Der folgende Brief landete zusammen mit einem langen Manuskript auf dem Schreibtisch des Chefredakteurs:
Ich Sende Ihnen den anliegenden Artikel auf Drängen eines Professors, bei dem ich letztes Jahr studiert habe. Auf Befehl wäre richtiger gesagt. Er entstand in einem Seminar über kreatives Schreiben, das ich letztes Jahr an der Universität belegt hatte.
Meine Kommilitonen lagen mir ständig in den Ohren, ich sollte ihnen mehr über die Christliche Wissenschaft erzählen. Ich antwortete mit Gemeinplätzen, und schließlich schrieb ich einen Artikel, in dem ich versuchte, den Standpunkt eines professionellen Schriftstellers einzunehmen, das heißt, eine distanzierte Haltung zu meiner Religion zu wahren. Das gelang nicht und wurde von den Seminarteilnehmern rundweg für schlecht erklärt. Daraufhin habe ich eifrig gebetet, wie Sie sich vielleicht denken können. Das Resultat liegt jetzt vor Ihnen.
Ich bin Mitglied Der Mutterkirche und habe Klassenunterricht gehabt. Als Christliche Wissenschafterin ist mir bewußt, daß das Manuskript, das ich Ihnen zusende, nicht so ohne weiteres in irgendeine der gängigen Schubladen der Verlagsgesellschaft paßt.
Das Manuskript war allerdings recht ungewöhnlich, und wir hätten es einfach mit einem höflichen Dankeschön zurücksenden können. Aber wir profitierten von der Lektüre und waren der Ansicht, daß das anderen genauso gehen würde, weil der Artikel tatsächlich eine bemerkenswerte geistige Reise beschreibt. Die Autorin hat den Text für die christlich-wissenschaftlichen Zeitschriften gekürzt, doch wir haben so viel wie möglich vom Original bewahrt.
In der Zeit, als wir diesen Artikel redigierten, sprachen wir auch mit der Ausüberin, die im Text immer wieder zitiert wird. Sie hatte eine interessante Beobachtung gemacht. Sie erwähnte, daß die Autorin eine tiefe Liebe zur Bibel empfand und sie als Heilige Schrift anerkannte. Aufgrund dessen fühlte sich die Ausüberin durch Gott dazu geführt, bei ihrer Arbeit und in ihren Gesprächen mit der Autorin immer wieder auf die Bibel zurückzugehen. Wenn sie dann über einen Bibelvers gesprochen hatten, sagte sie manchmal: „Und Mrs. Eddy drückt es so aus“, und zitierte eine entsprechende Passage aus Wissenschaft und Gesundheit. Die Ausüberin wertet das Erlebnis der Autorin als Beispiel für die heilende Macht der Bibel, die mit dem geistigen Verständnis einhergeht, das wir durch den Schlüssel zur Heiligen Schrift, das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft — Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy — gewinnen.
Ich habe mir eine Maske aufgesetzt; ich bin eine Autorin, die vorgibt, unparteiisch zu sein. Vorsicht — denn ich bin es nicht.
Nichts stört eine seriöse Ausüberin der Christlichen Wissenschaft wie diejenige, mit der ich mich hier unterhalte, mehr als die Vorstellung, daß ich eine reißerische Betonung auf die Heilungen in der Christlichen Wissenschaft legen könnte. Sie sagt: „Keine Trompeten, so etwas untergräbt unsere Glaubwürdigkeit. Das hat zu sehr den Beigeschmack von Erweckungsgottesdienst im Missionszelt.“
Ein Ausüber der Christlichen Wissenschaft ist jemand, der sich der Aufgabe widmet, anderen durch ausschließlich geistige Behandlung zu helfen. Diese Frau setzt sich in ihrer Praxis mit jeder menschlichen Notlage auseinander, die man sich nur vorstellen kann — angefangen bei ernsten gesundheitlichen Problemen bis hin zu zerrütteten Ehen und Arbeitslosigkeit. Sie sieht jedes Problem als etwas, was geheilt werden kann.
Als ich sie zum ersten Mal besuchte, mußte ich mich auf ihrem Sofa mit Kissen abstützen. Eigentlich hätte ich mich an diesen Zustand schon längst gewöhnt haben sollen, doch ich hatte es nicht. Ich erklärte ihr, daß ich nicht länger als ein paar Stunden sitzen, nicht lange stehen und nicht weiter als einen Block weit gehen könne und daß ich ständig Schmerzen hätte. Bei meinem Leiden handelte es sich um etwas, was als „spinale Arthritis“ — Wirbelsäulenentzündung — bezeichnet wurde. Im Grunde war ich seit acht Jahren Invalide.
Sie sagte forsch-fröhlich, daß nichts „unheilbar“ sei, es sei lediglich eine Sache der Vergeistigung des Denkens. Ich wußte nicht, wie schnell sich mein Denken verändern würde, ja nicht einmal, ob ich glaubte, was sie sagte. Ich war nur dort, weil ich gesehen hatte, wie mein Mann innerhalb einer halben Stunde von Grippe geheilt wurde, und weil ich miterlebt hatte, daß sich eine tiefe, mit einer Kettensäge beigebrachte Wunde in seinem Bein über Nacht schloß. Die Christliche Wissenschaft funktionierte also, nur hatte ich ernste Zweifel, ob sie jemals bei mir Wirkung zeigen würde.
Ich war im fünften Monat schwanger. Ich hatte alles ausprobiert, was die Schulmedizin anzubieten hatte. Meine frühere Schwiegermutter (dies war vor meiner Scheidung und späteren zweiten Heirat) hatte mich in die Scripps-Diagnoseklinik in La Jolla, Kalifornien, geschickt. Als ich von dort wegging, besaß ich einen Neurostimulator und eine Broschüre darüber, wie man es schafft, mit chronischen Schmerzen zu leben. Ich machte Gymnastik. Ich ließ mir von einem Arzt, der in Nordamerika ein Experte auf dem Gebiet der manipulativen Medizin war, das Rückgrat brechen. Meine Ärzte verschrieben mir entzündungshemmende Mittel in hohen Dosen. Sie sagten mir, ich müsse lernen, mit meinem Leiden zu leben. Das wollte ich aber nicht.
Ich ging zu einem Chiropraktiker. Ich besuchte einen Therapeuten. Ich las Bücher über die psychische Ursächlichkeit von Gesundheit und Krankheit. Ich versuchte mich in positiver Visualisierung. Ich suchte einen Heilpraktiker auf. Ich machte drei oder vier verschiedene strenge Diäten, die alle versprachen, Arthritis zu heilen, es aber nicht taten. Ich suchte einen Homöopathen auf.
Ich dachte, ich hätte in meinem Leben schon viele Schmerzen erlitten, aber die unglaublich starken Schmerzen, die durch die Schwangerschaft noch dazukamen, waren nicht zu ertragen. Nicht nur verschlimmerte sich der Zustand meines Rückens, ich mußte auch auf alle schmerzstillenden Mittel verzichten.
Die Ausüberin, die den akademischen Titel eines Bakkalaureus der englischen Sprache besitzt, läßt mich nicht im unklaren über die Christliche Wissenschaft, eine Konfession, die von Außenstehenden nur selten wirklich verstanden wird. Sie nimmt die Aufgaben eines Komitees für Veröffentlichungen der Christlichen Wissenschaft wahr und muß in dieser Funktion Anfragen aus der Öffentlichkeit beantworten und auch falsche Berichte über die Christliche Wissenschaft in den Medien richtigstellen. Sie ist eine elegante, Autorität ausstrahlende Frau, die eine leitende Angestellte oder Ärztin sein könnte. Doch was sie sagt, zeigt eine Sicht der Wirklichkeit, die von dem, was die meisten von uns glauben, so abweicht, daß es einen gleichsam geistig schwindeln macht.
Ich hatte nichts für die Christliche Wissenschaft übrig. Was war das denn auch für eine Geschichte, daß die Materie nichts sei? Schließlich bewiesen die Röntgenaufnahmen, daß sich der Zustand meiner Gelenke zunehmend verschlechterte. Außerdem wollte ich Mitglied der Anglikanischen Kirche bleiben. Ich mochte diese kleine Kirche in der Kleinstadt, in der wir lebten.
Und wie anders waren die Gottesdienste! In unserer kleinen Kirche entfaltete sich die ganze Pracht des Kirchenjahres: Advent, Fastenzeit, der sechste Sonntag nach Epiphanias und so weiter. Ich fühlte mich in dieses Jahr mit all seinen Farben eingebunden. Die Gottesdienste der Christlichen Wissenschaft dagegen schienen wenig anziehend, schmucklos bis ins Extrem. Kein Knien, kein frühes Zur-Kirche-Kommen, um sich selbst zu verlieren. Kein Brot und Wein. Kein Altar. Nur die Worte aus Mrs. Eddys Schriften anhören, die von Dingen sprachen, an die ich zu jener Zeit einfach nicht glaubte.
Das traditionelle Christentum vertritt die Ansicht, die Wunder, die Jesus vollbrachte, seien eben das — Wunder, einmalige Zeichen, die sich nie wiederholen lassen. „Jesu Leben bietet keine Bestätigung für diese Ansicht“, sagt die Ausüberin. „Als Johannes der Täufer im Gefängnis war, sandte er zwei seiner Jünger zu Jesus, die ihn fragen sollten:, Bist du, der da kommen soll. ..?‘ Und der Bericht sagt nichts darüber, daß Jesus irgendein theologisches Argument anführte. Ja, er sagte nur:, Verkündet Johannes, was ihr gesehen habt: Ihr habt Heilungen miterlebt, habt gesehen, wie Leute gesund wurden, wie Tote aufgeweckt wurden‘ und so weiter. Mit anderen Worten: Jesus selbst scheint als Beweis für die Wirksamkeit dessen, was er lehrte, Heilungen eingefordert zu haben.“
Der Pfarrer von St. Hilda war der gleichen Meinung. Er betrieb Bibelstudien zum Thema Heilen, hielt besondere Heilungsgottesdienste ab und praktizierte an Kommunionssonntagen das Handauflegen zum Zwecke des Heilens. Alles Dinge, an denen ich teilnahm.
Wir hielten in unserer Kirche sogar eine besondere, zweitägige Heilungsversammlung ab. Ein rotbärtiger Priester aus einem anderen Pfarrbezirk leitete diese Versammlung. Er war nicht größer als ich, aber zweimal so breit und voller Feuer. Unser Pfarrer schleppte meine Liegestatt in die Kirche und stellte sie im Gang auf. Auf Kissen gestützt lag ich dort zwei Tage lang.
Was dem Pfarrer zu schaffen machte, war, daß einige Leute geheilt wurden, während andere, ebenso voller Glauben, nicht geheilt wurden. Nach drei Jahren machte mir das ebenfalls Sorgen. Mein Zustand hatte sich nicht im geringsten gebessert.
Die Ausüberin sagt: „Der Glaube ist eine wichtige Komponente des christlich-wissenschaftlichen Heilens, aber der Begriff Glaubensheilung hat den Beiklang eines nur bedingten Vertrauens auf Gott. Und zwar in dem Sinne, daß Gott zulassen kann, daß ein Patient stirbt, während Er gleichzeitig dafür sorgt, daß ein anderer am Leben bleibt, und daß wir nichts daran ändern können. Aber wir glauben nicht, daß es jemals Gottes Wille ist, daß ein Mensch krank oder unglücklich ist.“
Dies ist auch der eigentliche Unterschied zu traditionellen Religionslehren: die Haltung der Christlichen Wissenschaft zum Bösen. Für die Ausüberin ist das Böse „alles, was versucht, mich davon zu überzeugen, daß Gott nicht Allmacht, Allgegenwart, Allgüte ist. Wir betrachten das Böse nicht als von Gott erschaffen, von Gott gewollt und von Gott erhalten. Wir glauben, daß die Wirklichkeit nur das ist, was Gott erschaffen hat. Daher kann das Böse letztlich keine Wirklichkeit besitzen.“
Leben die Christlichen Wissenschafter in der gleichen Welt wie wir anderen?
„Wenn Sie glauben, daß wir das Böse um uns her nicht sehen, lesen Sie den Christian Science Monitor“, sagt die Ausüberin. „Der Monitor gilt als eine der besten Tageszeitungen der Welt. Natürlich wissen wir, was in der Welt vor sich geht, aber wir glauben nicht, daß es die letzte Wirklichkeit ist. Wir heilen das Böse auf der Grundlage seiner Unwirklichkeit.“
Mary Baker Eddy, die Gründerin der Christlichen Wissenschaft, gilt für ihre Anhänger auch als Entdeckerin dieser Wissenschaft. „Sie war eine religiöse Frau“, sagt die Ausüberin, „zur Zeit ihrer Entdekkung war sie fünfundvierzig Jahre alt und hatte in vieler Hinsicht ein schweres Leben hinter sich — schlechte Gesundheit, Familienprobleme und wirtschaftliche Schwierigkeiten.“ 1866 stürzte Mrs. Eddy auf dem Eis und verletzte sich schwer. „Sie bat darum, daß man ihr ihre Bibel brachte. Sie öffnete sie und las im Neuen Testament den Bericht über eine von Jesu Heilungen. Als sie ihn las, erschloß sich ihr etwas, was jenseits der Worte lag; wenn Sie so wollen, erkannte sie etwas von der Macht der Wahrheit, die hinter dem Bibelbericht stand, und war augenblicklich geheilt. Mrs. Eddy war von dieser Heilung so beeindruckt, daß sie ein ungeheures Verlangen spürte, ihr Bibelstudium noch weiter zu vertiefen, um zu entdecken, was sie geheilt hatte. Der Rest ihres Lebens war dieser Entdeckung und ihrer Weitergabe an andere gewidmet.“
Die Christlichen Wissenschafter haben den Eindruck, daß ihre theologischen Positionen weithin mißverstanden werden. Mit den Worten der Ausüberin: „Niemand in der Christlichen Wissenschaft streitet sich mit jemandem, der einen stichhaltigen Punkt aus seiner eigenen Erfahrung vorbringt. Wenn zum Beispiel jemand sagt:, Ich stimme nicht mit Ihnen überein, weil Sie nicht glauben, daß Jesus Gott ist‘, so stellt er eine Tatsache fest. Aber viele derjenigen, die sich gegen die Christliche Wissenschaft wenden, stellen die Tatsachen falsch dar, und soweit sie das tun, handeln sie unredlich. Die Christlichen Wissenschafter verehren Jesus sehr. Wir erkennen seine göttliche Natur, den einen Christus, an. Wir betrachten ihn als unseren Meister, unseren Heiland. Wir folgen ihm im täglichen Leben so gut wir können, doch wir glauben nicht, daß er Gott ist, sondern — wie er selbst sagt — der Sohn Gottes.“
Dies bringt ernste Schwierigkeiten mit Anhängern einiger anderer christlicher Konfessionen mit sich. Auf einem Flug nach Winnipeg hatte ich zum Beispiel Mitreisende, die versuchten, mich zu ihrem Glauben zu bekehren. Ja sogar eine Freundschaft zerbrach, weil meine Freundin einer anderen Kirche angehörte. Unsere Töchter waren dicke Freundinnen. Nachdem wir uns schon drei oder vier Jahre kannten, kam das Gespräch eines Tages beim Tee auf die Religion. Und das war’s dann. Ihre Tochter kam nie wieder zu uns, und auch meine Tochter wurde nie mehr eingeladen. Ich rief noch einige Male an, bis ich schließlich begriff.
Meiner Ausüberin zufolge besitzt ihre Kirche ein Jahrhundert zurückreichende, mit Namen und Daten versehene Berichte von Leuten, die von medizinisch unheilbaren Krankheiten wie Krebs und multipler Sklerose geheilt wurden. „Wir missionieren nicht“, sagt sie. „Es geht darum, sie zu heilen.“
In den Vereinigten Staaten und — in geringerem Ausmaß — auch in Kanada erkennen viele Versicherungsgesellschaften an, daß unsere Konfession gute Heilarbeit leistet. Bei Unfällen tragen sie die Kosten für die christlich-wissenschaftliche Behandlung des einzelnen. In Kanada mit seiner geringeren Einwohnerzahl ist die Anzahl der Christlichen Wissenschafter vergleichsweise klein. Die meisten Menschen wissen so gut wie nichts über diese Konfession. „Sie halten nichts von Ärzten, nicht wahr?“ ist vielleicht die Frage, die Mitgliedern der christlich-wissenschaftlichen Kirche am häufigsten gestellt wird.
Was glauben die Christlichen Wissenschafter? Was unterscheidet sie von den meisten Menschen?
Jeden Tag studieren sie die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit, das Lehrbuch ihrer Konfession. Christliche Wissenschafter nehmen keine Drogen, weder vom Arzt verschriebene noch in der Drogenszene angebotene. Sie rauchen nicht, sie trinken keinen Alkohol. Wenn sie Anzeichen von Grippe verspüren oder einen Autounfall haben, nehmen die Mitglieder in der Regel eher christlich-wissenschaftliche Behandlung oder Gebet in Anspruch als medizinische Hilfe.
Mit den Worten der Ausüberin: „Man ist in dieser Hinsicht (Gesundheit) so zufrieden mit der Wirksamkeit der Christlichen Wissenschaft, daß es ganz natürlich ist, sich an sie zu wenden.“ Einige Familien verlassen sich schon seit fünf Generationen auf sie. Nicht wenige der Heilungen, die in den christlich-wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden, „sind wegen besonderer Umstände medizinisch diagnostiziert worden — manchmal aus versicherungstechnischen Gründen oder weil die Betroffenen noch keine Christlichen Wissenschafter waren, als die Probleme auftraten.“ Doch mit einer Ehrlichkeit, die geradezu symptomatisch zu sein scheint, weist die Ausüberin darauf hin, daß viele christlich-wissenschaftliche Heilungen nicht medizinisch diagnostiziert wurden. Alle Berichte von Heilungen, die in den Zeitschriften veröffentlicht werden, müssen beglaubigt werden. Für mein Zeugnis, das im Christian Science Sentinel vom 13. November 1989 erschienen ist, bat ich die Ausüberin, meine Darlegungen zu bestätigen, ebenso meinen Mann und meinen Arzt.
Die Ausüberin bringt gegenüber den Ärzten nur Hochachtung zum Ausdruck, obwohl sie ihrer Ansicht nach irren mit der Annahme, daß die Materie und nicht der Geist wahre Substanz sei. Ich frage sie: „Wenn Sie Ihre Vorstellungen durchsetzen könnten, würden dann Institutionen wie Krankenhäuser durch Kirchen Christi, Wissenschafter, ersetzt?“
Sie lacht. „Wenn ich in diesen Dingen das Sagen hätte, würde ich wollen, daß die Menschen das Recht der Wahl haben, das Recht, die Behandlungsmethode zu wählen, die sie für die effektivste halten.“
Ist es gefährlich, den Kindern die Wohltaten der modernen Medizin „vorzuenthalten“?
„Den Eltern steht es immer frei, die Behandlungsmethode für ihr Kind frei zu wählen, die sie für richtig halten. Die meisten christlich-wissenschaftlichen Eltern glauben, daß die christlich-wissenschaftliche Behandlung die beste, sicherste, zuverlässigste und schnellste ist. Aber wenn Eltern aus irgendeinem Grunde anders denken, dann müssen sie natürlich die Methode wählen, die ihrer Meinung nach für ihr Kind die richtige ist.“
Wie sieht es aus, wenn sich in der Christlichen Wissenschaft keine Heilung einstellt? Wie die Ausüberin sagte, können Sie jederzeit zum Arzt gehen. Es kann allerdings sein, daß Ihnen nicht gefällt, was Sie dort hören.
Ich ging mit unserer Tochter Jocelyn zu einer Ärztin, als sie zwei war. Sie hatte einen furchtbaren Ausschlag. Die Ärztin sagte, daß es sich um eine Allergie handele. Sie schrieb ein Rezept aus und gab mir eine Liste von Nahrungsmitteln, die meine Tochter nicht essen dürfe, und von Stoffen, die sie nicht tragen dürfe. Dies würde ihr Leben lang gelten, erklärte mir die Ärztin.
Das konnte ich nicht akzeptieren. Ich löste das Rezept nicht ein und fuhr fort, den Ausschlag mit Gebet zu behandeln. Es trat eine geringfügige Besserung ein. Einige Monate vergingen, ehe ich erkannte, daß ich mich durch den Anblick des Ausschlages aus der Fassung bringen ließ. Ich hatte energisch versucht, den unharmonischen Körper meines Kindes zu heilen, während es darauf ankam, zu sehen, daß Jocelyn a) eine Idee Gottes und völlig geistig war und b) sie bereits jetzt vollkommen und von Fürsorge umgeben war. Ich erkannte, daß mein Verantwortungsgefühl für sie „überhitzt“ war und daß es das war, was geheilt werden mußte. Als mir das klar wurde, verschwand der Ausschlag. Meine Tochter war durch Gebet geheilt, und das Leiden ist nie wieder aufgetreten.
Weder mein Denken noch das von Jocelyn hatten den Ausschlag verursacht. Allergie ist eine Annahme, unter der viele Menschen leiden. Um diese Annahme zu heilen, mußte ich an dem festhalten, was ich über die Allheit Gottes und über Jocelyn als Gottes geliebte Idee wußte.
Mit den Worten der Ausüberin: „Wenn man die Unwirklichkeit des Bösen erkennt — ganz gleich, in welchem Zusammenhang —, ist es geheilt.“ Und sie fügt hinzu: „Wir glauben, daß Jesus Gottes Gesetz exemplarisch sichtbar machte, daß unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst mehr ist als nur eine nette Geste, daß es in der Tat das Gesetz ist, das der Harmonie zugrunde liegt. Es gibt eine direkte Beziehung zwischen den Forderungen, die das Christentum an uns stellt, und den Segnungen, die es bringt. Wenn wir diese Gesetze und das, worauf sie basieren, verstehen und wenn wir diesen Gesetzen auch gehorchen, dann können wir fest mit den nachfolgenden guten Wirkungen rechnen.“
Die Ausüberin behandelt jeden Tag etliche Patienten. Die meisten rufen an, einige suchen sie in ihrem Büro auf. Die Behandlung beginnt mit der Beschwichtigung von Furcht, entweder schweigend oder hörbar. „Dann“, so erklärt es die Ausüberin, „ist es häufig so, daß der Patient und ich einige Zeit über seine wahre Natur sprechen, seine geistige Identität als Kind Gottes — geliebt, umsorgt und getragen von eben dem gleichen Prinzip, das auch das Universum regiert. In der Regel versuchen wir gemeinsam etwas über die Natur Gottes herauszufinden und damit auch über die Natur des Menschen als Sein Bild und Gleichnis. Und wir verharren zumindest zu Anfang intensiv bei dieser Idee eines vollkommenen Gottes und eines vollkommenen Menschen, bis der Patient sich selbst als dieses geliebte Kind Gottes zu sehen beginnt.
Wenn nötig, fangen wir dann an, einige der Denkgewohnheiten, die den Betreffenden hartnäckig an andere Vorstellungen von sich selbst fesseln, Vorstellungen von Krankheit oder Unzulänglichkeit zum Beispiel, in Frage zu stellen. Wir nehmen sie uns vor und bekämpfen sie auf der Grundlage von Gottes Allmacht und Allgegenwart. Nach und nach verändert sich das Denken des Betreffenden, das heißt, Christus oder die Wahrheit setzt sich in seinem Bewußtsein durch. Und damit einher geht die Heilung.“
Nachdem ich um christlich-wissenschaftliche Hilfe gebeten hatte, als ich schwanger war, las ich jeden Morgen die Bibellektion. Sie besteht aus Stellen aus der Bibel und aus Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy. Die Ausüberin, die ich aufgesucht hatte, gab mir Anweisungen für mein Selbststudium, und ich arbeitete gewissenhaft. Ich konnte anerkennen, daß Gott gut ist. Unser Pfarrer hatte viel darüber gesprochen.
Jeden Sonntag gingen wir zu einer nahegelegenen christlich-wissenschaftlichen Kirche. Anfangs erschienen mir die Gottesdienste langweilig. Ich ließ nur Bruchstücke der Christlichen Wissenschaft gelten, Dinge, die ich wirklich glauben konnte.
Als ich mit Jocelyn aus dem Krankenhaus nach Hause kam, wußte ich nicht, wie ich zurechtkommen sollte.
Was tat ich also, als ich mit meinem munteren Baby aus dem Krankenhaus kam und es mir schon schwerfiel, auch nur von meinem Zimmer in seines zu gehen? Ich rief die Ausüberin an, die mir die ganze Zeit zur Seite gestanden hatte. Sie betete für mich und brachte mich jedesmal zum Lachen. Wir standen es durch — Tag für Tag.
Der Wendepunkt in meinem eigenen Erleben kam eines Abends, als ich in der Badewanne lag, völlig erledigt und schmerzgepeinigt. Ich dachte darüber nach, wie es kam, daß die Schmerzen in meinem Rücken nachließen, wenn ich die Ausüberin anrief und um Hilfe bat. Wenn die Ausüberin das durch Gebet bewirken konnte, dann sollte auch ich dazu in der Lage sein. Besonders wenn — und das hatte sie mich die ganze Zeit über gelehrt — die Materie nicht die Substanz meiner wahren Identität war. Prinzip (ein Synonym für Gott), so sagte sie, sei mein „Rückgrat“, meine Stütze. Was, wenn das wahr wäre? Ich begann zu erkennen, daß Gebet aus zwei Elementen besteht — dem Leugnen, daß die Materie das Recht hatte, mich unglücklich zu machen, und dem Bejahen dessen, was tatsächlich der Wahrheit über mich entsprach.
Meine Heilung kam nicht auf spektakuläre Weise zustande. Sie durchlief viele Stufen. Die Ausüberin machte mir klar, daß „Gott uns den ganzen Weg führt“. Nicht ein Viertel des Weges, nicht den halben Weg, sondern den ganzen Weg. Ich stellte fest, daß ich mir jeden kleinen Fortschritt erarbeiten mußte. Es gab eine ganz bestimmte Idee davon, wer ich als ein geistiges Wesen war und wie die Beziehung zu meinem liebenden Vater-Mutter Gott aussah, und das mußte ich verstehen. Ich konnte nicht einfach ein paar Wochen vor mich hinleben mit dem Gedanken: „Ich komme ja so gut voran; das wird schon so weitergehen.“ Das tat es nicht. Jocelyn war ein Jahr alt, bevor ich es wagte, die ganzen langen anderthalb Kilometer zum Einkaufszentrum zu Fuß zurückzulegen.
Es war ein trüber Dezembertag. Jocelyn saß in ihrer Karre, warm eingemummelt in ihrem roten Schneeanzug. Ich war glücklich darüber, daß es regnete. Ich hob mein Gesicht zum Himmel und hoffte, daß die Vorübergehenden nicht auf die feuchten Spuren in meinem Gesicht aufmerksam würden, in dem sich Tränen und Regen mischten. Es war neun Jahre her, daß ich so weit gegangen war. Und ich lachte.
Es ist kein Wunder, daß die Autorin von Freude erfüllt war. Inzwischen ist sie seit acht Jahren völlig geheilt.
