Die Liebe zur Wahrheit ist jedem menschlichen Wesen eigen. Sie ist der bestimmende Faktor für die Beschaffenheit unseres Lebens, eine Beschaffenheit, die natürlicherweise davon abhängt, was für einen Begriff wir von der Wahrheit haben. Je geistiger dieser Begriff ist, desto edler ist das dadurch inspirierte Leben und desto erhebender seine Wirkung auf andere.
Was ist Wahrheit? Das menschliche Denken hält Wahrheit einfach für das, was so und nicht anders ist oder — wie in der Mathematik — für das, was das Ergebnis fehlerfreier Berechnungen ist. Das entspricht aber nicht dem Begriff von Wahrheit, der Liebe zur Wahrheit weckt und dadurch zu einem edleren Leben inspiriert. Mary Baker Eddy zeigt uns in ihrem Buch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ den Weg: „Den geistigen Sinn der Wahrheit müssen wir erlangen, ehe wir Wahrheit verstehen können. Diesen Sinn eignen wir uns nur dann an, wenn wir ehrlich, selbstlos, liebevoll und sanftmütig sind. In den Boden von, einem feinen, guten Herzen‘ muß der Same gesät werden; sonst bringt er nicht viel Frucht, denn das säuische Element in der menschlichen Natur entwurzelt ihn.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 272; Mit dem Verständnis der geistigen Bedeutung von Wahrheit kommt die Liebe zur Wahrheit, die zum Leitstern im menschlichen Leben wird; sie erhebt es über das falsche Empfinden von Hilflosigkeit angesichts der Fallen, die das Böse stellt, der Einschüchterungen der Materie und der Krankheit, angesichts alles dessen, was sich als Wirklichkeit ausgibt.
Im höchsten und geistigen Sinne, wie er durch die Christliche WissenschaftChristian Science; sprich: kr’istjәn s’aiәns. erlangt wird, ist Wahrheit das, was ist und immer gewesen ist, das, was wirkliches und ewiges Dasein hat. Daß Gott Wahrheit ist, geht aus der Bibelstelle hervor: „Ein Gott der Wahrheit und ohne Falsch, gerecht und wahrhaftig ist er.“ 5. Mose 32:4 (n. der engl. Bibel); In der Christlichen Wissenschaft wird Wahrheit oder Gott als Gemüt oder Geist verstanden, als die Quelle oder der Schöpfer seiner eigenen Kundwerdungen — alles dessen, was wirklich existiert. Folglich besteht alles Wirkliche zugleich mit Gott, der wahrlich das Leben oder die Seele Seiner eigenen Schöpfung ist.
Da Wahrheit Geist ist, ist ihr Ausfluß oder ihre Schöpfung geistig. Sie schließt den Menschen, die individuelle geistige Widerspiegelung Gottes, ein. Das Gesetz der Wahrheit ist daher das Gesetz des Lebens, das erschaffende und ewiglich erhaltende Gesetz des Universums. Gott kennt den Menschen, wie er wirklich ist, als wahrhaftig, liebevoll und liebenswert; und der Mensch kennt Gott als seinen göttlichen Urheber oder sein göttliches Prinzip, als die alles-spendende göttliche Liebe. Die Liebe zur Wahrheit und der Wunsch, sie zum Ausdruck zu bringen, sind daher untrennbare Bestandteile der Natur und des Charakters der wahren Selbstheit eines jeden von uns.
Diese durch die Christliche Wissenschaft so klar und logisch dargelegten Tatsachen erfüllen den Anhänger dieser Religion mit einer tiefempfundenen Treue gegen den Standard der Lauterkeit und geistigen Liebe, den die Wahrheit aufstellt. Da sich unsere besten Fähigkeiten nur dann entfalten, wenn wir dem dienen, was wir wahrhaft lieben, wird unsere Liebe zur Wahrheit uns drängen, hingebungsvoll und erfolgreich Gott zu dienen.
Das Verständnis von der Wahrheit als Liebe wird auch die klare Auffassung mit sich bringen, daß kein Gedanke, kein Beweggrund oder Zweck wahrhaft intelligent oder recht ist, er sei denn liebevoll; noch ist er wahrhaft liebevoll, er sei denn — wie die Wahrheit — intelligent und ganz und gar recht.
Unsere Liebe zur Wahrheit ist es, die uns die Fähigkeit verleiht, rasch zwischen selbstischen Regungen und großmütigen, liebevollen Regungen zu unterscheiden; zwischen selbstgerechten Beweggründen und der Absicht, sich selbst zu berichtigen; zwischen dem Hang zur Nachsicht gegen sich selbst und der wachsamen Selbstdisziplin. Der Sieg in dem Kampf, die rechte Wahl zu treffen, wird durch unsere Treue zum Christus, zur Wahrheit, entschieden, durch unsere geistige Überzeugung, daß die Wahrheit allein wirklich und gut ist. Dieser geistige Kampf geht weiter. Mit den Worten des Apostels Paulus: „Wir zerstören damit Anschläge und alles Hohe, das sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alle Gedanken unter den Gehorsam Christi.“ 2. Kor. 10:5;
Unsere Liebe zum Christus ist es, die uns Gott als Wahrheit nahebringt, die auch dazu beiträgt, daß wir jeden hartnäckigen oder plötzlichen Drang, eifersüchtig oder furchtsam zu sein oder zu hassen, nicht als unseren eigenen Impuls erkennen, sondern als eine schädliche Suggestion des sogenannten fleischlichen Gemüts. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß ein solches entschiedenes und rasches Erkennen des Bösen als Böses der notwendige erste Schritt ist, um das Böse zu widerlegen und auf diese Weise davon frei zu bleiben.
Man kann nicht die Wahrheit lieben und nicht von ihr regiert werden, man kann sich nicht ihre Ideen zu eigen machen und gleichzeitig bereitwillig sein Denken von den Irrtümern des materiellen Sinnes beeinflussen lassen. Man kann nicht die alleinige Güte und Intelligenz der Wahrheit verstehen und mit Verehrung und Liebe an ihr festhalten, ohne dabei, mit der dieser Liebe entstammenden Kraft und Treue, den lügenden Suggestionen und Verführungen eines bösen Sinnes zu widerstehen. Unsere Liebe zur Wahrheit ist deshalb unser Schutz gegen moralische Versuchung, gegen die Ansprüche körperlicher Disharmonie und gegen die Verwirrung, die Ängste und Enttäuschungen, in die uns der materielle Sinn hineinzieht. Unsere Liebe zur Wahrheit ist in der Tat unser „Frühwarnsystem“.
Christus Jesus besaß das natürliche Verständnis von der wunderbaren Unversehrtheit und Güte des Menschen, der von Gott erschaffen und demzufolge völlig geistig ist: der vollkommene Ausdruck der lauteren Weisheit und der unwiderstehlichen Macht des Vaters aller. Dieses Verständnis bildete die Christusgemäßheit im Wesen des Meisters, die Christusgemäßheit, die in seiner absoluten Liebe und Treue zur Wahrheit zum Ausdruck kam. Sein Christusgeist befähigte ihn, seine eigene ehrerbietige Liebe zur Wahrheit und zu ihrer Widerspiegelung, dem Menschen, anderen zuteil werden zu lassen und dadurch ihre Ideale, ihr Wesen und ihre ganze irdische Erfahrung zu seiner eigenen geistigen Höhe zu erheben.
Das Beispiel der reinen Liebe des Meisters zur Wahrheit spricht heute in der Christlichen Wissenschaft zu uns und erweckt in uns den Wunsch nach jenem geistigen Wachstum, wodurch wir seiner Macht, spontan zu heilen, nacheifern können. Geistiges Wachstum kommt, wenn unsere Liebe zur Wahrheit, die uns durch den Christus zuteil wird, in tätiger, lebendiger Liebe zu unserem Nächsten Ausdruck findet.
Um aber fähig zu sein, den einzelnen und alle zu lieben, müssen wir lernen, in unserer täglichen Erfahrung die reine und liebenswerte geistige Identität derer zu sehen, die von sich glauben, sie seien schwache Sterbliche, und auch dementsprechend handeln. Diese Aufgabe verlangt ein klares Verständnis von dem Christus und eine kompromißlose Treue zu ihm. Unsere Führerin, Mrs. Eddy, schreibt: „Wir sollten unsere Liebe zu Gott an unserer Liebe zum Menschen messen; und unser Verständnis von der Wissenschaft wird gemessen an unserem Gehorsam Gott gegenüber, indem wir das Gesetz der Liebe erfüllen, allen Gutes tun, allen innerhalb unseres Gedankenbereichs Wahrheit, Leben und Liebe mitteilen, soweit wir selbst sie widerspiegeln.“ Vermischte Schriften, S. 12; Wir sollten uns zu Herzen nehmen, was Paulus den Philippern versicherte: „Denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, zu seinem Wohlgefallen.“ Phil. 2:13.
