Hinter Gefängnistüren
Nehmen Sie einen neunjährigen Jungen, unstet und seelisch gestört, trennen Sie ihn von seiner Familie, schicken Sie ihn in eine Besserungsanstalt und danach in eine andere und wieder in eine andere. Elf lange Jahre gehen dahin. Niemand aus seiner Familie kommt ihn jemals besuchen. Aus dem Jungen wird ein Mann, und die Welt nimmt kaum Notiz davon.
Nun ist er zwanzig Jahre alt und hört sich in einem Gefängnis im amerikanischen Staat Indiana einen christlich-wissenschaftlichen Gottesdienst an. Dann verwendet er seine Freizeit darauf, den christlich-wissenschaftlichen Betreuer aufzusuchen. (Er hätte statt dessen ins Kino gehen können.) Er hört, daß Gott Vater und Mutter ist. „Du weißt, Gott liebt dich“, sagt der Betreuer. Der junge Mann antwortet: „Ich weiß nicht; ich hoffe es.“
Am Sonntag hört er sich im Gottesdienst aufmerksam die im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft enthaltene Bibellektion über Liebe an, und etwas berührt ihn dabei sehr tief. Die Ketten des Einsamkeitsgefühls lösen sich ein wenig. Nach dem Gottesdienst eilt er zum Leser und erklärt: „Ich sagte, ich hoffe, daß Gott Liebe und Vater und Mutter ist, aber jetzt weiß ich es.“
Die Mutterkirche und viele ihrer Zweige unterhalten schon jahrelang Komitees, die Betreuer und Freiwillige vermitteln, durch die in städtischen, Kreis- und staatlichen Heilanstalten und Gefängnissen christlich-wissenschaftliche Literatur verteilt, Gottesdienste abgehalten und christlich-wissenschaftliche Behandlung gegeben wird. Die Christlichen Wissenschafter kommen in diesen Institutionen dem Bedürfnis nach geistiger Hilfe entgegen. Sie tun das nicht als Privatpersonen, sondern im Rahmen ihrer Zweigkirchenarbeit. In einigen Staaten der USA wird die Arbeit von einem Komitee getan, das von allen beteiligten Kirchen für den ganzen Staat ernannt wird. Diese Komitees sind nicht selbständig, sondern handeln nach Weisung der Kirchen. Ihre Arbeit in Institutionen, die der Bundesregierung in Washington unterstehen, muß vom Vorstand der Christlichen Wissenschaft genehmigt werden, weil die betreffenden Arbeiter von der Regierung anerkannt sein müssen. Für diese Arbeit ist Die Mutterkirche nicht zuständig, doch der Vorstand der Christlichen Wissenschaft erteilt Auskunft darüber und beantwortet Anfragen.
Gewöhnlich kommt die Bitte um christlich-wissenschaftlichen Beistand von einem Insassen, dem eine der christlich-wissenschaftlichen Zeitschriften in die Hände fällt oder der in der Gefängniszeitung die Notiz über den christlich-wissenschaftlichen Gottesdienst oder einen Vortrag liest. Vielleicht erinnert er sich an einen Verwandten, dem diese Wissenschaft geholfen hat; vielleicht ist er einmal mit dieser Religion vor langer Zeit selbst kurz in Berührung gekommen.
In einer Strafanstalt trug sich ein Häftling mit Selbstmordgedanken. Er wurde dazu geführt, mit einem Betreuer zu sprechen, und wurde ein aufrichtiger Christlicher Wissenschafter; später bewies man ihm gegenüber besonderes Vertrauen und ließ ihn außerhalb der Gefängnismauern arbeiten. Dann stellte sich jedoch Disharmonie ein, und er entschloß sich zur Flucht. Bald darauf meldete dann das Radio: „Ein Schwerverbrecher ist entflohen.“ Aber die christlich-wissenschaftlichen Betreuer beteten. Nach fünf Tagen stellte sich der entsprungene Häftling wieder ein. Nun macht er seinen Rückfall wieder gut. Er gestand dem Betreuer, er habe seinen Fehler schon eine halbe Stunde nach seiner Flucht eingesehen. Obwohl er Hunger hatte und schmutzig war, brachte er es nicht über sich, wieder gegen das Gesetz zu verstoßen, auch nicht, um seinen Hunger zu stillen.
Während andere Sozialarbeit leisten, um die Häftlinge wieder ins normale Leben einzugliedern, gewährt der Christliche Wissenschafter eine rein geistige Hilfe. Er verrichtet keine Botendienste für den Häftling, sucht ihm keine Arbeit und erwirkt keinen Straferlaß. Doch was er tut, wandelt die Lebenseinstellung des Sträflings, so daß er von den Sozialdiensten und von der Ausbildung, die ihm angeboten werden, profitieren kann. Die Christliche Wissenschaft stärkt den Wunsch, ehrlich und verläßlich zu sein und vorwärtszukommen. Oft führt sie den prahlerischen Häftling dazu, Verbrechen zu verabscheuen, und sie strömt stets Erbarmen aus, um die Unglücklichen und Verbitterten aufzurichten.
Die Betreuer werden vor den Gefahren falschen Mitgefühls gewarnt. Und wenn christlich-wissenschaftliche Behandlung gegeben wird, muß sichergestellt sein, daß der Patient während dieser Zeit freiwillig keine ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt. Die Christliche Wissenschaft weiß von eindrucksvollen Fällen zu berichten, in denen sich Häftlinge innerhalb kurzer Zeit besserten und draußen wieder ein sinnvolles Leben führen. Doch solch eine Besserung tritt nicht immer über Nacht ein. Es bedarf der Geduld, während geistige Einsicht, Inspiration und Offenbarung ihre Arbeit tun.
