Auf Einem Überlandflug saß ich neben einem Chirurgen, der wissen wollte, wie das geistige Heilen in der Christlichen Wissenschaft vor sich geht. Es interessierte ihn, wie Gebet, das doch mental ist, die Funktionen und den Zustand des Körpers so beeinflussen kann, daß es zu verläßlichen Heilerfolgen kommt.
Um wirklich ernsthaft über geistiges Heilen zu sprechen, sagte ich, müsse man vor allem die Ansicht hinterfragen, daß eine Heilmethode in erster Linie vom physischen Augenschein und von einer körperlichen Diagnose auszugehen habe. Will man nur das physische Erscheinungsbild von Krankheit und ihren Ursachen in Betracht ziehen, so kann man wohl das Gefühl haben, daß man keine andere Wahl hat, als traditionellen medizinischen Vorstellungen davon, wie etwas kuriert werden kann, zu folgen.
Ein erster Schritt zum Verständnis des christlich-wissenschaftlichen Heilens ist daher, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß das, was als körperlicher Zustand bezeichnet wird, mentale Komponenten enthält und daß eine Heilung dadurch zustande kommen kann, daß wir unsere Identität und unseren Zustand so sehen, wie Gott sie sieht. Man könnte sagen, ein grundlegender Wandel in der Betrachtungsweise führt zur Gesundheit. Aber dazu braucht es etwas anderes und weit mehr als nur eine sonnige menschliche Einstellung zur Gesundheit.
Mein neuer Bekannter wollte nun wissen, welche Betrachtungsweise unserer Meinung nach mit Gottes Sicht in Übereinstimmung steht. Wenn wir Gott als unendlichen und ewigen Geist oder ewiges Gemüt erkennen, so sagte ich, könnten wir doch folgern, daß Seine Schöpfung Seinem Wesen als unendlichem Geist entsprechen muß und daß Er das, was Er geschaffen hat, vom Standpunkt der Unendlichkeit aus — das heißt geistig — betrachtet, nämlich als Seine Ideen und nicht als körperliche Objekte. Weiter können wir davon ausgehen, daß Gottes Sicht auf uns und unseren Zustand nicht lediglich eine von vielen möglichen Betrachtungsweisen ist. Wenn Gott unendliches Gemüt, allwissende Wahrheit ist, dann ist Seine Sicht die eigentliche Wirklichkeit unseres Seins. Und in der Sicht des unendlichen Gemüts, in der geistigen Wirklichkeit, gibt es keinen Raum für Böses oder Fehler, weil wir allein vom harmonischen Gesetz der unendlichen Liebe regiert werden. Die individuelle Identität und das Bewußtsein jedes einzelnen von uns — wie es vom unendlichen Gemüt geschaffen und diesem Gemüt ewiglich bekannt ist — ist das Bild und Gleichnis Gottes und daher, wie die Bibel aussagt, vollkommen gut.
Könnte das Bild und Gleichnis des unendlichen Gemüts, so verstanden, zugleich eine materielle Persönlichkeit sein, die von den Gesetzen der Biologie regiert wird? Ein solches Zwitterwesen wäre unsinnig. Die geistige Wirklichkeit, wie sie das unendliche Gemüt sieht, und das materielle Erscheinungsbild, das die meisten von uns zu erfahren scheinen, widersprechen einander also.
Akzeptiert man den Standpunkt, daß das unendliche Gemüt der einzige Schöpfer ist, dann kann man einen kranken Zustand nicht als Realität ansehen, sondern nur als einen falschen Augenschein, eine falsche Auffassung von der Schöpfung. Wenn wir dem unendlichen Gemüt und dem, was es uns über unsere wahre Identität offenbart, Raum geben, werden wir unsere Reinheit, unsere Stärke und geistige Vollständigkeit klarer erkennen. Das bringt eine geistige Erneuerung mit sich, bei der disharmonische materielle Vorstellungen und Gefühle durch harmonische, geistige Tatsachen ersetzt werden. Und dieses verbesserte Bewußtsein führt zu Heilung — zu einem Gefühl des Wohlbefindens und der Vollständigkeit, das sich in einem normalen und gesunden Körper ausdrückt.
Nach dieser Unterhaltung im Flugzeug habe ich noch weiter darüber nachgedacht, wie wichtig es ist, eine geistige Sicht der Wirklichkeit zu pflegen. Ich weiß von mir selbst, daß es mir — nachdem ich angefangen hatte, die Christliche Wissenschaft zu studieren — immer sinnvoller erschien, das geistige Heilen zu akzeptieren, denn ich machte Erfahrungen, durch die mir diese Lebensauffassung mehr und mehr zur Wirklichkeit wurde. Besonders lebhaft erinnere ich mich an eine Heilung von Grippesymptomen, die ich vor mehreren Jahren erlebte. Sie wurde für mich zu einem Meilenstein. Als es mir sehr schlecht ging, las ich den folgenden Satz in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy: „Wir erfassen Leben in der Christlichen Wissenschaft nur insoweit, wie wir uns in unserem Leben über den körperlichen Sinn stellen und ihn berichtigen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 167. Beim Nachdenken über diese Worte erkannte ich plötzlich, daß wir die Fähigkeit besitzen, unser Denken über die irrige Vorstellung von Kranksein zu erheben und, unberührt von Krankheit, im Bewußtsein der Allheit Gottes und unserer wahren Identität als Sein geistiges Bild und Gleichnis zu ruhen. Nachdem ich das erkannt hatte, war ich schnell wieder gesund.
Wenn wir uns mit dem geistigen Heilen befassen, entdecken wir die unmittelbare Wirklichkeit und Allgegenwart des Christus — des geistigen Wirkens Gottes im menschlichen Bewußtsein ...
Warum erscheint vielen Leuten diese geistige Sicht von Leben und Gesundheit so radikal? Vielleicht schon deshalb, weil sie nie in Zweifel gezogen haben, daß die materielle Lebensauffassung die einzig richtige ist. Eine geistige Anschauung von Leben und Heilung wird uns aber weit weniger radikal und sehr viel praktischer vorkommen, wenn uns klar wird, daß jeder, der die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit aufrichtigen Herzens studiert, diese neue Sicht erlangen und ihre Wahrheit beweisen kann. Die Tatsache, daß Gott intelligent, liebevoll und allgegenwärtig ist, wirkt als ein praktisch anwendbares Gesetz, durch das wir Schritt für Schritt unsere gottgegebene Herrschaft über materielle Disharmonien beweisen können.
Wenn wir uns mit dem geistigen Heilen befassen, entdecken wir die unmittelbare Wirklichkeit und Allgegenwart des Christus — des geistigen Wirkens Gottes im menschlichen Bewußtsein —, den Jesus so vollkommen verkörperte. Christi Jesu Heilungen bewiesen die Unwirklichkeit dessen, was denjenigen, die das physische Erscheinungsbild als Wirklichkeit ansahen, ein furchterregender materieller Zustand zu sein schien. Einmal zählte Jesus Beispiele seiner Heilarbeit auf und sagte dann: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“ Mt 11:6. Vielleicht ist das geistige Heilen wirklich ein „Ärgernis“ für Menschen, für die der gegenwärtige Zustand der Dinge materiell ist. Aber jeder ist gesegnet, der das annehmen kann, was Jesu Heilungen uns über die Gegenwart Gottes, des Geistes, und über die Machtlosigkeit der Materie lehren.
Es hilft auch, wenn wir uns darüber klar werden, daß die Tendenz, materielle Zustände für bare Münze zu nehmen, daher kommt, daß wir unser Leben lang dazu erzogen worden sind, uns auf materielles Sehen, Hören, Fühlen und den materiellen Verstand zu verlassen. Bevor ich etwas über die mentale Natur des Daseins erfuhr, hatte ich nur allzu oft materielle „Fakten“ und Informationen passiv in mich aufgenommen. Ich hatte nie daran gezweifelt, daß ich meine Schlüsse dem materiellen Augenschein entsprechend ziehen mußte. Aber nun habe ich gelernt, daß wir göttliche Vollmacht besitzen, Gedanken und Gefühle von Sünde oder Krankheit zurückzuweisen, weil sie nicht in Einklang stehen mit Gottes liebevoller Herrschaft.
Einige Zeit nach der obenerwähnten Heilung von Grippe hatte unser Sohn eine ähnliche Krankheit, nur waren die Symptome diesmal sehr viel aggressiver. Zuerst glaubte ich, ich sei an der Grenze meines Verständnisses angelangt, was die Herrschaft Gottes über materielle Zustände betrifft, aber dann erkannte ich, daß Gott, Gemüt, uns immer Seine Allheit und Seine Liebe zeigt. Ich rief einen erfahrenen Christlichen Wissenschafter an und bat ihn, mir beim Gebet für unseren Sohn beizustehen. Bald wurde mir völlig klar, daß die materiellen Umstände diese Situation nicht bestimmten und daher die Erkenntnis der wahren, geistigen Identität unseres Sohnes und seiner Geborgenheit im Geist Heilung bringen würde.
Sofort verschwanden die Symptome. Zum Abendbrot wollte der Junge einen Hamburger haben und schlang ihn geradezu hinunter. Er war vollständig geheilt. Wir hatten erkannt, daß der materielle Augenschein nicht das wahre Bild der Wirklichkeit war. In Wahrheit wurde unser Sohn vom göttlichen Gesetz regiert und nicht von der Krankheit. Gott hat niemals Krankheit geschaffen, und der Mensch als Sein Bild und Gleichnis schließt nur das in sich, was von Gott kommt.
Die praktischen Beweise der Gegenwart Gottes helfen uns, Seine Allheit zu begreifen. Vom Standpunkt des unendlichen Geistes, des Gemüts, aus ist alles geistig. Die materielle Sicht führt zu einer endlichen, begrenzten Auffassung von den Dingen und hat ihren Ursprung in der falschen Vorstellung, daß es ein von Gott getrenntes Bewußtsein oder Gemüt gibt. Durch beständiges, aufrichtiges Gebet gibt das menschliche Bewußtsein Gott Raum, lauscht auf die Ideen, die von Ihm kommen, und ersetzt materielle Vorstellungen im Denken durch diese geistigen Ideen. Wir geben Gott Raum, indem wir Seine Liebe und Freundlichkeit zum Ausdruck bringen und unser Leben nach geistigen und moralischen Richtlinien gestalten, die offenbar machen, daß wir von Gott regiert werden.
Manche Menschen fürchten, daß sie das wirklich Gute im menschlichen Leben aufgeben müssen, wenn sie eine geistige Sicht des Lebens annehmen. Aber die wertvollen Dinge in unserem Leben — Liebe, Schönheit, Selbstachtung, Erfüllung und Erfolg — haben niemals ihren Ursprung in der Materie. Liebe und Erfolg sind dem Menschen viel sicherer, wenn er sein geistiges, ewiges Sein erkennen lernt. Dieses vertiefte Verständnis führt zu einem erfüllteren, glücklicheren und „lebendigeren“ menschlichen Leben und zu mehr Freiheit von den eindeutigen Kehrseiten des Glaubens an die Macht und Realität materieller Existenz. Die beständige Ausübung des geistigen Heilens befreit uns nicht nur von körperlichen Leiden, sondern führt uns auch zu einem reicheren Leben, das sich allein auf die Anbetung des Geistes gründet.
