Der Wettbewerb ist eine der Haupttriebkräfte für das Streben in den menschlichen Angelegenheiten. Von frühester Kindheit an befinden sich die jungen Leute in Situationen, wo sie im Wettbewerb miteinander stehen. Das Streben, die Leistungen anderer zu übertreffen, etwas Besseres zu tun als bisher getan worden ist, gilt als ein lobenswertes menschliches Ziel. Aber wenn dies die Form eines Kampfes um Ruhm und persönlichen Erfolg annimmt, kann es zu Rivalität werden, die sich völlig auf selbstsüchtige Motive gründet. Dies veranlaßt den einzelnen zu glauben, er müsse versuchen, seinen Mitmenschen um etwas zu bringen, um sich selbst zu bereichern oder zu verherrlichen.
Als Christliche Wissenschafter verstehen wir, daß der Mensch bereits vollständig ist, und daß — da Gott jedem Seiner Kinder gleichmäßig alles Gute verleiht und ein jedes bereits alles hat — dieser Vollständigkeit nichts hinzugefügt werden kann. Macht dieses Wissen jeden Ansporn zu konstruktivem menschlichem Streben zunichte? Bedeutet es, daß ein Wissenschafter niemals mit anderen Menschen in Wettbewerb tritt? Im Gegenteil. Es bedeutet nur, daß er von einem anderen Standpunkt aus darangeht.
Wir streben nicht danach, einen anderen Menschen in irgendeiner Weise des Guten zu berauben, sondern wir bemühen uns individuell und kollektiv, Gottes Wesen besser zu verstehen und es auszudrücken und für andere den Weg freizumachen, daß sie Sein Wesen ebenfalls erkennen und ausdrücken. Wenn jemand von uns einen Aspekt Gottes klarer versteht als andere, so daß er imstande ist, Gott in dieser Hinsicht angemessen auszudrücken, so sollte er dies nicht zu seiner eigenen Ehre tun, sondern zur Ehre Gottes.
„Wer ist doch der Größte im Himmelreich?“, fragten die Jünger Jesus (Matth. 18:1), und er wies sie auf die Demut eines kleinen Kindes hin. Manchmal mag ein Christlicher Wissenschafter versucht sein zu glauben, er sei demütig, wenn er sich zurückhält und nicht sein Bestes leistet, um andere in einem besseren Licht erscheinen zu lassen. Es bedarf jedoch einer weit größeren Demut, das eigene Ich aus unseren Errungenschaften herauszuhalten und unsere Aufgabe gut zu erfüllen durch ein Verständnis der Worte Mrs. Eddys in ihrem Buch „Vermischte Schriften“ (S. 183): „Der Mensch ist Gottes Bild und Gleichnis; was immer Gott möglich ist, ist dem Menschen als Gottes Widerspiegelung möglich.“ Dies zeugt von einer wahrhaft kindlichen Haltung.
Jeder Schritt vorwärts, den wir tun, ist für andere eine Herausforderung und eine Gelegenheit, sich zu denselben Leistungen zu erheben und sie zu übertreffen. Wir können feststellen, daß ein Rekord im Sport, der einmal gebrochen wurde, sehr bald immer wieder gebrochen wird. Wenn jemand in einem Wettbewerb Besseres geleistet hat als wir, so sollten wir ihm dankbar sein, weil das, was er erreicht hat, auch uns den Weg zu größeren Leistungen auftut.
Eine junge Christliche Wissenschafterin hatte sich schon früh beim Wettschwimmen ausgezeichnet, aber manchmal, wenn sie von Freundinnen gebeten wurde, sie nicht zu beschämen, leistete sie nicht ihr Bestes. Auf Gebieten, auf denen sie selbst weniger befähigt war, stellte sie bei ihnen jedoch nicht den gleichen Grad der Rücksichtnahme fest.
Sie war eine gute Schülerin in der Oberschule, fand es jedoch schwer, sich an Unterrichtsgesprächen zu beteiligen und mündliche Berichte abzugeben. Um ihre Schwierigkeit zu überwinden, nahm sie an einem Rednerkursus teil. Zum Schluß wurde von allen Kursusteilnehmern gefordert, daß sie sich an einem Wettstreit beteiligten, bei dem jeder von ihnen vor einer großen Zuhörerschaft von Schülern und Erwachsenen sprechen mußte. Die Wissenschafterin sah nicht, wie sie das jemals tun könnte.
Ihre Furcht war so groß, daß sie einmal bis spät in die Nacht Stellen aus den Werken von Mrs. Eddy las und darüber nachdachte. Dabei wurde ihr klar, daß ihre Furcht dadurch hervorgerufen worden war, daß sie sich ärgerte und andere beneidete, denen das Reden leicht fiel. Sie beneidete besonders ihre beste Freundin, die in allen Dingen immer etwas besser war als sie selbst.
Bei diesem Gedanken nahm sie ihre Konkordanzen zur Hand und las in Mrs. Eddys Werken die Stellen über Neid und Eifersucht. Besonders gefiel ihr, was unsere Führerin in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit“ sagt (S. 541): „Kain, der auf seines Bruders Gabe eifersüchtig ist, trachtet Abel nach dem Leben, statt seine eigene Gabe zu einem höheren Tribut für den Allerhöchsten zu machen.“ Sie erkannte, daß es an ihr war, ihre eigene Gabe höherzuentwickeln und sie des Allerhöchsten würdig zu machen, statt die Zeit damit zu vergeuden, daß sie sich wünschte, ihre Mitschüler wären nicht so gut in ihren Leistungen.
Sie sparte keine Mühe, die menschlichen Schritte zu tun und sich für den Wettstreit vorzubereiten: sie lernte ihre Rede auswendig, übte sich darin, den richtigen Nachdruck auf die Worte zu legen und laut und klar zu sprechen.
An dem Abend, an dem der Wettstreit stattfand, war sie ruhig, in der Gewißheit, daß Gott sie führte und stützte. Sie wußte, sie würde ihr Bestes zur Ehre Gottes tun und es dabei belassen. Plötzlich rief der Ansager ihren Namen außer der Reihe auf, aber selbst diese plötzliche Änderung erschreckte sie nicht. Sie begann sogleich mit ihrer Rede. Die Worte kamen ihr mühelos. Sie sprach weder zu schnell noch zu langsam. Ihre Stimme wurde überall im Saal gehört, und sie war imstande, ohne Scheu in die Zuhörerschaft zu blicken.
Als die Reden vorbei waren, gaben die Schiedsrichter ihrer besten Freundin, wie erwartet, den ersten Preis, aber die junge Wissenschafterin erhielt den zweiten Preis. Es konnte kein Gefühl der Eifersucht aufkommen, sondern nur Freude darüber, daß ihr eigener Beitrag besser war, als sie vermutet hatte.
Als sie ihrer Mutter zu Hause erzählte, wie sie dieses Problem ausgearbeitet hatte, freuten sie sich beide sehr, und es war ihnen klar, daß es nun wichtig war, kein Gefühl des Stolzes einzulassen, sondern der Ermahnung des Meisters zu folgen: „So soll euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Matth. 5:16). Die Wissenschafterin wußte, daß sie nichts aus sich selbst getan hatte, sondern daß es das Verständnis von ihrem wahren Wesen war, das diese Ergebnisse herbeigeführt hatte.
Neid über die Leistungen anderer verrät Mangel an Bereitwilligkeit, bessere Arbeit zu leisten. Wenn wir zu allen Zeiten unser Bestes tun, dann stecken wir für jeden einzelnen ein höheres Ziel. Das ist die wahre Auffassung von Wettbewerb.
Wenn wir der Herausforderung eines Wettbewerbs gegenüberstehen, ist es gut, an die Zusicherung unserer Führerin zu denken (Wissenschaft und Gesundheit, S. 199): „Die Hingabe des Gedankens an ein ehrliches, großes Werk macht dieses Werk möglich.“
