täglich eingehaltene geistige Lebensweise kommt.
Diese Wahrheit zu empfinden und zu erkennen heißt verständnisvoll und freudig die Wirklichkeit unserer ewigen Zukunft zu bejahen mit ihren fortdauernden Gelegenheiten und ihren ständigen Forderungen, die von der göttlichen Wahrheit, dem göttlichen Leben und der göttlichen Liebe an uns gestellt werden. Es ist daher klar, daß jegliches Gefühl von Nutzlosigkeit oder ein Nachlassen unserer größten Anstrengungen oder ein Erschlaffen unserer höchsten Hoffnungen, herbeigeführt durch die Annahme von fortschreitendem Alter, unnötig, weil in Wahrheit grundlos ist. Das gleiche trifft zu, wenn diejenigen, die glauben, sie könnten es sich wegen ihrer Jugend leisten, Zeit zu vergeuden, saumselig sind oder Gelegenheiten zum Guten ungenutzt lassen.
Ungeduld, Bitterkeit und ein Gefühl der Enttäuschung, die oft mit dem Alter verbunden sind, sind ebenso wie die Sorglosigkeit und der Mangel an Voraussicht, die man zuweilen unter jungen Menschen beobachtet, die Wirkungen der falschen Perspektive vom Leben und der sich daraus ergebenden materialistischen irrigen Einstellung gegenüber unserer täglichen Erfahrung und ihren Möglichkeiten. Unsere Führerin berichtigt diese irrigen Bewußtseinszustände, leitet unser höchstes Streben in die richtigen Bahnen und gibt unseren Hoffnungen neue Stärke, wenn sie sagt: „Die Sterblichen müssen zu Gott hinstreben, ihre Neigungen und Ziele müssen geistig werden — sie müssen sich den umfassenderen Auffassungen vom Sein nähren und etwas von dem eigentlichen Sinn des Unendlichen erlangen —, damit sie Sünde und Sterblichkeit ablegen können. Diese wissenschaftliche Auffassung vom Sein, die die Materie um des Geistes willen aufgibt, deutet keineswegs darauf hin, daß der Mensch in der Gottheit aufgeht und seine Identität einbüßt, sondern diese Auffassung verleiht dem Menschen eine erweiterte Individualität, eine umfangreichere Sphäre des Gedankens und der Tätigkeit, eine umfassendere Liebe, einen höheren und dauernderen Frieden“ (ebd., S. 265). Nirgendwo wird erklärt, daß diese Entfaltung und unser Bemühen, sie zu erlangen, in irgendeiner Beziehung zum Kalender steht; sie ist für das Jetzt und für die Ewigkeit bestimmt.
Die Perspektive, die die Christliche Wissenschaft uns vom Leben und von unserem Platz im Leben gibt, läßt erkennen, daß unabhängig von jeglicher menschlichen Vorstellung von Alter — ob jung oder betagt — unendlicher Fortschritt vor uns liegt, der sich in ebendem Verhältnis weiter entfalten wird, wie wir für diese Entfaltung geistig vorbereitet sind.
Wir müssen alle unsere Gedanken, alle unsere Pläne und Erwartungen des Guten mit dieser wissenschaftlich wahren Perspektive in Einklang bringen. Dann werden wir finden, daß die Perspektive der Christlichen Wissenschaft die Perspektive der Wahrheit ist, die Perspektive der ewig erhaltenden Liebe; es ist die Perspektive der Unsterblichkeit.