Der Glaube daß der Tod unvermeidlich sei, wird ganz allgemein von den Menschen festgehalten, und so auch die Annahme, daß die Wahrscheinlichkeit, daß der Mensch stirbt, um so größer ist, je älter er wird. Wenn jemand das Alter von siebzig Jahren bei weitem überlebt und rüstig bleibt, gibt dies oft Anlaß zu Äußerungen des Erstaunens. Auch von dem Verfasser des 90. Psalms wurden diese Annahmen festgehalten, und es wurde ihnen damit der Anschein biblischer Autorität verliehen; er schrieb: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und wenn's köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.“
So stark ist der Glaube an die mit den Jahren zunehmende Wahrscheinlichkeit des Todes, und so allgemein wird daran festgehalten, daß sie Gesetzeskraft zu haben scheint. Es ist keineswegs ein Gesetz, daß jeder Mensch, bald nachdem er das Alter von siebzig Jahren erreicht hat, sterben müsse; aber wie so viele andere materielle sogenannte Gesetze, so beruht auch dieses auf statistischen Feststellungen. Versicherungsgesellschaften errechnen die zu zahlenden Prämien derer, die eine Rentenzahlung anstreben, hauptsächlich nach dem Alter des Versicherungsnehmers; sie vertreten den Grundsatz, der Mensch eines gewissen Alters hätte eine bestimmte Lebenserwartung. Richtiger wäre es, zu sagen, er könne mit einer bestimmten Zeitspanne rechnen, bevor er stirbt.
Kein einziger Mensch jedoch wird von irgendeinem statistischen Gesetz regiert. Wir alle wissen, daß manche Menschen viel länger rüstig bleiben als andere, viele weit über die vermeintliche Grenze von 70 Jahren hinaus. Das richtige Verständnis vom Wesen und der Quelle alles wirklichen Lebens verlängert das menschliche Leben und die menschliche Kraft.
Als Christliche Wissenschafter erwarten wir natürlich nicht, das richtige Ergebnis zu erzielen, wenn wir unsere Lebensaussichten von einer materiellen Grundlage aus errechnen, denn diese Berechnung geht von irrigen Voraussetzungen aus. Der Mensch ist geistig, nicht materiell. Das Denken eines Menschen regiert seine Gesundheit, sein Leben und seine Verhältnisse.
Wie sollten wir arbeiten, um die allgemeine Annahme aufzuheben, Alter bringe Zerfall, Verlust von Fähigkeiten und schließlich den Tod mit sich? Das kann nur im Denken des einzelnen geschehen. Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, zeigt uns in einem kurzen Artikel „Was unsere Führerin sagt“, wie das geschehen kann. Er beginnt mit den Worten: „Geliebte Christliche Wissenschafter, haltet euer Gemüt so mit Wahrheit und Liebe erfüllt, daß Sünde, Krankheit und Tod nicht eindringen können“ (The First Church of Christ, Scientist, and Miscellany, S. 210). In allen ihren Schriften betont Mrs. Eddy, daß Geist, nicht die Materie, Wahrheit ist und daß der einzig wirkliche Mensch geistig, untrennbar von seinem Vater-Gemüt, Gott, ist.
Im achtzehnten Kapitel des Buches Hesekiel kiel lesen wir: „Werfet von euch alle eure Übertretung, damit ihr übertreten habt, und machet euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum willst du sterben, du Haus Israel? Denn ich habe kein Gefallen am Tode des Sterbenden, spricht der Herr Herr. Darum bekehret euch, so werdet ihr leben.“
Der Grundirrtum, von dem alle Sünde, Krankheit und selbst der Tod ausgehen, ist die falsche Annahme, daß der Mensch zum großen Teil materiell sei. Von diesem grundlegenden Fehler können wir uns nicht zu schnell oder zu gründlich abwenden. Der wirkliche Mensch ist in keiner Weise materiell; beständig und unausbleiblich entfaltet er die unendliche Harmonie seines Schöpfers, der Leben und Liebe ist. Dieser Mensch kann weder aufhören zu existieren, noch kann er von der Vollkommenheit abweichen, die die Natur Gottes ist. Gott kann weder sündigen, noch kann Er sterben; somit kann auch der Mensch nicht sterben.
Sollte jemand von der Suggestion heimgesucht werden, daß er oder ein anderer wahrscheinlich bald sterben werde, so sollte er sie unter keinen Umständen einlassen. Das Einlassen einer solchen Suggestion wird zuweilen „christliche Ergebung“ genannt, aber sie ist keineswegs christlich; sie ist vielmehr eine Art Fatalismus. Christus Jesus erklärte, daß der Tod überwunden werden müsse, und er erweckte sich selbst und andere von den Toten. Diejenigen, die sich willenlos dem Tode ergeben, tun dies vielleicht, weil die Mittel der materiellen Medizin sie nicht geheilt haben und sie glauben, es gebe keine Möglichkeit, die Krankheit zu überwinden, oder weil sie dem allgemeinen Glauben an die Notwendigkeit des Todes zustimmen.
Es gibt jedoch ein Heilmittel, nämlich die unsterbliche, völlig geistige Natur Gottes und des wirklichen Menschen verstehen zu lernen und aus dem Traum zu erwachen, daß es einen anderen Menschen gäbe. Im Verhältnis, wie wir dieses Heilmittel anwenden, wird der Würgegriff, mit dem die Annahmen von Materialismus, Krankheit, Alter und Tod das menschliche Bewußtsein festhalten, gelockert, geschwächt und schließlich aufgehoben.
Nur eins gibt es, das sterben sollte: die Annahme, daß der Mensch materiell und infolgedessen der Sünde, der Krankheit und dem Tod unterworfen sei. Die Suggestion, daß ein Mensch aller Wahrscheinlichkeit nach sterben werde, ist es, die abgetötet und mit der klaren Erkenntnis ausgelöscht werden sollte, daß der Mensch als Ausdruck des unsterblichen Gottes unsterblich ist. Die Zerstörung dieser Annahme bringt einen Kampf mit sich, von der Art, wie ihn Paulus in seinem zweiten Brief an die Korinther beschreibt (10:4): „Die Waffen unsrer Ritterschaft sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu zerstören Befestigungen.“ Der Glaube an den Tod kann nicht erfolgreich überwunden werden, solange der Tod für etwas Wirkliches gehalten wird; er muß durch das ruhige, klare Verständnis, daß er nichts ist, zerstört werden.
Über diese geistige Kriegsführung sagt Mrs. Eddy in ihrem Buch „Pulpit and Press“ (Kanzel und Presse, S. 2): „Das wirkliche Haus, in dem wir, leben, weben und sind‘, ist Geist, Gott, die ewige Harmonie der unendlichen Seele. Der Feind, dem wir gegenüberstehen, möchte diese erhabene Festung vernichten, und es geziemt uns, unser Erbe zu verteidigen.“ In dieser erhabenen Festung hat der Glaube an den Tod weder Existenz noch Macht. Der einzige Grund dafür, daß er einen solchen Einfluß auf das menschliche Bewußtsein auszuüben scheint, liegt darin, daß er so allgemein als wirklich angenommen wird. Und doch besitzt ein einziger Mensch, der die Wahrheit über Gott und über den Menschen kennt und an dieser Wahrheit unveränderlich festhält, mehr Macht, als die große Menge, die einstweilig an den Irrtum glaubt; und so wie mehr und mehr Menschen zu der Erkenntnis der Unsterblichkeit des Menschen gelangen und an dieser Tatsache in ihrem Denken festhalten, werden die Menschen ihre Furcht vor dem Tode verlieren und ihn nicht mehr erwarten; dann wird das menschliche Leben von längerer Dauer und aktiver und harmonischer sein.
Da Gott keinen Zeitbegriff kennt, weiß auch der wirkliche Mensch nichts von zeit; daher kann er nicht altern. Er wird als der unmittelbare, vollkommene Ausdruck Gottes, des Gemüts, des Geistes, in jedem Augenblick neu erschaffen. Sein einziges „Alter“ ist sozusagen das „Jetzt“. Seine einzig richtige Lebens-Erwartung ist die, daß er als die Widerspiegelung von Gottes Intelligenz, Freude, Kraft und Aktivität notwendigerweise auf ewig fortbestehen muß.
Mrs. Eddy sagt in ihrem Buch „Unity of Good“ (Die Einheit des Guten, S. 41) in ihrem wunderbaren Kapitel „Gibt es keinen Tod?“: „Das holde und heilige Bewußtsein von der Fortdauer der Einheit des Menschen mit seinem Schöpfer kann unser gegenwärtiges Dasein mit der beständigen Gegenwart und Macht des Guten erleuchten und die Tore vom Tode zum Leben weit öffnen; wenn dann dieses Leben erscheinen wird, werden, wir ihm gleich sein‘, und wir werden zum Vater gehen, nicht durch den Tod, sondern durch das Leben; nicht durch den Irrtum, sondern durch die Wahrheit.“ Wir alle müssen dieses geistige Verständnis pflegen, in dem es keinen Raum für den Tod gibt.