Wie Frei Und glücklich fühlen wir uns, wenn wir frisch verliebt sind. Die ganze Welt könnten wir umarmen; alles Bittere bekümmert uns nicht, und all unsere Gedanken drehen sich um die geliebte Person. Wie zerbrechlich jedoch solches Glück sein kann, zeigt sich darin, daß es oft nur ein paar Wochen, einen Sommer oder ein paar Jahre anhält.
Die Sehnsucht, zu lieben und geschätzt zu sein, kann uns zu immer neuen Beziehungen führen. Und wenn sie sich nicht als dauerhaft erweisen, mögen wir zu der Überzeugung gelangen, Liebe sei etwas Schwankendes und Flüchtiges, das man nehmen muß, wie es kommt. Trotz immer neuer Formen von Lebensgemeinschaften und Empfehlungen für ein erfülltes Miteinander kann man sich wie in einem Gefängnis unbefriedigter Wünsche fühlen. Wo gibt es da einen Ausweg?
Die Bibel, die sich mit den elementaren Belangen der Menschheit befaßt, sagt uns etwas Wesentliches über die Liebe. Wir lesen im ersten Johannesbrief: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ 1. Joh 4:16. Liebe, die bleibt, in uns und wir in ihr — wie wunderbar. Aber göttliche Liebe — ist das nicht viel zu hoch, zu groß, zu weit entfernt von unseren Erfahrungsmöglichkeiten? Nicht wirklich. Wenn alle verfügbare menschliche Liebe unzureichend erscheint, um uns zu befriedigen, wenden wir uns vielleicht ganz selbstverständlich an die unendliche, göttliche Liebe. Die Bibel beschreibt Gott als Geist, und nur diese göttliche, geistige Liebe kann uns überhaupt auf Dauer glücklich machen, weil sie unwandelbar, allgegenwärtig und allumfassend ist.
Die Sehnsucht nach solch einer Liebe weist auf unsere eigene geistige Selbstheit hin, die wir durch die Christliche Wissenschaft klar erkennen können. Auf die Frage „Was ist der Mensch?“ antwortet Mary Baker Eddy in Wissenschaft und Gesundheit unter anderem: „Der Mensch ist Idee, das Bild der Liebe; er ist kein körperlicher Organismus.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 475. In diesem Licht betrachtet, ist es eigentlich nicht verwunderlich, wenn wir an den Punkt kommen, wo wir mehr nach dieser göttlich-geistigen Liebe verlangen. Und unter der Fürsorge der Liebe können wir wahre Liebe und Befriedigung finden, denn die göttliche Liebe ist immer unendlich weise und gut.
Eine Bekannte von mir erkannte Reinheit, Unschuld, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit als ihre Individualität.
Eine Bekannte von mir erlebte das einmal ganz deutlich. Nach vielen seelischen konflikten in ihren Beziehungen sehnte sie sich nach einer Verbindung, die auf der Liebe und Wertschätzung geistiger Eigenschaften beruhte. So faßte sie den Vorsatz, in einer neuen Beziehung keine intimen Kontakte zuzulassen. Doch als sie sich dann wieder in einen jungen Mann verliebt hatte, kam sie in eine Situation, in der sie für ihre und für seine Geistigkeit eintreten mußte. Sie mußte eines Nachts bei ihrem Freund übernachten, weil es zu spät für öffentliche Verkehrsmittel war und auch kein Auto zur Verfügung stand, mit dem sie nach Hause hätte fahren können.
Als ihr klar wurde, daß ihr Freund sie in der Nacht nicht, wie verabredet, in Ruhe lassen würde, wurde sie sich ihrer Freiheit, zu beten, bewußt. Als Kind hatte sie die Sonntagsschule der Christlichen Wissenschaft besucht, wo sie viel über die untrennbare Beziehung des Menschen zu Gott gelernt hatte. Während sie betete, breitete sich ein Gefühl der Geborgenheit und des Schutzes in ihr aus und ließ sie weiter auf Gottes Weisung lauschen. Geistige Gedanken kamen klar und eindringlich. Sie fühlte sich von einer schützenden, beglückenden Macht umgeben.
Diese Geborgenheit empfand sie als so grenzenlos, daß sie auch ihren Freund von dieser Liebe umgeben wußte. Der hatte bald bemerkt, daß er nicht die Art von körperlicher Zuwendung erfahren sollte, die er erwartete, und ließ sie in Ruhe. Diese Erfahrung, die beide lehrte, ihre wahre, geistige Natur zum Ausdruck zu bringen, führte für meine Freundin schließlich zu einer glücklichen Ehe.
Nach dieser Nacht in der Wohnung ihres Freundes dachte meine Freundin über die Gottähnlichkeit und die geistige Identität des Menschen nach, die weder von körperlichen Empfindungen abhängen noch von Sehnsüchten, Ängsten oder speziellen Erwartungen an sie als Frau geprägt sein konnte. Sie akzeptierte und schätzte diese geistige Selbstheit, die ihren echten Wünschen viel näher stand als die Körperlichkeit, die sich meinte zum Ausdruck bringen zu müssen.
Sie empfand, daß statt Sinnlichkeit tatsächlich diese Eigenschaften von jeher Teil ihres wahren Selbst gewesen waren.
Wie wohl wurde ihr zumute, als sie Reinheit, Unschuld, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit als ihre Individualität erkannte! Es war, als ob diese Individualität für sie aufbewahrt worden wäre und sie nur hineinzuschlüpfen brauchte, um sich ganz wohl zu fühlen. Sie empfand, daß statt Sinnlichkeit tatsächlich diese Eigenschaften von jeher Teil ihres wahren Selbst gewesen waren. Indem sie ihre ununterbrochene Verbundenheit mit ihrer göttlichen Quelle erkannte, fühlte sie sich innig geliebt und wußte auch ihren Freund — ja alle Menschen — in dieser Liebe geborgen. Sie verstand, daß sie nicht Urheber der Liebe war, die sich in zunehmender Herzenswärme und Selbstlosigkeit auszudrücken begann. Es war die göttliche Liebe selbst, die sich in ihr zum Ausdruck brachte. Dieses Wirken erklärt die Christliche Wissenschaft als den Christus, den göttlichen Einfluß, der die Menschheit von Sünde, Furcht, Krankheit und anderen Begrenzungen befreit. Die Gegenwart des Christus macht die göttliche Liebe für das menschliche Bewußtsein erkennbar, und sie kommt immer frisch und lebendig genau so zum Ausdruck, wie wir sie brauchen — führend und stärkend oder erhebend und tröstend. Diese Liebe ist immer verfügbar und kann jederzeit erlebt werden. Sie ist ein unveränderliches, zuverlässiges Gesetz des göttlichen Prinzips, das jeder für sich beanspruchen kann.
Meine Freundin konnte das Wirken des Christus erleben, weil sie sich von der sinnlichen Auffassung von Liebe abgewandt und ihrer geistigen Natur als der Idee der göttlichen Liebe geöffnet hatte. Deshalb gewann der folgende Bibelvers für sie umfassende Bedeutung: „Fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht.“ Röm 8:7. Als sie an sich und anderen die Eigenschaften der göttlichen Liebe erkannte, erlebte sie eine völlig neue Art zu lieben. Den Schutz und die Sicherheit, die aus ihrem Vertrauen auf das göttliche Prinzip erwuchsen, erfuhr sie an ihrem Arbeitsplatz. Dort war sie des öfteren sinnlichen Gedanken von seiten ihrer Kollegen begegnet. Doch in dem Maße, wie sie erkannte und bewußt wertschätzte, daß jeder einzelne Mitarbeiter göttliche Eigenschaften wie Intelligenz, Stärke und Güte zum Ausdruck brachte, verschwand dieser sinnliche Druck immer rascher. Sie fühlte sich weniger bedroht und immer sicherer und von der Macht des göttlichen Prinzips, der Liebe, getragen.
Wir können alle die Begrenzungen, Unsicherheiten und Enttäuschungen ablegen, die eine sinnliche Auffassung von Liebe mit sich bringt. Die Erfüllung unserer Sehnsucht nach dauerhafter Liebe liegt nicht in der Befriedigung der Sinne, sondern in der Verwirklichung unserer in Gott verankerten Wesenheit. Dann erkennen wir, daß Gottes Liebe in uns bleibt und wir in Ihm. Und das ist Freiheit!