Was uns das demütig hingebend auf Gott gerichtete Beten bringen kann, ist im Leben und Wirken Jesu von Nazareth anschaulich dargestellt, wie es in den Evangelien des Neuen Testaments wiedergegeben ist. Christus Jesus, der sich als „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ Joh 14:6. bezeichnete, kannte und bewies den Wert und die Macht des Gebets. Die eindrücklichste Begebenheit hierfür ist für mich sein Beten im Garten Gethsemane, wozu er sich, wie im Matthäusevangelium berichtet wird, dreimal zurückzog und seine Jünger dazwischen zur Wachsamkeit ermahnte. Als sie sich unfähig zeigten, wach zu bleiben, gab er ihnen den folgenden Rat: „Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.“ Mt 26:41.
Aus der durch Gebet empfangenen Stärke des Geistes heraus vollbrachte er dann seine damals wie heute so erstaunlichen Heilungstaten. Für ihn waren sie jedoch die natürliche Auswirkung der lebendig erfahrenen göttlichen Gegenwart und Kraft. Und wie Jesus allen nach ihm kommenden Gläubigen verhieß, können auch wir die Heilungen erfahren, die das Gebet bewirkt. Die zahlreichen Heilungsberichte in dieser Zeitschrift sowie im Christian Science Sentinel und im Christian Science Journal legen davon beredtes Zeugnis ab.
Denken wir doch einmal darüber nach, wie wir zum Beten stehen: wann, wie oft und warum wir es tun und was wir damit zu erreichen wünschen. Vielleicht gehört es zu unseren Gewohnheiten, daß wir den Tag mit einem Gebet beginnen und uns damit unter den göttlichen Schutz stellen. Dieser Vorgang bekommt eine etwas tiefere Bedeutung, wenn wir auch alle unsere Lieben und Freunde, ja, die ganze Menschheit darin einschließen. Die Gründerin der Kirche Christi, Wissenschafter
Church of Christ, Scientist, Mary Baker Eddy, hat es den Mitgliedern zur Pflicht gemacht, täglich zu beten: „, Dein Reich komme‘; laß die Herrschaft der göttlichen Wahrheit, des göttlichen Lebens und der göttlichen Liebe in mir aufgerichtet werden und alle Sünde aus mir entfernen; und möge Dein Wort die Liebe der ganzen Menschheit bereichern und sie beherrschen!“ Handbuch Der Mutterkirche, Art. VIII Abschn. 4. Enthält dieser Text nicht eigentlich ein ganzes Programm? Die göttliche Herrschaft, das Reich Gottes, in sich errichten bedeutet sicher mehr, als dieses Gebet sich einmal am Tag kurz vorzusprechen und es dann zu vergessen und zur Tagesordnung überzugehen.
Einzig Gott — Leben, Wahrheit und Liebe — in sich wirken zu lassen verlangt außer einem entsprechend klaren Entschluß hierzu auch die Willigkeit, diese Gottheit kennenzulernen, ihr Wesen mit Ausdauer zu studieren und ihr dadurch immer näherzukommen. Für die Christlichen Wissenschafter sind die maßgebenden Quellen für dieses Studium vor allem die Bibel und das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy. Das erste Kapitel im Lehrbuch trägt den Titel „Gebet“. Es enthält eine wunderbar inspirierte Darstellung dessen, was beten heißt und was es von uns verlangt. Es ist dort unter anderem zu lesen: „Um recht zu beten, müssen wir in das Kämmerlein gehen und die Tür schließen. Wir müssen die Lippen schließen und die materiellen Sinne zum Schweigen bringen. In dem stillen Heiligtum ernsten Sehnens müssen wir die Sünde verneinen und die Allheit Gottes geltend machen. Wir müssen uns entschließen, das Kreuz auf uns zu nehmen, müssen uns mit ehrlichem Herzen aufmachen und arbeiten und wachen, daß uns Weisheit, Wahrheit und Liebe zuteil werde. Wir müssen beten ‚ohne Unterlaß‘. Solches Gebet wird in dem Maße erhört, wie wir unsere Wünsche in die Tat umsetzen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 15.
Wie bereits erwähnt, müssen wir auch wirklich das ernsthafte Verlangen haben, beten zu wollen. Dies ist ein Wunsch, der die dauernde Umsetzung in die Tat verlangt.
Jesus, das große gottinspirierte Vorbild, zeigte uns auf eindrückliche Weise, daß ein Bewußtsein, das sich Gott annähert — das sich der Wahrheit und Liebe öffnet —, der heilenden Macht des Christus Raum schafft, damit diese in uns und in anderen kund wird. Hier sei ein Beispiel dafür angeführt, wie diese Macht der Wahrheit jemandem in unserer Zeit geholfen hat: Ein Christlicher Wissenschafter war zu einem abendlichen Bankett eingeladen und nahm dabei eine reichliche Mahlzeit ein. Nachdem er heimgekommen war und sich zu Bett gelegt hatte, wurde ihm zum Erbrechen übel, und er hatte starke Bauchschmerzen. Da er als Christlicher Wissenschafter daran gewöhnt war, sich als geistig und harmonisch zu betrachten, wandte er sein Denken sofort vom materiellen Zustand ab und Gott als seinem Schöpfer und Erhalter zu. Er vergegenwärtigte sich die Tatsache, daß er das vollkommene Bild und Gleichnis Gottes war — und zwar in jeder Hinsicht — und daß diese geistige Wahrheit als ein Gesetz auf sein ganzes Sein einwirkte. Entsprechend dem göttlichen Willen, dem Guten, hielt er daran fest, daß auch sein Leib gerade in diesem Moment völlig in Ordnung war. Er beschäftigte sich intensiv und unabgewandt mit diesen Gedanken. Dies hatte zur Folge, daß alle Schmerzen und die Übelkeit innert weniger Minuten verschwanden und er kurz darauf friedlich einschlief. Am Morgen erwachte er frei von jeglichen Beschwerden. Froh und unbeschwert war er wieder für die Aufgaben des neuen Tages bereit.
Es hatte sich einmal mehr bewahrheitet, daß der Mensch der Ausdruck Gottes, das heißt Seine harmonische und vollkommene Idee, ist. Diese Einheit von Gott und Mensch ist die frohe Botschaft Christi Jesu. Sie ist die umgestaltende Kraft, die uns in ein neues, befreites und gehobenes Leben führt.
Die Voraussetzung dafür, daß man durch Beten so schnell zu so überzeugenden Resultaten kommt, ist ein absolutes Vertrauen in unseren Vater-Mutter Gott sowie die gründliche Beschäftigung mit dem christlichen Heilen, das aus dem Verlangen hervorgeht, mehr in Übereinstimmung mit der göttlichen Wahrheit und Liebe zu leben.
Unsere Bemühungen in dieser Richtung werden vom geistigen Sinn in uns getragen, der uns erfassen läßt, daß Gott der Alles-in-allem, das heißt der Einzige, ist und daß der Mensch als Seine Schöpfung gut, harmonisch und vollkommen ist. Daraus ergibt sich, daß wir uns von der angelernten Vorstellung lösen und trennen können, wir seien unausweichlich und für immer sündige und kranke Sterbliche. Dabei bezeichnen wir alles Materielle, Sterbliche, Unvollkommene an uns selber und an unseren Mitmenschen als unwirklich, und wir lernen, im Umgang miteinander darauf nicht zu reagieren.
Solches Denken und Streben kann man als Beten bezeichnen. Es begleitet uns, wo immer wir uns befinden. Die guten Resultate, die es uns durch freudige Bereitschaft, bessere Gesundheit und inspirierte Wachheit bringt, rufen in uns ganz natürlich den Wunsch hervor, geistig noch mehr zu wachsen und immer häufiger und immer ausdauernder zu beten.
Und so wird die Überzeugung in uns wachsen, daß die Macht der göttlichen Liebe nicht nur unseren persönlichen Kreis umfaßt, sondern die ganze große Völkerfamilie der Menschheit. Wir werden immer klarer erkennen, daß die göttliche Weisheit und Inspiration allen empfänglichen Herzen auf der Welt zur Verfügung stehen, sie bereichern, erheben und in Harmonie und Vollkommenheit erhalten. Und das schließt auch diejenigen ein, die von Gott und Seiner Liebe zum Menschen gar nichts wissen. So wird uns das Beten allmählich zu einer unerläßlichen Lebensaufgabe — und zu einer lebenslangen Freude.
