1982: Nele, ein 17-jähriges Mädchen aus Westberlin, stößt im Osten der Stadt auf Captain, den Chef einer Punk-Band, und verliebt sich „Feuer und Flamme”. Die Punks im typischen Outfit mit Armeehose, Irokesenschnitt, die Mädchen dunkel geschminkt und das Haar ungebändigt und wild. Rebellion pur. Die Musik und die Texte noch provozierender. Sie äußern all ihren Frust und Unmut und Freiheitswillen auf der Bühne — und im Alltag, in dem sie aber schon kaum noch einen Platz haben.
Grenzübergang Friedrichstraße. Nele schmuggelt ein Video in den Westen. Wo gibt es noch dieses fahle Licht, diese engen Falttüren, den Schalter aus diesem typisch grau-braunen Sprelacart — und diese Schalterbeamten?? Der finstere durchdringende Blick, die beklemmende Stille, die einem den Atem nimmt, während er die Papiere prüft. Endlich darf sie durch.
Eine durchschnittliche DDR- Wohnung, ich erkenne viele der Einrichtungsgegenstände wieder. Nele isst bei Captains Familie mit zu Mittag. Schweigend löffeln alle die Suppe. Dem linientreuen Vater ist sein Sohn fremd, er verkörpert unausgesprochene Abscheu und Verachtung. Und nun auch noch ein Mädchen aus Westberlin am Tisch ...
Nach einem Fernsehbericht in „Kennzeichen D”, der die Punker mehr oder weniger zu Säufern und Nazi-Sympathisanten abstempelt, und einer spontan als Antwort inszenierten Kranzniederlegung am „Mahnmal der Opfer des Faschismus und des Nationalsozialismus” Unter den Linden schlägt die Stasi zu. Sie beschlagnahmt Liedtexte und eine Schallplatte von einer Punkerband aus dem Westen, die Nele für Captain mitgebracht hatte. Nele dreht durch, wird verhaftet und ausgewiesen. „Nie wieder!” — dröhnt es in ihrem kopf.
Captain in U-Haft. Ihm werden Straftaten zur Last gelegt, die sich auf mehr als 15 Jahre Knast summieren würden. Es sei denn, er unterschreibt, dass er vom Klassenfeind — sprich: Nele, Penelope Kaufmann — beeinflusst, gedrängt, gekauft wurde. Dem Pflichtverteidiger fliegt der großzügig kredenzte Blechnapf voll Kaffee beinahe um die Ohren, Captain rastet aus. Die Beobachtungskamera über der Tür zeigt zwei prügelnde Beamte mit Schlagstöcken auf einen am Boden sich krümmenden jungen Mann einschlagen.
Nele, völlig verdreckt und zerzaust, an der Tür zum Stasi-Hauptquartier. „Wir haben Besuch aus dem NSW! — Reinlassen.” Für einen kurzen Moment sehen sie sich. Sie jagen an den sie trennenden Glasscheiben entlang und fallen sich in die Arme. Gewaltsam werden sie auseinandergerissen. Und nun muss Nele endgültig in den Westen zurück — diesmal für immer.
Anruf bei Captains Vater: „Mein Sohn ist tot. Rufen Sie nie mehr an”.
Sieben Jahre später: Nele arbeitet in den USA und sieht zufällig im Fernsehen Bilder von den Menschen auf der Berliner Mauer. Um zu einem gewissen inneren Frieden zu finden, muss sie herausfinden, wie Captain ums Leben gekommen ist.
„Für seinen Vater ist Captain gestorben. Aber er lebt.”
Grenzübergang Friedrichstraße. Die Falttüren stehen offen. Der Kontrollschalter ist verwaist. Drei uniformierte Beamte stehen in der Gegend rum, werden von den vielen Grenzgängern fast angerempelt. Nele bleibt vor ihnen stehen, sie wartet auf irgendwas. Nichts. Sie geht zögernd vorbei.
Eine Hütte im Wald, irgendwo fernab. Zaghaft, noch unbemerkt, betritt sie eine Tischlerwerkstatt und sieht ihn an der Hobelbank arbeiten. Ein „Kleiner Mann” stapft zur anderen Tür herein und will zu seiner Mama. Mutter und Sohnemann klettern ins Auto und fahren davon. Fassungslose Stille. In diesem Schrecken stößt Nele gegen ein Regal, zwei rausgerissene Telefonbuchseiten fallen zu Boden. „Kaufmann, ... kaufmann, ... kaufmann, ...” — durchgestrichen, eingekreist, durchgestrichen.
Ich muss tief durchatmen, als ich das Kino verlasse. „Ja, so war's wirklich”, antworte ich meiner Tochter. Aber ich weiß: Solche Liebe hat dazu beigetragen, dass es nicht mehr so ist. Und in Dankbarkeit denke ich an jene Menschen, die sich mit diesem System DDR, d. h. dem System der Unfreiheit des Einzelnen, nicht abgefunden haben. Ich kenne Menschen, die an der Mauer in Berlin beobachtet haben, wie Vögel völlig ungehindert über die Grenze hinweggeflogen sind. Und sie haben gebetet, dass diese Freiheit eines Tages jedem Menschen gegeben ist. Und ich kenne jemanden, der an jedem ersten Weihnachtsfeiertag mit dem Fahrrad zur Mauer gefahren ist, um zu beten, dass diese Mauer nie mehr Menschen trennen möge. Ich bin dankbar, dass ich ihn zu meinen besten Freunden zählen darf.
Dieser Film ist in meinen Augen eine Homage an die Freiheit und eine Referenz an die Opfer des DDR-Systems, an alle, die daran gelitten haben. Aber auch ein Ansporn für jeden, alles zu tun, dass nirgends auf der Welt ein repressives Gesellschafts- oder Gedankensystem Bestand haben kann. Dank und Gratulation an die Drehbuchautorin Natja Brunckhorst, die Darsteller Anna Bertheau und Antonio Wannek und die Regisseurin Connie Walther für dieses sehr authentische Bild vom Leben und der Liebe mit der Grenze. Dieser Film ist bedrückend und befreiend zugleich.
