Als Christus Jesus durch die Straßen Jerusalems ging, begegnete er einem Mann, der von Geburt an blind war und keine Veranlassung hatte zu hoffen, daß er jemals sehen würde. Gedrängt von seiner Lebensaufgabe, durch die heilende Macht des Christus unbestreitbaren Beweis für seine Lehren zu erbringen, heilte er den Mann von seiner Blindheit. Bis ins Innerste aufgewühlt, lief dieser zu seinen Eltern und Nachbarn und erzählte ihnen das Wunderbare, das ihm geschehen war.
Doch die Pharisäer, anstatt für das Gute, das diesem Mann widerfahren war, dankbar zu sein, äußerten aus Rachsucht, daß sie dieser Heilung keinen Glauben schenkten; sie waren geistig blind, weil sie die Lehre Jesu, die sich von ihren eigenen, tief verwurzelten theologischen Grundsätzen so radikal zu unterscheiden schien, verurteilten und haßten.
Sie erklärten dem soeben von angeborener Blindheit Geheilten, daß sein Wohltäter ein Sünder sei, weil er den Gesetzen des Tempels nicht gehorchte. Sie stellten sogar in Frage, daß der Mann wirklich blind gewesen war. Obgleich seine Eltern selbst bestätigten, daß ihr Kind blind geboren worden war und jetzt tatsächlich sehen konnte, begegneten die Pharisäer ihm wiederum mit Ablehnung und Anklage. Statt sich in eine Diskussion über jedes ihrer Argumente einzulassen, entgegnete der Mann einfach und entschieden: „Ist er ein Sünder? Das weiß ich nicht; eines aber weiß ich: daß ich blind war und bin nun sehend.“ Joh. 9:25;
Gehört solch ein kategorisches Ableugnen der Möglichkeit geistigen Heilens gänzlich der Vergangenheit an? Keineswegs. Neulinge in der Christlichen Wissenschaft müssen zuweilen erleben, daß ihre eigenen Heilungen in ähnlicher Weise angezweifelt werden — und das angesichts der Tatsache, daß ihre Religion nicht nur die in Tausenden von Fällen bewiesene wissenschaftliche Erklärung ebender Macht ist, die die Blindheit jenes Mannes heilte, sondern auch die Lehre von der praktischen Anwendbarkeit dieser Macht.
Derartige Versuche, bewiesene Tatsachen auf der Grundlage scholastischer, theologischer Dogmen oder mit pseudo-wissenschaftlicher Argumentation in Abrede zu stellen, sind heute ebenso rege und fast so lautstark wie zur Zeit des Meisters. Ob diese hartnäckigen Argumente uns gegenüber persönlich geäußert werden oder uns und unsere Arbeit durch die Auswirkung, die sie auf das allgemeine menschliche Denken haben, nachteilig zu beeinflussen beanspruchen — die Christlichen Wissenschafter müssen sie erkennen und sich wissenschaftlich damit auseinandersetzen.
Das Ableugnen der geistigen Wahrheit und der geistigen Heilkraft ist die Folge einer festverwurzelten Materialität. Es ist das Ergebnis einer völlig auf der Materie basierenden Erziehung oder auch alter dogmatischer, theologischer Ansichten, die keine Abweichung zulassen, keinen Raum für logisches Denken gewähren und sich jedem Versuch, ihren Halt am menschlichen Denken zu lockern, widersetzen.
Und doch strebt die Menschheit nach Fortschritt durch Freisein von alten, abergläubischen Vorstellungen, physischen wie theologischen. Die angeborene Liebe zur Wahrheit ist es, die dieses Suchen vorantreibt — eine Triebkraft, die nicht unterdrückt werden kann. Bezugnehmend auf dieses Streben, schreibt unsere Führerin Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift: „Das Trachten nach dem himmlisch Guten kommt sogar schon, ehe wir entdecken, was der Weisheit und Liebe angehört.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 265; Wir können dieses Streben heute auf vielen Gebieten menschlicher Bemühungen feststellen, besonders bei den Naturwissenschaften, die unaufhörlich nach Ursprung, Wesen und Substanz des Menschen und der Quelle seines Lebens forschen. Die Christliche Wissenschaft befriedigt dieses Verlangen nach der Wahrheit, indem sie diese grundlegenden Fragen beantwortet und die Beweise dafür liefert. Ihre Erklärungen können jedoch nicht durch ein Vertrautsein mit der Physik oder Mathematik verstanden werden. Auch die materialistische Theologie ist keine Hilfe bei diesem Suchen; sie beeinträchtigt es vielmehr.
Die Wahrheit des Seins ist geistig; sie geht über den Bereich der materiellen Sinne, über deren Fähigkeit, sie zu verstehen, hinaus. Wiederum mit den Worten unseres Lehrbuchs Wissenschaft und Gesundheit: „Der materielle Sinn hilft den Sterblichen niemals zum Verständnis von Geist, Gott. Durch den geistigen Sinn allein begreift und liebt der Mensch die Gottheit. Die verschiedenen Widersprüche der materiellen Sinne gegen die Wissenschaft des Gemüts ändern die ungesehene Wahrheit nicht, die allezeit unversehrt bleibt.“ S. 481;
Die Christliche Wissenschaft zu verstehen und ihre Lehren täglich zu leben bringt Heilung von menschlicher Disharmonie jeder Art. Durch geistiges Heilen gleicht sich das Dasein des Menschen physisch und moralisch, sowie durch ein nützliches und wirklich befriedigendes Leben, der Natur seiner wahren Selbstheit an, die der individuelle geistige Ausdruck des schöpferischen göttlichen Gemüts, Gottes, ist.
Gewöhnlich besteht die erste Reaktion derjenigen, die im materiellen Sinn von Leben, Substanz und Ursächlichkeit verwurzelt sind, darin, daß sie sich weigern, die Möglichkeit des völlig geistigen Verfahrens des Christus-Heilens zuzugeben, manchmal sogar dann, wenn sie wie die Pharisäer seinen greifbaren Resultaten gegenüberstehen. Wissenschaft und Gesundheit erklärt: „Das Leugnen der Möglichkeit christlichen Heilens beraubt das Christentum gerade des Elements, das ihm göttliche Gewalt gab und das ihm seinen erstaunlichen und unvergleichlichen Erfolg im ersten Jahrhundert brachte.“ S. 134; Geistiges Heilen gibt der Christlichen Wissenschaft die göttliche Gewalt, die sie über das Niveau sowohl des Materie-Gottes der Biologie als auch der lediglich menschengemachten dogmatischen Theologie emporhebt.
Wir mögen nicht in der Lage sein, die neuesten Theorien der Physiker über das Wesen der Materie und den Meinungen der Biologen über den materiellen Ursprung des Lebens zu folgen, noch auch nur ihre Terminologie völlig zu verstehen. Doch dessen können wir immer gewiß sein, daß ihre Forschungen, wie wohlgemeint und nützlich sie auch sein mögen, nur die Übergangsphasen des materiellen und damit endlosen Suchens darstellen, das schließlich zu dem führt, was gegenwärtig jenseits der Erkenntnis der Physik, Chemie und Mathematik liegt: zur eigentlichen geistigen Wahrheit des Seins.
Die aggressiven Argumente der Biologie und Medizin führen manchmal dazu, jemanden, der sehr nötig Hilfe braucht, davon abzuhalten, sich an die Christliche Wissenschaft zu wenden. Solche abschreckenden Ansichten mögen, insbesondere wenn sie von jemandem geäußert werden, den wir schätzen, einen Anfänger sogar veranlassen, seine eigene Heilung anzuzweifeln und schließlich vielleicht auch noch abzuleugnen, und das um so mehr, wenn er — wie der von Blindheit geheilte Mann — seine erste heilige Erfahrung geistigen Heilens durch die Liebe und das Verständnis eines anderen gehabt hat. In Zeiten derartiger durch den Intellekt bewirkter mentaler Verwirrung kann sich der so Versuchte an die Antwort erinnern, die Christus Jesus einer anderen Gruppe verärgerter, materialistisch gesinnter Gegner gab: „Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemand. Wenn ich aber richte, so ist mein Gericht recht; denn ich bin nicht allein, sondern ich und der mich gesandt hat.“ Joh. 8:15, 16. Er kann dann an der einfachen, bestimmten Antwort festhalten, die der von Blindheit geheilte Mann den Pharisäern gab: „Eines aber weiß ich: daß ich blind war und bin nun sehend“ !
