Aufgrund von Mary Baker Eddys Aufruf zur »moralischen, bürgerlichen und sozialen« Anerkennung der Rechte von Frauen in ihrem Text von Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift haben Forscher natürlich nach Verbindungen zwischen Eddy und der Frauenwahlrechtsbewegung des späten 19. Jahrhunderts gesucht. Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, 1911, S. 587. Wenn auch Eddys Hauptaugenmerk auf Christian Science lag, so unterstützte sie doch in den Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg zweifellos die Sozialreformerinnen. Und wir wissen nun, dass Eddy über einen Zeitraum von 30 Jahren aktiv mit Führerinnen der Frauenwahlrechtsbewegung in Verbindung stand.
Eddy schrieb am 15. März 1882 an eine ihrer frühen (Christian Science) Schülerinnen: »Es ist wunderbar zu sehen, was hier die Frauen allein für Abstinenz tun, mehr als je ein Mann getan hat. Dies ist das Zeitalter der Frauen, sie werden all die großen moralischen und Christlichen Reformen bewegen und durchführen, ich weiß es. Nun, Liebes, lassen Sie uns so wie die emsigen Frauenrechtlerinnen arbeiten, die sich Gehör aus dem ganzen Land verschaffen.« M. B. Eddy an C. E. Choate, 14. März 1882, Ausgehende Korrespondenz (Outgoing Correspondence) von Mary Baker Eddy, L04088.
Sicherlich war Eddys Unterstützung der Frauenrechte im Geistigen verwurzelt, wie sie in ihrer Broschüre Nein und Ja darlegt, worin sie theologische Fragen über Christian Science beantwortet: »Es sollte in Boston nicht heißen, dass die Frau-»als letzte am Kreuz und als erste am Grabe – keine Rechte besitze, die ein Mann zu achten hätte. Im Naturgesetz und in der Religion hat die Frau ein unveräußerliches Recht, das höchste Maß an erleuchtetem Verständnis und die höchsten Posten in der Regierung auszufüllen; und für diese Rechte treten die edelsten Menschen aus beiden Geschlechtern in verständiger Weise ein. Dies ist die Stunde der Frau mit all ihren köstlichen Gegebenheiten und mit ihren sittlichen und religiösen Reformen.« Nein und ja. 1891, S. 45.
Eddys Interesse für die Rechte von Frauen wurzelt in ihrem größeren theologischen Fokus auf menschlichen Fortschritt und auf der Beziehung von Frauen und Männern zu Gott und zueinander. Dieser Fokus ließ sie soziale Maßnahmen unterstützen, die Würde und Gleichheit förderten, wie Abstinenz und Armenfürsorge. In jeder Ausgabe von Wissenschaft und Gesundheit, von der allerersten 1875 bis zur letzten genau 35 Jahre später, wiederholt Eddy folgende Sätze fast Wort für Wort:
»Das bürgerliche Gesetz macht sehr unfaire Unterschiede zwischen den Rechten der beiden Geschlechter. Christian Science liefert keinen Präzedenzfall für derartige Ungerechtigkeit und die Zivilisation mildert sie in gewissem Grade. Jedoch ist es verwunderlich, warum im Allgemeinen der Frau weniger Rechte zugestanden werden, als Christian Science oder die Zivilisation es tun.
Unsere Gesetze sind, gelinde gesagt, nicht unparteiisch, denn sie machen zwischen den beiden Geschlechtern Unterschiede bei der Person, dem Besitzstand und dem elterlichen Sorgerecht. Sollte das Frauenwahlrecht dieses Übel beseitigen, ohne größere Schwierigkeiten heraufzubeschwören, dann wollen wir hoffen, dass es gewährt wird.« Wissenschaft und Gesundheit, 1911, S. 63.
Vom Ausgangspunkt des 21. Jahrhunderts zurückblickend, erscheint die Frauenwahlrechtsbewegung des 19. Jahrhunderts wie eine geschlossene Gruppe, die mit dem gleichen Ziel zusammenarbeitet, in Wirklichkeit bestand sie jedoch aus vielen unterschiedlichen Gruppen und Ansätzen. Victoria Woodhull zum Beispiel kombinierte ihre Unterstützung des Frauenwahlrechts mit einer Kampagne für die freie Liebe. Eddys Ansicht nach überwog die Gefahr, das Wahlrecht mit freier Liebe zu vermischen, die »dem Anstand Gewalt antut, die menschliche Natur beleidigt und dem Namen der Frau Schande bereitet,« Brief an den Herausgeber im Lynn [Massachusetts] Transcript, 14. Oktober 1876, gezeichnet mit Mary Baker Glover. den Nutzen des Wahlrechts.
Eddy lehnte auch die Ansichten von Befürwortern des Stimmrechts ab, die die Bibel als Quelle der Unterdrückung von Frauen angriffen. In ihren Notizen über The Woman's Bible, herausgegeben von Elizabeth Cady Stanton, schreibt Eddy: »Die Bibel des Mannes ist die Bibel der Frau. Wir können nicht zwei haben, wenn die Geschlechter gleich sind.« A10873.
Es existieren wohl Verbindungspunkte zwischen Eddy und Stanton und Susan B. Anthony, den bekanntesten Führerinnen der Frauenrechtsbewegung des 19. Jahrhunderts. Stantons Name und Adresse tauchen in einem von Eddys Adressbüchern auf und wie oben erwähnt, machte Eddy kritische Bemerkungen zu The Woman's Bible. 1887 nahm Anthony an einer Reihe von Vorträgen über das Christian Science Heilen teil, die von Laura Lathrop gehalten wurden, einer Schülerin Eddys, und 1888 ging sie nach Chicago, um Eddy dort sprechen zu hören. Elf Jahre später, in einem Nachdruck eines Artikels im Christian Science Sentinel, wird Anthony zitiert: »Mary Baker Eddy? Kein Mann hat je ein so großes Gefolge in solch kurzer Zeit erreicht. Ihre Kirchen sind mit die größten und elegantesten in Boston, Chicago und anderen Städten.« New York Journal, 19. November 1899, Nachdruck im Christian Science Sentinel, 14. Dezember 1899. Anthony korrespondierte auch kurz mit Eddy und schrieb für sie eine Widmung in eine Ausgabe von The History of Woman Suffrage (Die Geschichte des Frauenwahlrechts).
Im 19. Jahrhundert war es ein Risiko, mit einer Organisation in Verbindung gebracht zu werden, die das Frauenwahlrecht förderte. Doch Eddy fand eine Gruppe, die innerhalb des Christlichen Rahmens arbeitete und der sie beitreten konnte: die »Massachusetts Woman Suffrage Association« (Frauenwahlrechts-Vereinigung in Massachusetts), kurz MWSA, mitbegründet von Mary A. Livermore.
Heute kaum bekannt war Livermore eine Hauptfigur in der Kampagne für Frauenwahlrecht im 19. Jahrhundert als Organisatorin, Vortragende und Autorin. Sie war die erste Frau, die ehrenhalber an der Tufts University einen akademischen Grad verliehen bekam, und sie war auch Gründerin und/oder Präsidentin verschiedener Wohltätigkeits- und Reformorganisationen, darunter die »Massachusetts Woman's Christian Temperance Union« (Christliche Frauen-Vereinigung für Abstinenz in Massachusetts) und die MWSA. Es gibt auffallende Parallelen in Livermores und Eddys langem Leben. Beide Frauen waren Autorinnen, Herausgeberinnen, Organisatorinnen und öffentliche Sprecherinnen und beide waren tief religiös.
Mary A. Livermore, »von GROSSER UND NOBLER ART«
Livermore wurde 1820 in Boston geboren, ein Jahr vor Mary Baker Eddy. Die junge Mary A. Livermore rang um ein Verständnis von Gott, das ihrem Leben Sinn gäbe. Biographische Information über Livermore in: M. A. Livermore, The Story of My Life: or The Sunshine and Shadow of Seventy Years, 1898. Gehorsam und ehrerbietig erduldete sie die Lehren ihres Vaters über einen Furcht einflößenden, unerbittlichen Gott. Wie Eddy litt Livermore an der Furcht davor, dass ihre Geschwister möglicherweise nicht zu den wenigen Auserwählten gehören würden, die Gott dazu bestimmt hatte, von Verdammnis errettet zu werden. Gebet und Bibellesungen gehörten zu ihrem täglichen Leben, und sie erfüllte die Forderung ihres Vaters, die ganze Bibel jährlich zu lesen. Tröstlicher war für sie die von ihrer Mutter verkörperte Christlichkeit, die darauf gerichtet war, die Liebe für andere in einer praktischen Weise zu leben, wie Jesus es gelehrt hatte. Ähnlich schrieb Eddy, dass ihr eigener Vater, ein standhafter Calvinist, »einen eisernen Willen« hatte und sie sich ihrer »frommen Mutter« näher fühlte, deren »Leben eine lebendige Veranschaulichung christlichen Glaubens« In ihrer Autobiographie Rückblick und Einblick, 1891, zitiert Eddy auf S. 5-6 diese Worte von der Lobrede auf ihre Mutter von Rev. Richard S. Rust. war.
Livermore begegnete einer anderen Sicht von Gott und Seiner Schöpfung, die weit von der ihres Vaters abwich, als sie den Mann traf, den sie später heiratete. In ihrer Autobiographie erzählt sie von dem Weihnachtsgottesdienst in einer Kirche in Duxbury, Massachusetts, wo sie den universalistischen Pfarrer erstmals in einer neuen Weise die Gleichnisse darstellen hörte, die sie fast auswendig kannte–über den verlorenen Sohn, den Hirten und das verlorene Schaf. Zum ersten Mal fand sie biblische Bestätigung eines zärtlichen, liebenden Gottes, eines Gottes der Vergebung anstelle der Bestrafung. Später schrieb Livermore ein Kirchenlied, das auf diese Vision einer von Vergebung umgewandelten Welt hinweist, einer Vision des Aussterbens von Wut und Sünde und des göttlichen Plans, »den Wanderer durch Liebe zurückzubringen« (eine bearbeitete Fassung dieses Kirchenlieds, »Vergib dem Bruder ...« ist im Christian Science Liederbuch enthalten).
Als Frau eines Pfarrers sorgte Livermore nicht nur für Haus und Kinder, sondern schrieb auch Geschichten und Gedichte für Veröffentlichungen der Abstinenz-Bewegung und gab mit ihrem Mann ein Monatsmagazin der Universalisten heraus, das New Covenant. Während des Bürgerkriegs trat sie verstärkt in der Öffentlichkeit auf, als sie einen Teil der Leitung des Nordwestlichen Gesundheits-Ausschusses übernahm. Dieser versorgte die Krankenhäuser der Bundesarmee auf dem westlichen Kriegsschauplatz mit Hilfsmitteln und frischen Lebensmitteln und beaufsichtigte die Bemühungen der Wohlfahrt für die Freiwilligen, was dringend nötig war.
Auch wenn Livermore lange für eine Veränderung der Stellung der Frau gekämpft hatte (wie Zugang zu Universitäten, Aufhebung ungerechter Gesetze und Erweiterung gewerblicher Möglichkeiten), fand sie, dass viele Reformen ohne das Frauenwahlrecht erreicht werden könnten. Doch ihre Erfahrungen während des Krieges änderten ihre Einstellung. Sie schrieb: »Mir wurde bewusst, dass ein Großteil der Arbeit für die Nation schlecht ausgeführt oder gar nicht getan wurde, weil man Frauen nicht als Faktor in der politischen Welt anerkannte.« Livermore, My Life, S. 479. Livermore begann das gesetzlich verbriefte Frauenwahlrecht sowohl als Symbol der Gleichheit anzusehen als auch als Aussage dafür, dass das Besitz- und Familienrecht überarbeitet und die Bildungs- und Berufsmöglichkeiten erweitert werden mussten.
Als Ergebnis des ersten Frauen-wahlrechts-Kongresses 1868 in Chicago wurde Livermore Präsidentin der Frauenwahlrechts-Vereinigung, Illinois 1887 schenkte Eddy dieser Gruppe eine Ausgabe von Wissenschaft und Gesundheit und sechs Ausgaben ihrer Broschüre »Historische Skizze des Metaphysischen Heilens«, Eingehende Korrespondenz von Mary Baker Eddy (Incoming Correspondence), 970. und begann 1869 ihr eigenes Wahlrechts-Journal, The Agitator, herauszugeben. Später in jenem Jahr wurde ihr Platz in der nationalen Bewegung für Frauenwahlrecht bestätigt, als sie Vizepräsidentin der Amerikanischen Frauenwahlrechts-Vereinigung (American Woman Suffrage Association AWSA) wurde. Diese hatte ihren Sitz in Boston und ging aus früheren Sklaverei-Gegnern hervor. Sie unterschied sich partiell von der National Woman Suffrage Association (NWSA), der Stanton und Anthony vorstanden, weil die AWSA den Abschnitt des Vierzehnten und Fünfzehnten Zusatzartikels zur Verfassung unterstützten, die das Wahlrecht auf Afroamerikaner, nicht jedoch auf Afroamerikanerinnen ausdehnte. Die AWSA unterschied sich ebenfalls von der NWSA, indem sie sich mehr auf Wahlrecht als auf parallele Aspekte wie Ehe und Scheidung konzentrierte.
1869 wurde Livermore von Lucy Stone und anderen Führungsfiguren der AWSA gebeten, Herausgeberin des The Woman's Journal zu werden. Livemore und ihr Mann zogen wieder nach Massachusetts, so dass sie diese Stelle annehmen konnte. Damit schloss sie sich einer Gruppe von Frauen an, darunter Stone, Julia Ward Howe sowie William Lloyd Garrison, mit denen sie zusammen die MWSA (ein Zweig der AWSA in Massachusetts) gründete. Livermore beschrieb die Gruppe als Reformer »von großer und nobler Art ... und der Vorbild-Reformer, dem sie es gleichtun wollten, war Jesus, der Christus.« Livermore, My Life, S. 586.
Während dieser Zeit brachte Livermore ihre Botschaft der Nöte von Frauen unter ein noch größeres Publikum, indem sie als Vortragende überall im Land über für Frauen bedeutsame Angelegenheiten sprach: Wahlrecht, Bildung, Ehe wie auch über Abstinenz und andere Themen. Tatsächlich steht der erste konkrete Hinweis auf Eddys Interesse an Livermores Arbeit für Frauenwahlrecht – ein Interesse, aus dem Respekt erwuchs und welches über drei Jahrzehnte bis ins 20. Jahrhundert andauerte-im Zusammenhang zu einer Vortragsverpflichtung von Livermore.
Bilder mit freundlicher Genehmigung von der Mary Baker Eddy Bibliothek