Eine Freundin der Verfasserin, eine Christliche Wissenschafterin, war mit Familienproblemen belastet, die ihr schwierig erschienen, und sie erzählte eines Tages von ihren Bemühungen, diese zu lösen, und sagte: „Wenn ich bei meiner Arbeit allein sein kann, geht alles gut. Es sind die anderen, die mich fertig machen.“ Wir mögen vielleicht das gleiche denken. Ein Familienangehöriger mag dem Anschein nach unserem Glück oder unserem Fortschritt im Wege stehen. Wenn dies der Fall ist, müssen wir ernsthaft über die Angelegenheit nachdenken und uns der Bibel zuwenden, wie uns die Christliche Wissenschaft lehrt. Was sollen wir über andere denken?
Die Heilige Schrift lehrt, daß Gott den Menschen zu Seinem Bild und Gleichnis geschaffen und ihm Herrschaft über die ganze Erde gegeben hat. Christus Jesus veranschaulichte diese Lehre und bewies durch seine Heilungen die Allgegenwart und Vollkommenheit dieses Schöpfers, Gottes, den er unseren Vater nannte. Die Christliche Wissenschaft erklärt Jesu Heilungen, indem sie zeigt, daß sie auf die unanfechtbare Tatsache gegründet sind, daß Gott sein gutes Werk immerdar unversehrt erhält. Was ist dann das Böse? Mrs. Eddy erklärt es als Illusion, falsche Annahme oder Irrtum. Und in der Tat, das Böse oder die Sünde, das die göttliche Schöpfung verleugnet und als unvollkommen erklärt, ist unbedingt eine Irrtumsannahme, da Gott in Seinem Werk keinen Fehler machen konnte.
Was sollen wir dann von dem sündigen, sterblichen Menschen denken? Daß er ein Trugbild ist und nur dem äußeren Anschein nach Wirklichkeit besitzt. Wissenschaftliche Forschungen haben ergeben, daß unsere Augen uns täuschen. Es wird zum Beispiel zugegeben, daß optische Täuschungen ein für allemal irrig sind, denn die Wissenschaftler haben die Existenz eines optischen Gesetzes, das dem Zeugnis unserer Augen widerspricht, bewiesen. Und wenn es noch so wirklich zu sein scheint, daß die Sonne jeden Abend im Meer versinkt, so weiß doch jeder, daß dies nicht der Fall ist.
Neigen wir nicht dazu, ähnliche Illusionen über den Menschen, über sein Leben, sein Wesen und sein Schicksal zu hegen? Zweifellos, denn wir betrachten unsere Mitmenschen als eine Mischung von guten und schlechten Eigenschaften, von Gutem und Bösem. Wenn wir aber in unserem Denken die optische Täuschung von der entsprechenden Tatsache trennen können, das heißt, wenn wir der einen ihren illusorischen Charakter lassen und uns rückhaltlos der anderen zuwenden, sollten wir dies genausogut mit dem Menschen tun können und die guten Eigenschaften von den schlechten trennen.
Die Christliche Wissenschaft zeigt uns die Inkonsequenz der Annahme, daß ein Mensch gleichzeitig gut und schlecht sein kann, und sie fordert von uns, eine Entscheidung zu treffen, die auf der Tatsache beruht, daß Gott den Menschen geschaffen und ihn als sehr gut angesehen hat. Die Christliche Wissenschaft lehrt uns nicht, unsere Augen dem Bösen gegenüber zu verschließen und die Fehler unseres Nächsten zu lieben. Sie lehrt uns, ihn so zu lieben, wie er geschaffen wurde, ihn kennenzulernen, wie Gott ihn kennt.
Es ist unmöglich, Böses und Unzulänglichkeiten zu lieben, selbst wenn sie mit dem Guten vermischt zu sein scheinen. Doch wenn wir die trügerische Natur einer jeglichen Sünde verstehen und dann diesen Irrtum vom Menschen trennen und ihn somit in unserem Denken mit seinem Schöpfer vereinen, wie er es ja in der Tat ist, machen wir unseren ersten Schritt auf dem Wege zur Wirklichkeit. Wenn wir anfangen, auf diese Weise unseren Nächsten wie uns selbst zu lieben, ohne leere Selbsterniedrigung, ohne Heuchelei und ohne gegen die falsche Auffassung, die jemand von sich haben mag, nachsichtig zu sein, wird der von Gott geliebte Mensch in all seiner Herrlichkeit in unserem Bewußtsein erscheinen, angetan mit seiner natürlichen Güte.
Die Illusion vom Bösen kann nicht lange währen, wenn sie von der Person getrennt wird, so daß sie in unserem Denken alle Form, Farbe und Wirkung verliert. Wir sehen sie dann als eine flüchtige Annahme, ohne Halt, ohne Macht, ohne Leben. Wenn wir aber den Fehlern der Menschen ebensoviel Gültigkeit beimessen wie deren guten Eigenschaften, sind wir wie der einfältige Mann, der sich jeden Abend grämte, wenn er die Sonne am Horizont verschwinden sah, und jeden Morgen beim Sichtbarwerden der ersten Lichtstrahlen frohlockte.
Wir lesen im Brief des Jakobus: „Denn so jemand ist ein Hörer des Worts und nicht ein Täter, der ist gleich einem Mann, der sein leiblich Angesicht im Spiegel beschaut. Denn nachdem er sich beschaut hat, geht er davon und vergißt von Stund an, wie er gestaltet war. Wer aber durchschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit und darin beharrt und ist nicht ein vergeßlicher Hörer, sondern ein Täter, der wird selig sein in seiner Tat.“ Jak. 1:23–25;
In allen Tätigkeitsbereichen können wir unsere Arbeit dadurch vervollkommen,daß wir das Gute vom Bösen, das Wahre vom Falschen trennen. Ein Mathematiker sucht die Fehler in seiner Kalkulation und beseitigt sie. Ein Schüler liest sein Diktat nochmals durch und berichtigt seine Fehler. Genauso ist das von moralischen Werten durchdrungene Leben eines Menschen ein Suchen nach Vollkommenheit, in dessen Verlauf Böse vom Guten getrennt wird, weil wir gelernt haben, daß diese beiden nicht zusammen bestehen können.
Es scheint schwieriger zu sein, Sünde auszumerzen, als Krankheit auszumerzen. Der Sünder hält an seinen Fehlern fest, während der Kranke von seinen Leiden befreit werden möchte. Ja, der Kranke ist sehr willig, sich vom Irrtum in Form von Krankheit zu trennen. Doch wäre der gleiche Mensch ebenso bereit, sich von einem Fehler zu trennen, der ihm als ein wesentlicher Bestandteil seiner Selbst erschien, als ein Teil seines Wesens, seiner Persönlichkeit? Wenn sich jemand dieser Frage gegenübergestellt sieht, könnte er antworten: „Niemand kann über seinen eigenen Schatten springen. Man muß mich nehmen, wie ich bin.“ Und wenn er darauf hingewiesen wird, daß seine Fehler ererbt sind, dann wird er nicht davon abzubringen sein, daß sie gerechtfertigt sind. Ja, wenn wir glauben, daß diese Fehler ein Teil von uns seien, haben wir dann nicht den Eindruck, uns selbst zu schaden, wenn wir versuchen, sie auszumerzen? Doch Jesus sagte: „Wenn dir deine rechte Hand Ärgernis schafft, so haue sie ab und wirf sie von dir.“ Matth. 5:30;
Wir können uns nur dann vom Bösen trennen, wenn wir verstehen, daß es kein Teil des Menschen ist. Mrs. Eddy sagt vom Bösen: „Es ist weder Person, Ort noch Ding, sondern einfach eine Annahme, eine Illusion des materiellen Sinnes.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 71; Auch besteht es nicht als Gedanke, denn sie schreibt: „Die große Tatsache bleibt bestehen, daß das Böse nicht Gemüt ist.“ S. 398;
Das Problem scheint besonders schwierig zu sein, wenn es sich um Verfolgung handelt. Doch Jesus sagte: „Bittet für die, so euch ... verfolgen.“ Matth. 5:44; Das einzige Gebet, das wir für jene verrichten dürfen, die uns übel wollen, ist das Gebet der Vergebung. Dieses Gebet sollte darin bestehen, daß wir Gott, den Vater aller, bitten, uns von den Trugbildern, die wir von Seinen Kindern haben, zu erretten.
Durch solch ein Gebet können wir unsere eigene Vergebung erlangen. Anstatt uns von anderen mit Furcht oder Unwillen zu trennen, lernen wir, sie zu lieben. Wenn wir verstehen, daß der Verfolger das erste Opfer des Bösen ist, empfinden wir Mitleid mit ihm. Wenn sich unser Bruder im Augenblick der wahren Selbstheit des Menschen nicht bewußt ist, so wollen wir uns ihrer um unser beider willen bewußt sein, anstatt selbst in die Falle zu gehen; wir wollen uns nur des vollkommenen Menschen bewußt sein, der keine Gemeinschaft mit dem gefälschten Bild des Menschen hat. Wir wollen nicht über das Ergebnis unserer Arbeit besorgt sein, denn unser Bewußtsein des Guten ist von Gott und spiegelt Seine Macht wider. Gott, Wahrheit, deckt den Irrtum auf. Wenn wir aber die Wahrheit über den Menschen wissen, wenn wir an jemand anders denken, schützt uns dies vor den Irrwegen des sterblichen Gemüts, während jemanden zu fürchten uns der Anfechtung aussetzt, weil wir uns der Annahme nach von Gott, dem furchtlosen Gemüt trennen, anstatt in unserem Denken den Irrtum vom Menschen zu trennen.
Wir wollen nicht müde werden, Gott zu vertrauen, und wir wollen daran denken, was uns die Bibel sagt — daß Gott das Licht von der Finsternis schied, ehe Er Sein Schöpfungswerk begann. Der Schöpfer des Guten hat uns den Sieg des Guten als unausbleiblich zugesichert. Durch diese Zusicherung bestärkt, können wir Jesu Ermahnung befolgen: „Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur.“ Mark. 16:15.