Carla bückte sich, um die Schrift auf dem Bürgersteig zu lesen. Dort, in großen schwarzen Buchstaben, las sie: „Carla stinkt.“
Sie wußte, wer die Worte geschrieben hatte. Die Kinder aus ihrer vierten Klasse. Dorie und Yvette hatten sie dazu aufgestachelt, sich gegen sie zu verbünden.
Die beiden Mädchen hatten Lügengeschichten über sie verbreitet. Sie sagten alles mögliche: „Carla ist häßlich zu uns. Sie will nicht mit uns spielen. Sie erzählt Lügen über uns hinter unserem Rücken.“ Sogar Frau Williams, Carlas Lehrerin, glaubte Dorie und Yvette.
Letzte Woche war Carla von Frau Williams vor der ganzen Klasse ausgescholten worden. Sie hatte mehr getan als nur gescholten. Sie hatte Carla bei den Schultern gepackt und sie so sehr geschüttelt, daß Carlas Medaillon gegen ihre Brust schlug. „Du darfst keine Lügen über andere verbreiten!“ hatte Frau Williams gesagt. Alle Augen in der Klasse waren auf Carla und Frau Williams gerichtet.
Anfangs weinte Carla und sagte, sie könne nie wieder in die Schule gehen. „Ich kann den Kindern einfach nicht mehr in die Augen schauen, Mami. Wie werde ich mich verhalten? Was kann ich tun?“
Aber Mami erinnerte Carla an etwas, was ihr helfen würde, das Richtige zu tun. Die goldene Regel. Du kannst sie in der Bibel finden. Schlage das Neue Testament auf, das ziemlich am Ende der Bibel ist. Dann suche das Matthäusevangelium, das erste Buch im Neuen Testament, und schlage Kapitel 7, Vers 12 auf. Du wirst sehen, wo Christus Jesus uns die goldene Regel gibt.
In dem Buch Wissenschaft und Gesundheit sagt uns Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, daß wir die goldene Regel, „anderen zu tun, was wir wollen, daß sie uns tun sollen“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 497;, befolgen sollten.
Carla wußte, daß Regeln uns sagen, was wir zu tun haben. Sie sah, daß die goldene Regel bedeutete, daß sie die Kinder in der Schule und ihre Lehrerin so behandeln sollte, wie sie von ihnen behandelt werden wollte.
„Weil ich möchte, daß sie nett zu mir sind, werde ich nett zu ihnen sein müssen“, sagte sie. „Aber Mami, sie sind alle so ungerecht zu mir! Alle verbünden sich gegen mich!“
„Nimm einmal an, du fährst Rad und hältst bei einem roten Licht an“, antwortete die Mutter. „Was passiert, wenn das Licht grün wird?“
„Dann kann man die Straße überqueren“, sagte Carla.
„Aber nimm einmal an“, sagte die Mutter, „jeder wartet darauf, daß zuerst ein anderer die Verkehrsregel befolgt und bei grünem Licht losfährt. Wirst du je die Straße überqueren?“
„Nein!“ sagte Carla lachend.
„Genauso ist es mit der goldenen Regel“, sagte die Mutter. „Warte nicht darauf, bis die anderen Kinder zuerst nett zu dir sind. Wenn du anfängst und nett zu ihnen bist, denk mal, wieviel schneller ihr alle Freunde sein werdet.“
„Und, Carla“, fügte die Mutter hinzu, „Gott hilft dir dabei, dich an die goldene Regel zu halten.“
Dann zeigte die Mutter Carla einen Vers in der Bibel. Er steht im Alten Testament. „Denn ich bin der Herr, dein Gott, der deine rechte Hand faßt und zu dir spricht: Fürchte dich nicht, ich helfe dir!“ Jes. 41:13.
Daß Carla vor allen Kindern ausgescholten worden war und daß die Mutter und Carla zusammen über die goldene Regel gesprochen hatten, war alles letzte Woche passiert. Seitdem hatte sich Carla an die Regel gehalten. Sie hatte den Kindern zugelächelt und gewinkt. Aber heute stand nun dieser schreckliche Satz auf dem Bürgersteig: „Carla stinkt.“
Als Carla diesmal durch die Tür gestürmt kam, sagte sie: „Mami, der goldenen Regel zu folgen hilft überhaupt nicht. Die Kinder sind noch immer häßlich zu mir. Denk mal, was ich auf dem Bürgersteig gelesen habe!“
Nachdem die Mutter die Geschichte von der Schrift auf dem Bürgersteig gehört hatte, fragte sie Carla, wie sie die goldene Regel befolgt habe. Carla erzählte, wie sie den Kindern zugelächelt und gewinkt hatte.
„Was denkst du über die Kinder, wenn du sie siehst?“ fragte die Mutter.
„Ich frage mich, wann sie anfangen werden, nett zu mir zu sein. Und ich frage mich, warum sie so häßlich zu mir gewesen sind.“
Die Mutter erklärte ihr daraufhin, wie Christus Jesus die goldene Regel befolgte. Er hielt sich an die Regel, indem er alle Arten von Leuten liebte und heilte. Leute, die krank oder unglücklich waren. Leute, gegen die man sich verbündet hatte. Und Leute, die häßlich zu anderen waren. Er konnte diese Leute lieben, weil er sie sah, wie sie wirklich waren. Er sah sie, wie Gott sie erschaffen hatte — gut, geistig vollkommen, liebevoll.
Jesus hielt sich sogar an die goldene Regel, als man sich gegen ihn verbündete und ihn ungerechterweise gefangennahm. Weil er die Leute als Kinder Gottes erkannte und sie liebte, siegte er letzten Endes.
„Eines der nettesten Dinge, die du für die Kinder in der Schule tun kannst, ist zu wissen, daß sie Gottes Kinder sind“, sagte die Mutter. „Dann liebst du sie und folgst wirklich der goldenen Regel.“
Als Carla an dem Nachmittag auf dem Bürgersteig ging, auf dem ihr Name stand, dachte sie nicht an das, was geschrieben stand, noch daran, wie häßlich die Kinder zu ihr waren. Sie dachte statt dessen daran, daß sie Gottes Kinder waren, von Ihm geliebt — und von Carla.
Als sie nun Dorie und Yvette sah, lächelte sie ihnen zu und sagte: „Guten Tag!“ Sie erinnerte sich auch daran, daß sie Gottes geliebte Kinder waren. Und Frau Williams war auch Gottes geistiges, vollkommenes Kind. Es machte Spaß, so zu denken, stellte Carla fest.
Etwa eine Woche später geschah es. Frau Williams kam zu Carla und nahm ihre Hand. „Es tut mir sehr leid, daß ich gedacht habe, du erzähltest Lügen, Carla“, sagte sie. „Dorie und Yvette haben mir die Wahrheit gesagt. Sie waren diejenigen, die Geschichten über dich verbreiteten. Es tut ihnen auch leid.“
Carla hüpfte den ganzen Gang entlang! Als sie Dorie und Yvette sah, kamen sie zu ihr und sagten: „Entschuldige!“ Auch all die anderen Kinder freuten sich, mit Carla zusammen zu sein. Niemand verbündete sich mehr gegen sie.
Aha! dachte Carla. So ist das! Das ist wirklich die goldene Regel! Ich habe daran gedacht, daß sie Gottes Kinder sind — und nun verhalten wir uns alle danach!
