Mary Baker Eddy sagt ein paar knappe und schlichte Worte über das Alter, die aber zweifellos tiefe Bedeutung haben. Sie schreibt in ihrem Buch Wissenschaft und Gesundheit: „In der Wissenschaft ist der Mensch weder jung noch alt.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 244.
Wenn wir diese Aussage als gültig anerkennen — und ich muß zugeben, daß sie zuerst vielleicht radikal klingt —, dann ist es sinnlos, Buch darüber zu führen, wie viele Jahre unser sterblicher körper auf einem gewissen Planeten names Erde verbracht hat, der soundso viele Male um einen kleinen Stern namens Sonne gekreist ist. Es ist nutzlos, das Alter, die Geburtstage oder die Position der Sterne zum Zeitpunkt unseres Erscheinens auf der menschlichen Bühne des Lebens zu dokumentieren.
Nun mögen Sie denken: „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen zustimmen kann, daß meine materielle Lebensgeschichte überhaupt keine Bedeutung hat.“
Aber Ihre wahre Identität ist ja nicht das, was in den materiellen Berichten festgehalten wird. Sie geht weit über das hinaus, was Alter, Zeit, Haarfarbe, Größe, Gewicht, Muskeltonus oder Intelligenzquotient über Sie aussagen können. Ihr wirkliches Schicksal unterscheidet sich gänzlich von dem, was Horoskope Ihnen erzählen oder was Sie sich in Ihren kühnsten menschlichen Träumen ausmalen könnten.
Tatsache ist, daß Ihre wahre Identität geistig ist, das genaue Bild und Gleichnis eines Vater-Mutter Gottes, dessen Schönheit und Heiligkeit sich nicht mit Worten beschreiben, dessen alles verstehende Intelligenz, Vollkommenheit und Mach sich nicht messen lassen. Ein Gott, der Raum, Zeit und alle Grenzen überschreitet — der niemals beginnt und niemals endet. Ein Gott, der Sie mehr liebt, als Sie es sich je vorstellen können.
Wenn wir also die Jahre zählen, Geburtstage feiern oder glauben, wir seien für bestimmte Dinge zu jung, zu alt oder zu erwachsen, dann verlieren wir unser immer wunderbares und nie begrenztes, nie geborenes noch je sterbendes Selbst als Kind Gottes aus den Augen. Wir sperren uns in einen selbstgeschaffenen grausamen Käfig ein, gebaut aus Selbstzweifeln und Ichbezogenheit, die mit dem irrigen Glauben einhergehen, daß unser Leben getrennt sei von dem Leben, das Gott ist.
Dies alles und noch viel mehr steht hinter Mrs. Eddys Worten, wenn sie den Christlichen Wissenschaftern rät: „Berichte niemals über Alter. Chronologische Daten sind kein Teil der unermeßlichen Ewigkeit. Zeittabellen über Geburt und Tod sind lauter Verschwörer gegen Männlichkeit und Weiblichkeit.“ Ebd., S. 246.
Und weist nicht im Grunde der Verfasser des zweiten Petrusbriefes im Neuen Testament auf die alle Grenzen der Zeit ünerschreitende Macht Gottes hin, wenn er schreibt: „Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, daß ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag“ 2. Petr 3:8. ? Im göttlichen Plan spielt das sterbliche Zeitmaß keine Rolle.
Vielleicht fragen Sie sich — wie ich es auch schon getan habe —, welchen praktischen Wert all das hat oder wie materielles Alter überhaupt belanglos sein kann. Werden wir nicht täglich hundertfach daran erinnert, daß unser numerisches Alter unser Leben bestimmt und begrenzt? So etwa beim Ausfüllen von Formularen, wenn nach unserem Alter gefragt wird, oder in der Werbung für Haarfärbemittel, die jugendliches Aussehen und Schönheit versprechen.
Wer jedoch die großartige Herausforderung annehmen will, im täglichen Leben zu beweisen, daß er seinen Schöpfer, Gott, verherrlichen kann, wenn er sich über die menschliche Anschauung von Alter und Zeit erhebt, der wird belohnt werden — in kleinen Dingen vielleicht, doch der Lohn ist ihm gewiß. Weshalb? Weil solche kühnen Menschen, die darauf bestehen, daß sie ohne Alter sind, auch wenn scheinbar alles dagegen spricht, sich auf die Seite des unerschütterlichen göttlichen Gesetzes stellen. Dieses Gesetz besagt, daß das göttliche Gute unveränderlich ist, niemals wankt oder nachläßt, und daher muß es sich mit dem Guten in unserem Leben ebenso verhalten. Dieses Gesetz besagt, daß Gott, das göttliche Leben, sozusagen ein ewiges Kontinuum bildet, und daher muß unser Leben wahrhaft unzerstörbar sein.
Ich kenne viele Leute, die sich in ruhiger und würdevoller Weise über die Ansprüche des Alters erhoben haben. So auch ein naher Verwandter von mir, ein ernsthafter Christlicher Wissenschafter. Lange nachdem er schon im Rentenalter war, blieb er voll berufstätig. Doch schließlich fing er an, darüber zu reden, daß er nun alt werde und seine Kräfte ein wenig nachließen. Er verzichtete sogar auf eine Reise in ein seenreiches Gebiet (dabei gab es für ihn nichts Schöneres als die freie Natur!), weil er dachte, es könnte zu anstrengend für ihn sein.
Eines Tages dann erlitt er allem Anschein nach einen Schlaganfall. Als ich ihn besuchte, konnte er weder sprechen noch sich normal bewegen und überhaupt nicht gehen. Was mich aber am meisten beunruhigte, war seine Mutlosigkeit. Und das entmutigte mich. Es war schwer, sich gegen den Eindruck zu wehren, daß für ihn das Stündchen geschlagen habe — daß es mit seinem Leben von nun an nur noch bergab ginge.
Seine Frau jedoch betrachtete die Situation mit ganz anderen Augen. Als sie meine Niedergeschlagenheit sah, ging sie mit mir in den Keller, wo wir allein sein konnten. „Wir werden eine Heilung erleben”, sagte sie und schaute mir unverwandt in die Augen. „Davon bist du doch auch überzeugt, nicht?“ Ich nickte bestätigend.
Ich begriff, was mir diese Frau in ihrer sanften Art sagen wollte: „Du hilfst uns nicht, die Heilung zu erlangen, wenn du dem Glauben schenkst, was du an Alter und Unvermögen in meinem Mann siehst. Dazu bist du doch nicht gekommen.“ Zum erstenmal erkannte ich, daß ich es Gott und diesen zwei lieben Menschen, die mir so nahestanden, schuldig war, mein Denken sofort in Ordnung zu bringen. Wenn ich einfach nur aufgab, wäre es besser, ich würde mit der nächsten Maschine nach Hause fliegen.
Von da an bemühte ich mich, nach bestem können das, was die physischen Sinne mir über diesen Mann sagten, zurückzuweisen. Wo ich ein paar Minuten zuvor nur Alter, Unbeweglichkeit und Hoffnungslosigkeit wahrgenommen hatte, begann ich nun das ewige und vollkommene Kind des göttlichen Lebens zu sehen — unbeeinträchtigt, unbegrenzt, frei. Mir wurde auch klar, daß mein lieber Verwandter jetzt kein lähmendes, menschliches Mitgefühl von mir brauchte. Er brauchte göttlich inspirierte Liebe — eine Liebe, die seine geistige Unversehrtheit so rückhaltlos anerkannte und ehrte, daß der Gedanke gar nicht aufkommen konnte, er sei für Gott und die Menschheit nun weniger nützlich bzw. der rege und natürliche Ausdruck von Gottes Sein Könne auf irgendeine Weise beeinträchtigt werden.
In den darauffolgenden Wochen gab es rührende menschliche Momente, die mir immer in Erinnerung bleiben werden: wie dieser Mann mutig seine ersten zögernden Schritte unternahm, wie er seine erste Autofahrt machte, wie er das erste Mal wieder zum Gottesdienst ging. Aber mehr und mehr spiegelte sich in unserer Fürsorge für ihn die göttliche Liebe. Diese Liebe, die von seiner Umgebung und von Gott ausging, sog er in sich auf, und allmählich kehrte sein normaler Gesundheitszustand zurück.
Er hielt sich nicht länger für einen „alten Mann“. Seine Inspiration, seine Freude — sein ganzes Leben — erhielten neue Kraft. Im darauffolgenden Jahrzehnt leistete er Wunderbares im Dienste Gottes und beim Ausüben der Wissenschaft des Christentums. In gewissem Sinne hatte ihn seine Erfahrung gelehrt, wie er das „Immergrün der Seele“ Vermischte Schriften, S. ix., wie Mrs. Eddy es einmal nannte, erhalten konnte. Ihm wurde gezeigt, daß geistige Energie aus der beständigen Gemeinschaft mit Gott zu schöpfen ist und nicht vom Zustand oder Alter des sterblichen Körpers abhängt.
Mrs. Eddy, die noch bis zum neunzigsten Lebensjahr kraftvoll die Führung der christlich-wissenschaftlichen Bewegung in den Händen hatte, schrieb einmal: „Um inmitten eines lange Jahre gleichbleibenden Dunkels von Sturm, Wolken und Unwetter Ruhe und Gleichmut zu bewahren, bedarf es der Stärke von oben — tiefer Züge aus dem Born der göttlichen Liebe.“ Ebd.
Diese himmlische Quelle wird niemals versiegen. Sie ist uns so nah wie unser Vater-Mutter Gott, der uns immer umgibt. Und sie spendet, was der legendäre „Jungbrunnen“ (ein materielles Wundermittel, das noch keiner fand) niemals versprechen könnte. Sie gibt uns ein Bewußtsein von göttlichem Leben, das immer unser ist — einem Leben jenseits aller Schranken, jenseits von Alter und Zeit.
Gesegnet aber ist der Mann,
der sich auf den Herrn verläßt
und dessen Zuversicht der Herr ist.
Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt,
der seine Wurzeln zum Bach bin streckt.
Denn obgleich die Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht,
sondern seine Blätter bleiben grün;
und er sorgt sich nicht, wenn ein dürres Jahr kommt,
sondern bringt ohne Aufhören Früchte.
Jeremia 17:7, 8
 
    
