Nachdem Christus Jesus den besessenen Gadarener geheilt hatte, fuhr er wieder über das Galiläische Meer zur Westseite, wahrscheinlich nach Kapernaum, wo ihn eine große Menschenmenge erwartete.
Jairus, ein Oberster der Synagoge, dessen zwölfjährige Tochter im Sterben lag, bat den Meister um Hilfe. Als Jesus mit Jairus zu dessen Haus ging, kam eine Frau, die den „Blutfulß“ hatte, von hinten aus der ihn drängenden Menge herzu und rührte sein Gewand an, in der Zuversicht, daß ihr geholfen würde. Sie wurde augenblicklich geheilt. (S. Mark. 5:21–34; vgl. Matth. 9:18–22; Luk.
Von Jairus' Haus kam die Botschaft, daß es nun zu spät sei, den Meister zu bemühen. Das Kind sei tot. Jesus sagte sogleich zu dem Obersten: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“ Er ließ niemanden mitgehen außer Petrus, Jakobus und Johannes. Als er zum Haus des Jairus kam, fand er eine andere Menschenmenge vor, die den Tod des Kindes mit lautem Jammern beklagte. Er schickte sie alle aus dem Haus und nahm nur die Eltern des Kindes und die drei Jünger mit, als er zu dem Kind ging. Und er „ergriff das Kind bei der Hand und sprach zu ihr [auf aramäisch]: Talitha kumi! das ist verdolmetscht: Mägdlein, ich sage dir, stehe auf! Und alsbald stand das Mädchen auf und ging umher.“ (S. Mark. 5:35–42; vgl. Matth. 9:23–26; Luk. 8:49–55.)
Matthäus erzählt als nächstes von zwei Blinden, die Jesus als den Sohn Davids ansprachen — eine Bezeichnung, die oft für den Messias gebraucht wurde — und ihn um Heilung anflehten. Sie bestanden die Prüfung ihres Glaubens, ihre Augen wurden geöffnet, und entgegen seinen Anweisungen verbreiteten sie die Kunde „in jenem ganzen Lande“ (s. Vers 27–31).
Die Heilung eines Stummen, der angeblich „besessen“ war, rief unterschiedliche Reaktionen hervor. Das Volk war von Jesu Heilarbeit sehr beeindruckt und sagte: „Solches ist noch nie in Israel gesehen worden.“ Obwohl die Pharisäer durch ihre Worte zeigten, daß sie die Heilung anerkannten, suchten sie die Bedeutung der Heilung herabzusetzen, indem sie wiederholt erklärten: „Er treibt die bösen Geister aus durch ihren Obersten“ — an anderen Stellen Beelzebub, Satan oder Teufel genannt (s. Vers 32–34).
In Hastings' Bibellexikon, Dictionary of the Bible, ist folgende Erklärung zu dem Thema Dämonen und Dämonenlehre zu finden (S. 211): „Die Verfasser biblischer Bücher haben, wie die meisten Völker des Altertums, an die Existenz geistiger Wesen geglaubt, die imstande sind, einen schädlichen Einfluß auf die menschlichen Verhältnisse auszuüben.“ Diese Wesen wurden als böse Geister oder Dämonen bezeichnet. Man glaubte, daß sie in einen Menschen „fahren“, von ihm Besitz ergreifen, durch ihn sprechen und sogar ernste Krankheiten herbeiführen konnten. Außerdem herrschte die Annahme, daß sie durch Geisterbeschwörer, komplizierte und oft eigenartige Riten und Zauberformeln „ausgetrieben“ oder gebannt werden konnten — Methoden, die dem göttlichen Heilen, das Christus Jesus ausübte, völlig fremd waren.
Im Markusevangelium wird nach der Auferweckung der Tochter des Jairus von der Rückkehr des Meisters nach Nazareth berichtet, wo er ebenfalls in der Synagoge lehrte, zur Verwunderung derer, die ihn von Kindheit an kannten. Doch weder sie noch seine Angehörigen — seine Brüder Jakobus, Joseph (oder Joses), Simon, Judas und seine Schwestern — zeigten anscheinend zu dieser Zeit Interesse an seinem Wirken. Ja, der Unglaube, den er dort vorfand, war für das Heilen hinderlich (s. Mark. 6:1–6; Matth. 13:53–58). Nach diesem Besuch, offenbar seinem letzten in Nazareth, unternahm er seine sogenannte dritte Reise durch Galiläa und fuhr fort zu lehren und zu heilen (s. Mark. 6:6; Matth. 9:35).
Die Schriftgelehrten und Pharisäer nahmen die Stellung der religiösen Führer ein. Aber der Meister, der sich immer stark bewußt war, daß die Menschheit der geistigen Erleuchtung und Führung bedurfte, sah, wie erbärmlich sie in der Führung des Volkes versagt hatten. Es verlangte ihn, für diejenigen zu sorgen, die er als Schafe ohne Hirten sah.
Deshalb bereitete er als nächstes seine zwölf Jünger auf eine Reise vor, auf der sie predigen und heilen sollten, damit die Möglichkeiten, die er voraussah, wahr würden: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter“ (Matth 9:37).
Er sandte die Jünger je zwei und zwei aus, doch nicht, ohne ihnen zuvor Anweisungen zu geben, wo sie hingehen sollten, was sie zu erwarten hatten und wie sie sich in den auftretenden Situationen verhalten sollten, und er stärkte sie mit geistiger Macht und Autorität. Er gab ihnen den Auftrag, zu predigen und zu sagen: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, reinigt Aussätzige, treibt böse Geister aus.“ (S. Matth. 10:1–42; vgl. Mark. 6:7–11; Luk. 9:1–5.) In der Zwischenzeit setzte er sein Werk fort.
Die Kunde von Jesu Heilarbeit begann Herodes Antipas zu erreichen. Herodes hatte schließlich Johannes den Täufer im Gefängnis enthaupten lassen, aber sein eifersüchtiger Argwohn ließ ihn glauben, daß Jesus eine erneute Fleischwerdung des berühmten Predigers sei. Jesus hielt es bald für weise, das Gebiet des Herodes zu meiden. (S. Matth. 14:1–13; Mark. 6:14–29; Luk. 9:7–9.)
Als die Jünger wieder zurückkamen, berichteten sie Jesus über die Ergebnisse ihrer Missionstätigkeit, und er forderte sie liebevoll auf (Mark. 6:31): „Geht ihr allein an eine einsame Stätte und ruhet ein wenig.“ Aber als sie den See nach Osten hin überquerten, folgten ihnen die Menschen nach; sie liefen an der Küste entlang, begierig, noch mehr Nutzen aus Jesu Lehren und Heilen zu ziehen. Sie wurden nicht enttäuscht, denn „er ließ sie zu sich“, wie Lukas berichtet (9:11), „und sagte ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die es bedurften“.
Als es Abend wurde, schlugen die Jünger vor, die Menschenscharen aus dieser öden Gegend wegzuschicken, damit sie sich etwas zu essen kaufen könnten. „Wir haben hier nichts als fünf Brote und zwei Fische“ (Matth. 14:17).
Jesus hieß die Menge — es waren ungefähr 5000 Männer, ohne die Frauen und Kinder —, sich auf dem Gras in geordneten Gruppen von etwa 50 zu lagern, und er „nahm die fünf Brote und die zwei Fische, sah auf gen Himmel und dankte und brach's und gab die Brote den Jüngern, und die Jünger gaben sie dem Volk. Und sie aßen alle und wurden satt und hoben auf, was übrigblieb von Brocken, zwölf Körbe voll.“ (S. Matth. 14:14–21; vgl. Mark. 6:30–44; Luk. 9:10–17; Joh. 6:1–13.)
Der Meister befahl dann den Aposteln, nach Bethsaida hinüberzufahren, während er die Menschen von sich ließ. Viele der Anwesenden erkannten in Jesus den verheißenen Messias, aber „da Jesus nun merkte, daß sie kommen würden und ihn greifen, damit sie ihn zum König machten, entwich er abermals auf den Berg, er selbst allein“, um zu beten (s. Joh. 6:14, 15; vgl. Matth. 14:22, 23; Mark. 6:45, 46).
In der Nacht, als die Jünger schon weit auf den See hinausgerudert waren, erhob sich plötzlich ein Sturm, wie er oft auf diesem kleinen See vorkommt. Irgendwann zwischen drei und sechs Uhr morgens, als Jesus sah, wie sich die Männer gegen den Wind abmühten, ging er auf dem Wasser zu ihnen. Zuerst dachten sie, es sei ein Gespenst, aber Jesus beschwichtigte ihre Furcht mit den Worten: „Ich bin's; fürchtet euch nicht!“ (Joh. 6:20.) Matthäus berichtet weiter, daß auch Petrus auf dem Wasser wandeln wollte. Der Jünger bedurfte jedoch bald der rettenden Hand des Erlösers. Sie stiegen in das Boot, und der Wind legte sich (s. 14:28–31).
Johannes schließt den Bericht dieses Ereignisses mit den bedeutsamen Worten (6:21): „Da wollten sie ihn in das Schiff nehmen; und alsbald war das Schiff am Lande, wohin sie fuhren.“ Dies war das Land Genezareth, am westlichen Ufer, wie uns Markus erzählt. Der Empfang, der Jesus erwartete, war der gleiche wie überall, wo er hinging. Die Menschen liefen ihm in Scharen zu, um geheilt zu werden.
