In der klassischen Mythologie gibt es eine Geschichte über einen Mann namens Tantalus, der wegen seiner Sünden von den Göttern zu immerwährendem Hunger und Durst verdammt worden war. Er befand sich in der Mitte eines Sees, und das Wasser reichte ihm bis zum Kinn, und die erlesensten Früchte hingen vor seinen Augen; aber sowohl Wasser wie Früchte wichen immer wieder zurück, wenn er voll Verlangen davon genießen wollte.
Haben nicht viele von uns zu irgendeinem Zeitpunkt ähnliches wie dieser mythische Sterbliche empfunden, wenn nämlich nach menschlichem Ermessen unsere eigenen Bestrebungen und Wünsche durch eine scheinbar außerhalb unserer Kontrolle bestehende Macht in grausamer Weise durchkreuzt wurden? Wie glücklich sind doch die, die durch die Christliche Wissenschaft [Christian Science] gelernt haben, Enttäuschung und Nichterfüllung ihrer Wünsche als das anzusehen, was sie wirklich sind: Mythen der Sterblichkeit, die keinen Teil haben am Leben des Menschen, der das geliebte Kind Gottes, des unsterblichen Gemüts, ist.
Mrs. Eddy macht diesen Punkt auf Seite 531 ihres Buches „Wissenschaft und Gesundheit“ klar. Sie schreibt dort: „Die mythologische Theorie vom materiellen Leben gleicht in keinem Punkt dem wissenschaftlich christlichen Bericht vom Menschen, der vom Gemüt zum Bild und Gleichnis Gottes erschaffen worden ist und Herrschaft über die ganze Erde hat.“ Wenn wir lernen, die „mythologische Theorie vom materiellen Leben“ als eine Theorie, die keinen Einfluß auf uns hat, zurückzuweisen, und auf unsere Herrschaft als die Widerspiegelung Gottes Anspruch erheben, dann kann uns keine Macht der Erde daran hindern, Gutes zu erleben.
Gottes heiliger Vorsatz für Sein Kind wird in der Bibel als das Himmelreich oder das Reich Gottes beschrieben. Mrs. Eddy definiert „Himmelreich“ in „Wissenschaft und Gesundheit“ als „die Herrschaft der Harmonie in der göttlichen Wissenschaft; das Reich des unfehlbaren, ewigen und allmächtigen Gemüts; die Atmosphäre des Geistes, in der Seele allerhaben ist“ (S. 590).
Diese Definition entspricht den Worten Jesu, der den Pharisäern eine aufrüttelnde Antwort gab, als sie ihn drängten, das Kommen des Reiches Gottes vorherzusagen. Er sagte (Luk. 17:20, 21): „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! oder: da! Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch.“
In jedem von uns liegt die Fähigkeit, die Herrschaft Gottes, die bereits besteht, zum Ausdruck zu bringen — die Macht der Wahrheit, die Ordnung des Prinzips, die Intelligenz des Gemüts, die Sanftmut der Liebe, den Überfluß und die Schönheit der Seele, die vollkommene Substanz des Geistes. Es ist der Wille Gottes für Seine Kinder, daß sie dieses Gute ausdrücken.
Das Wirken der Regierung Gottes, des göttlichen Prinzips, erhält diesen vollkommenen Willen aufrecht. Sein Gesetz wirkt unaufhörlich, und weil Er die Allmacht und Allgegenwart ist, gibt es keine entgegengesetzte Kraft, die die wohltuende Wirksamkeit dieses Gesetzes hindern, verzögern oder zum Stillstand bringen könnte. Gottes Gesetz ist das Gesetz der Erfüllung
Dies wurde von einem jungen Mädchen bewiesen, als ihr Wunsch zu studieren daran zu scheitern schien, daß das nötige Geld fehlte. Der Wunsch selbst erschien berechtigt, und in der Wahl der Hochschule schien sie von Gott geführt zu sein. Weil sie dringend Geld brauchte, reichte sie ihr Aufnahmegesuch zusammen mit einem Antrag auf finanzielle Unterstützung ein und wartete dann mit betendem Herzen und zugleich gespannt in beiden Angelegenheiten auf Nachricht.
Nach vielen Wochen kam der Bescheid: Sie war als Studentin aufgenommen, aber bezüglich der erbetenen Unterstützung auf eine Warteliste gesetzt worden. Ihre Enttäuschung war groß, denn ohne die Unterstützung erschien das Studium undenkbar; sie ließ sich jedoch nicht entmutigen. Dann kam eines Tages ein Brief mit der Mitteilung, daß sie als Empfänger eines besonderen Fonds, der ihr zu ihrer Ausbildung verhelfen sollte und an den sie nie gedacht hatte, bestimmt worden war.
Obwohl sie dankbar dafür war, so war dieses Angebot doch zu niedrig, um ihren vollen Bedarf zu decken, und eine Zeitlang war sie versucht zu glauben, sie befände sich in der Lage des Tantalus: beinahe in Reichweite des Guten, entzog es sich ihr. Während dieser Augenblicke der Enttäuschung kamen ihr jedoch die Worte eines Liedes aus dem Liederbuch der Christlichen Wissenschaft in den Sinn, und sie sang sie, während sie die notwendigen Schritte unternahm, um sich auf die Hochschule vorzubereiten (Nr. 374):
Wir danken Dir und preisen Dich,
Gott, der uns erschuf,
Daß Du, noch eh’ wir bitten,
Hörst Deiner Kinder Ruf.
Dank sei Dir, Vater-Mutter,
Daß Du Gebet erhörst.
Sie nahm diese Worte als wahr in sich auf und wurde einige Wochen später dafür belohnt. Ein Stipendium wurde für sie frei und kam zu dem anderen Fonds hinzu. So war ihr Bedarf, als sie im Herbst ihr Studium begann, über alles menschliche Planen hinaus reichlich gedeckt. Dieser Beweis von der Fürsorge der göttlichen Liebe erwies sich lediglich als der Anfang der Entfaltung des Guten in ihrer Studienzeit.
Weder der sündige Sterbliche noch dessen ewige Pein, noch die rachsüchtigen Götter der Tantalusgeschichte haben zu irgendeiner Zeit außerhalb des Mythos selbst existiert. Dank der Christlichen Wissenschaft [Christian Science], die die Untrennbarkeit des Menschen von seinem liebevollen Vater-Mutter Gott offenbart, brauchen wir uns niemals verleiten zu lassen, die Mythe anzuerkennen, die besagt, daß der Mensch ein Sterblicher sei, der der Enttäuschung, dem Mangel oder anderen Disharmonien unterworfen ist.
Mrs. Eddy schreibt (Wissenschaft und Gesundheit, S. 339): „Wie die Mythologie des heidnischen Rom einer geistigeren Idee von der Gottheit gewichen ist, so werden unsere materiellen Theorien geistigen Ideen weichen, bis das Endliche dem Unendlichen, bis Krankheit der Gesundheit, Sünde der Heiligkeit Raum gibt und Gottes Reich kommt ‚auf Erden wie im Himmel‘.“
Der Himmel — die Harmonie —, der für uns eine strahlende Hoffnung darstellt, ist nicht etwas, was sich gerade außerhalb unserer Reichweite befindet. Er ist innerhalb des Bereiches des geistigen Verständnisses eines jeden von uns, denn das Gute macht ja die Wesenheit des Seins des Menschen als des Bildes Gottes aus, und die Erfüllung kommt, wenn wir diese geistige Tatsache erkennen und anerkennen.
Dieses immergegenwärtige Gute kann jetzt im Leben jedes einzelnen demonstriert werden, wenn in der Wissenschaft verstanden wird, daß Frieden, Gesundheit, Versorgung, wahre Tätigkeit, Kameradschaft und Heim in der Vollständigkeit und Vollkommenheit des Menschen, der zusammengesetzten Idee des unendlichen Gottes, des Guten, eingeschlossen sind.
Allen denen, die sich darum mühen, einen rechtmäßigen Wunsch erfüllt zu sehen, gelten die folgenden sanften Segensworte Jesu (Matth. 5:6): „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“
