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Reportage

Erzbischof spricht über wahre Anbetung

Aus der Februar 1999-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Eine Statistik, die im Februar 1997 veröffentlicht wurde, zeigte für Großbritannien den größten Rückgang beim Kirchenbesuch innerhalb der letzten zwanzig Jahre. Während der lebhaften Diskussion, die nach der Veröffentlichung dieser Zahlen einsetzte, äußerten viele Briten die Ansicht, der Rückgang sei vor allem auf die kalte Formalität der traditionellen Gottesdienste zurückzuführen. Der Trend könne wahrscheinlich gestoppt werden, wenn bei der Gestaltung der Gottesdienste der Geschmack der Jugendlichen mehr berücksichtigt würde.

Der frühere Erzbischof von Canterbury, Lord Runcie, warnte im Verlauf der Debatte in einem Beitrag in der Zeitung The Telegraph davor, die Liturgie der Kirche lediglich zu dem Zweck zu verwässern, neue Gottesdienstbesucher anzuziehen. Das stand allerdings im Widerspruch zur Ansicht seines Nachfolgers, Dr. George Carey, der Gottesdienste befürwortet, die sich an der „Jugendkultur“ orientieren. Lord Runcie blieb aber bei seiner Auffassung, die er während eines Besuches in Cambridge, England, noch weiter erläuterte: „Es besteht bereits viel zu sehr die Tendenz, den Gottesdienst zum Entertainment zu machen, nur damit die Kirchen voll werden.“

Doch nichts, was der ehemalige Erzbischof bei dieser Gelegenheit gesagt hatte, hielt die jungen Männer und Frauen der Harvard-Universität in Cambridge, Massachusetts, USA, davon ab, an einem Frühlingstag einige Wochen später in die Memorial Church auf dem Campus zu strömen, um eine völlig konservative Predigt von ihm zu hören über das Bibelwort: „Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels” (1. Mose 28:17).

Es folgen — mit Genehmigung der Harvard Memorial Church — Auszüge aus der Predigt des Erzbischofs.

Natürliche Anbeter

Meine Gedanken über das, was heilig ist, und über den Ausdruck von Spiritualität veranlassen mich über das Thema Gottesanbetung zu sprechen,. .. denn manchmal wird die Gottesanbetung als ein Luxus für diejenigen angesehen, die Geschmack finden an Musik — oder an Zeremonien oder Predigten. Ich aber stehe auf dem Standpunkt, dass Gottesanbetung ein unerlässlicher Bestandteil des Menschseins ist. Männer und Frauen sind von Natur aus Anbeter, weil der Mensch so veranlagt ist, dass er immer über sich hinausschaut, wenn er erfahren will, was er ist oder was er sein wird. Er schaut über sich hinaus auf etwas, vor dem er sich fürchtet oder zu dem er sich hingezogen fühlt. Die Götter, die die Menschen anbeten, sind unterschiedlichster Art. Die beliebtesten sind abstrakt: Es sind Träume wie Erfolg, Sicherheit, Macht oder Ruhm. Doch trotz ihrer Abstraktheit sind sie nicht machtlos. Sie üben einen starken Einfluss auf unser Verhalten aus; sie entscheiden maßgeblich darüber, wen wir uns als Freunde aussuchen, wen wir zum Abendessen einladen oder wie wir unser Geld ausgeben.. . .

Anbetung ist also umgänglich — und ebenso unvermeidlich ist, dass das, was wir anbeten, seine Spuren in uns hinterlässt. Wir können es nicht verhindern, dass wir — oft ganz unbewusst — den Namen des Gottes, den wir verehren, preisgeben.. . .

Die richtige Orientierung finden

Die Suche nach jemandem oder etwas, was es wert ist, angebetet zu werden, hat zu allen Zeiten in der menschlichen Geschichte eine große Rolle gespielt. Wenn aber kein würdiger Gegenstand für unsere Anbetung in Sicht ist, dann sucht sich die uns innewohnende Sehnsucht nach Verehrung auf Gedeih und Verderb ein Ziel — und kann sich dann auch an unwürdige oder gefährliche Visionen hängen. Wie deutlich zeigte sich in den Nazi-Parteitagen in Nürnberg oder in den sich schleppend vorwärtsbewegenden Menschenschlangen am Lenin-Mausoleum die tragisch falsch gelenkte Fähigkeit zur Anbetung! Und wem ist nicht klar, dass die heute in unserer Welt so über alle Vernunft und alles Maß hinausgehende Anbetung des Geldes die Macht hat, die Beziehung der Menschen untereinander zu trüben und zu verzerren?

Wenn wir also alle etwas anbeten, wenn der Gott, den wir verehren, uns prägt, dann sollten wir vor allen Dingen unermüdlich nach einer würdigen Vision suchen, die unsere Anbetung inspiriert — und nicht zuletzt während der Studentenjahre. Aber wir suchen nicht allein, und es wäre auch gefährlich, das zu tun. Die menschliche Natur neigt nämlich dazu, die Visionen der eigenen Bequemlichkeit anzupassen und ihre Forderungen zu einer angenehmen Fadheit flachzubügeln. Wir benutzen vielleicht die richtigen Worte: „Unser Vater" oder „Herr, Herr" — aber diese Worte können jegliche Kraft verlieren, wenn wir Besitz von ihnen ergreifen und darauf bestehen, das Leben nur von unseren kleinen Erfahrungen in Raum und Zeit aus zu interpretieren. Einige beliebte Formen moderner Anbetung haben die gefährliche Tendenz, Gott auf ein überschaubares Thema zu reduzieren und dabei die härteren Forderungen Seines Wortes zu ignorieren, die von uns verlangen, dass wir gerecht, wahrhaftig und moralisch sind — was auch immer unsere Vorlieben und Abneigungen sein mögen.. .

Gemeinschaft mit anderen

Es besteht immer die Versuchung, einen Gott anzubeten, der nach dem Bilde unserer eigenen Phantasien und Wünsche geformt ist. Und das bringt mich wieder zurück auf diese „altehrwürdigen" Gottesdienste von heute.

In der christlichen Kirche werden wir beim Suchen und Forschen nie allein gelassen — noch befinden wir uns dabei nur zusammen mit unseren Zeitgenossen an einem bestimmten Ort. Auf der Suche nach dem würdigsten Gegenstand für unsere Anbetung sind wir verbunden mit all jenen, die in den vergangenen Jahrhunderten Gott angebetet haben und Ihn jetzt — jenseits des Grabes — mit klareren Sinnen anbeten. Und wir sind die Mitpilger von Hunderten und Millionen anderer, die lhn in allen Erdteilen und auf allen Inseln anbeten.

Dieses Bewusstsein der Verbundenheit ist kein Wunschdenken und kein Luxus — es ist ein Teil des gereiften christlichen Glaubens. Der Wunsch, mit unseren Pilgerbrüdern und -schwestern Schritt zu halten, bewahrt uns davor, maßlose Phantasien anzubeten, uns irgendeinem nationalen Traum hinzugeben oder einen besonders angenehmen Lebensstil aufrechterhalten zu wollen, Wenn wir uns unserer Gemeinschaft mit anderen durch alle Jahrhunderte hindurch und über die Ozeane hinweg ganz klar bewusst sind, dann haben wir etwas, was verlässlicher ist als diese Do-it-yourself-Formen zeitgenössischer Religion, etwas, was den schrillen, fanatischen Formen von Anbetung widerstehen kann, die uns voneinander trennen und einen Funken in das Pulverfass der heutigen Welt werfen möchten. ...

Die Rolle der Tradition

Ein starkes Bewusstsein von Tradition ist kein Hindernis, sondern eine Hilfe für intellektuelle Offenheit und durchgreifende Neuerungen.

Die Lehren Jesu — die Bergpredigt, die Seligpreisungen, die Gleichnisse — sind also einfach unentbehrlich. Sie müssen geachtet und hochgehalten werden. Sie sind unsere Tradition. Sie schaffen das, was wir werden sollen: bescheiden, barmherzig, treu und wahrhafting im Herzen, versöhnlich ohne Wenn und Aber. Dies ist der Taktschlag von Psalm, Lehre und Lied.

Die komplexen Probleme der Welt machen genaue ethische Analysen und Rezepte erforderlich, neue Richtlinien für Vorgehensweisen, neue Pflichten und die Schaffung von Institutionen und Gremien, die das alles in die Tat umsetzen. Aber vergessen wir niemals, dass die treibende Kraft hinter diesen Veränderungen — die moralische Kraft — Menschen sind, Männer und Frauen. In ihnen muss das Himmelreich, das Reich Gottes, aufbrechen, und nur durch sie kann es in Politik und Verwaltung sichtbar werden. Denken Sie nur daran, wie viel im Laufe der Jahrhunderte das ständige Rezitieren der Psalmen dazu beigetragen hat, die Gemüter der Menschen zu formen. ...

„Dein bin ich"

Lassen Sie mich schließen mit einem ganz besonderen Gedanken, der, so hoffe ich, alles das zusammenfasst, was ich über Gottesanbetung gesagt habe. Er passt besonders gut in eine Universität, wo wir oft viele Rollen spielen müssen und viele Masken tragen. Vielleicht ist das unvermeidlich, denn dazu sind wir ja hier — um unsere wahre Identität zu entdecken. Mein Schlusswort stammt aus einem Gedicht. Es wurde im Gefängnis geschrieben. Es wurde von dem deutschen Pastor [Dietrich] Bonhoeffer geschrieben, als er — wegen seiner Beteiligung an der Verschwörung gegen Hitler — auf seine Hinrichtung von der Hand der Nazis wartete. Es heisst: Wer bin ich? ...[und endet so]:

Wer bin ich?
Einsames Fragen
treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin,
Du kennst mich,
Dein bin ich, o Gott!

Gottesdienste wie der, zu dem wir uns heute Morgen zusammengefunden haben, stärken diese Überzeugung in uns, so dass wir nicht versagen, wenn wir auf die Probe gestellt werden.

Herausgeber: The Christian Science Publishing Society One Norway Street, Boston, MA 02115, USA Nachdruck nur mit Genehmigung ©1999

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