„Vor vier Jahren ... starb ein kleiner Junge namens Robyn Twitchell an Darmverschluß ...
Im vergangenen Monat wurden seine Eltern in Massachusetts wegen Totschlag vor Gericht gebracht. Hätte es sich um gewaltsame Tötung, Verbrennung, Gehirnverletzung durch Schläge auf Kopf oder irgendeine andere körperliche Mißhandlung gehandelt, ließe sich wohl kaum jemand finden, der Mitgefühl mit den Eltern hätte.
Aber die Anklage lautet nicht auf Totschlag, weil die Twitchells etwa ein Verbrechen begangen haben. Sie stehen vor Gericht, weil ihnen ein Versäumnis zur Last gelegt wird. Sie lehnten es ab, ihrem Sohn moderne, medizinische Behandlung zu geben.
Die Twitchells sind praktizierende Christliche Wissenschafter. Sie glauben an Heilung durch Gebet. Aus Gründen religiöser Überzeugung und persönlichen Gewissens wünschten sie keine moderne medizinische Behandlung für ihren Sohn. Es ist jedoch nicht so, daß die Twitchells nichts taten. Es war ihre ehrliche Auffassung, daß sie die beste Behandlung suchten: Gebet zu Gott für die Heilung und Wiederherstellung ihres Kindes.
Ich verstehe nicht, warum die Twitchells und andere gute und fromme Leute sich entschließen, der Kraft der modernen Medizin allein zugunsten des Gebets abzuschwören...
Die Tatsache, daß ich die Twitchells und ihren christlich-wissenschaftlichen Glauben weder verstehe noch ihnen zustimmen kann, bedeutet jedoch nicht, daß sie im Unrecht sind. Keins der vorgebrachten Argumente kann mich davon überzeugen, daß ihre Weigerung, ihren Sohn ärztlich behandeln zu lassen, ein Verbrechen ist.
Christliche Wissenschafter gründen ihren Glauben und die praktische Betätigung ihres Glaubens auf die Bibel. Ich und Millionen andere Menschen sind beim Lesen, Studieren und Auslegen derselben Bibel nicht zu den gleichen Schlüssen gekommen, aber man kann durchaus nachvollziehen, wie sie zu ihren Schlüssen über Medizin gekommen sind.
Diejenigen, die sich aus religiösen Gründen über die Christlichen Wissenschafter lustig machen, mögen sich daran erinnern, daß die Heilige Schrift mit einiger Verläßlichkeit, wie man annehmen muß, davon berichtet, daß Jesus von Nazareth die Blinden sehend und die Lahmen gehend machte und die Toten aus dem Grabe auferstehen ließ.
Der Autor Frederick Buechner, der gern unseren Blutdruck etwas steigert, vielleicht in der Hoffnung, dadurch die Verstopfung in unserem voreingenommenen Denken zu beseitigen und es für neue Möglichkeiten zu öffnen, erinnert die Leser in seinen Ausführungen über Gebet und Wunder daran, daß Jesus sagte: ‚Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.'
Jesu Wort ist der Same des Glaubens, der von den Twitchells praktiziert wird.
Ihre vollentwickelte Religion wurde direkt vor die Gerichtshöfe von Massachusetts gebracht, weil ein Staatsanwalt ... behauptet, die Ausübung des christlich-wissenschaftlichen Glaubens seitens der Twitchells sei nichts anderes als Kindesmißhandlung.
Die ersten neunzehn Worte des ersten Zusatzartikels zur Verfassung [der Vereinigten Staaten] legen den gegenteiligen Standpunkt unmißverständlich dar:, Der Kongreß darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat oder die freie Religionsausübung verbietet ...' Im 14. Zusatzartikel wird festgelegt, daß die Bill of Rights [die Grundrechte] von den einzelnen Bundesstaaten nicht eingeschränkt werden dürfen ...
Das wesentliche Problem besteht zweifellos darin, wer entscheidet, was Wahrheit ist, und nach unserer Verfassung ist das tatsächlich ein sehr großes Problem.
Archibald Cox, emeritierter Juraprofessor an der Harvard-Universität und renommierter Verfassungsrechtler, sagt, es sei kein Zufall, daß, die Freiheit des Gewissens und der Meinungsäußerung in unserer Rechtsordnung Vorrang genießen. Es überrascht wohl kaum, daß diejenigen, die den Rahmen dafür schufen, zuerst an die Religionsfreiheit dachten. Die amerikanischen Siedler kannten den Preis religiöser Intoleranz nur zu gut ...
Ebenso wie Staatsbeamte versucht sind, politische Kritik zu unterdrücken, wenn verfassungsmäßige Garantien fehlen, so kann es manchmal zu heftigen Ausbrüchen der Unduldsamkeit gegenüber religiösen und politischen Gruppen kommen, die die bestehende Ordnung in Frage stellen ...Die Unduldsamen gebrauchen dann die Regierung, um die Einzelgänger zum Schweigen zu bringen oder anderweitig zu unterdrücken. Der erste Zusatzartikel hält unsere Verirrungen unter Kontrolle.'
Die Christliche Wissenschaft scheint von so einem Ausbruch der Unduldsamkeit bedrängt zu werden. Ja, man kann sich kaum eine Gruppe denken, die so wenig angepaßt ist. Stellen Sie sich nur vor: Menschen, die tatsächlich das Gebet der modernen medizinischen Technologie vorziehen!
Der Bundesstaat Massachusetts, der schon der Schauplatz für andere auffällige Intoleranz war, will den Twitchells zu verstehen geben, daß ihre Wahrheit eine kriminelle Lüge ist, die nicht unter dem Schutz der Verfassung steht.
Hier sollten wir fragen:, Wer ist als nächster an der Reihe?'...
Der Bundesstaat Massachusetts ist wie andere falsch unterrichtete Regierungen und Personen bestrebt, den Twitchells eine erdachte Rechtgläubigkeit aufzuzwingen. Die juristische Rechtgläubigkeit von Massachusetts kann sich für alle diejenigen als verderblich erweisen, die sich der, Wahrheit', so wie sie sich in dem Gott der Medizin offenbart, widersetzen. Wer vermag zu sagen, wie lange es dauern wird, bis sich solche Ausbrüche auch auf andere Freiheiten ausdehnen, wenn diese anderen Arten erdachter Rechtgläubigkeit entgegenstehen?
Der Oberste Gerichtshof hat zum Glück unmißverständliche Worte an diejenigen gerichtet, die die Wahrheit erfinden und sie Nonkonformisten mit allen Mitteln aufzwingen wollen. In einem Fall, in dem die Forderung zurückgewiesen wurde, daß die Kinder der Zeugen Jehovas die Nationalflagge grüßen sollten, war die Mehrheit folgender Meinung: ,Wenn es irgendeinen Fixstern in unserem System gibt, dann ist es der, daß kein Staatsbeamter von hohem oder niederem Rang vorschreiben kann, was in politischen, nationalen, religiösen oder anderen Angelegenheiten als rechtgläubig zu gelten hat. Genausowenig kann er die Bürger dazu zwingen, ihren Glauben daran durch Worte oder Taten zu bekunden.' ...“
Nachdruck mit Genehmigung von Joe Rutherford und der Journal Publishing Company. Copyright © 1990. Rutherford ist Redakteur der Leitartikelseite des Daily Journal.
Anmerkung der Redaktion: Obwohl der Artikel letztes Jahr veröffentlicht wurde, halten wir ihn immer noch für aktuell, weil in dem Fall Berufung eingelegt wurde. Ähnliche Anzeichen öffentlicher Unterstützung für Eltern, die Christliche Wissenschafter sind, gab es auch von Ärzten, Journalisten und Geistlichen — die alle Auffassungen vertreten, die sich von denen der Christlichen Wissenschafter wesentlich unterscheiden. Dies sind bemerkenswerte Beispiele für das wachsende Streben nach religiöser Toleranz in unserer Gesellschaft.
