Meine Frau und ich waren in Texas gewesen. Zügig ging es auf dem Highway 10 voran nach New Orleans. Schon bald veränderte sich die Landschaft. Bis dahin Wüste, Trockenheit, Kakteen. Die Fahrt ging über Lafayette und Baton Rouge. Und dann kündigte sich das Mississippidelta an: Marschlandschaft bis zum Horizont. Die vorherrschenden Farben nicht mehr grau und braun, sondern grün und blau. Das Wasser grün-blau, es spiegelten sich die Sumpfzypressen und der Himmel im flachen Wasser. Nutrias zogen elegant ihre Runden, ab und an ein Alligator, der zumeist träge in die Sonne blinzelte, um dann urplötzlich mit wenigen Schwimmstößen davonzuschwimmen.
Kinder springen von Bäumen ins Wasser und verjagen durch ihr Lachen und Plantschen die Alligatoren.
Am Wegesrand stehen die alten Pflanzerhäuser, weiß gestrichen, vorn die Terrasse, im ersten Stock der ums ganze Haus laufende Balkon. Hier ist der Film »Vom Winde verweht« zu Hause und wirkt wie eine aktuelle Reportage. Natürlich sind die Frauen in ihren weiten Reifröcken für die Touristen eingekleidet und sie führen routiniert durch die prächtigen Villen. Aber sie vermitteln den überall zu spürenden alten französischen Einfluss. Von den Bäumen hängt spanich moss, das spanische Moos, das mitunter wie ein Schleier wirkt.
Dann endlich New Orleans. Flach, von Wasser umgeben, von Wasser durchzogen und an etlichen Stellen durch Deiche vorm Wasser geschützt. Erholsam der Stadtpark mit seinen alten Bäumen, turbulent das French Quarter mit vielen Schaustellern und Künstlern und Musikern entlang den Straßen.
Meine Gedanken gehen ins Jahr 2002 zurück, als wir hier in Deutschland zunächst die Jahrhundert-Flut und dann die Welle der Hilfsbereitschaft und des Gemeinsinns erlebten.
Die Erinnerungen sind lebendig, der Eindruck, einer Stadt am und im Wasser begegnet zu sein, war immer präsent.
Und nun Katrina. Statt Musik und Trubel in den Straßen Stille und Unrat, vergiftetes Wasser und Zerstörung. Die hübschen Vorgärten heute nur noch Erinnerung. Wo kann man dort noch gemütlich sitzen? Vielleicht mehrere hundert Kilometer weiter nördlich.
Dann kamen die Heerscharen von Helfern, mit kaum mehr als ihrer Anteilnahme und der Bereitschaft, mit ihren beiden Händen und all ihren Kräften bis zur Erschöpfung zu arbeiten, um den Betroffenen zu helfen.
Meine Gedanken gehen ins Jahr 2002 zurück, als wir hierin Deutschland zunächst die Jahrhundert-Flut und dann die Welle der Hilfsbereitschaft und des Gemeinsinns erlebten. Und plötzlich ist wieder klar: Es kommt auf jeden Einzelnen an. Jedes Gebet, jeder ermutigende oder tröstende Gedanke wird gebraucht, und ja, auch jede Hand, die zupackt. In der Not zeigt sich der Gemeinsinn, da fasst jeder an und jeder hilft.
Die Herold-Redakteurin Kristin Buschmann ist damals ins überschwemmte Müglitztal südlich von Dresden gefahren, in einen Nachbarort von Weesenstein. Sie hat mit angepackt, Schutt weggeräumt, getröstet und den betroffenen Menschen gezeigt, dass sie nicht allein sind. Sie erinnert sich:
Ich kannte diese Gegend von einem Besuch vor etlichen Jahren, wo eine liebe Bekannte gewohnt hatte. Schon damals fand ich dieses Tal mit seinen kleinen Dörfern an der Müglitz, mitten in wunderbaren Wald eingebettet, sehr malerisch. Und nun hatte ich von einem spontan eingerichteten Organisationsteam in Chemnitz einen Anlaufpunkt gerade in dieser Gegend bekommen, wo wir helfen könnten. Doch mussten wir unser Auto oben auf dem Berg abstellen, die Straßen ins Tal waren für den Individualverkehr gesperrt, und wurden mit Bussen durch enge, teils beschädigte Straßen in die Ortschaften gebracht. Jugendgruppen, Familien, Senioren — ein buntes Häufchen in Arbeitskleidung und im Idealfall in Gummistiefeln. Je tiefer es ins Tal ging, desto stiller wurde es im Bus. Die Wassermassen des nun wieder kleinen Flüsschens hatten ja nicht nur alles mit sich gerissen, was auf ihrer zerstörerischen Bahn nicht zu schwer oder tief verwurzelt war. Außer den Zerstörungen und dem ganzen »Treibgut« bis hin zu Autowrackteilen haben sie Schlamm und Geröll hinterlassen so weit das Auge reichte.
Der Christian Science Herold reicht den betroffenen Menschen im Süden der USA die Hand.
Es brauchte erst mal etwas Geduld, bis jeder Helfer mit Schaufeln und Eimern ausgestatter war (beim nächsten Einsatz haben wir unser Werkzeug gleich selbst mitgebracht) und einem Ortskundigen zugeteilt war. Wir versuchten dann, das Haus einer Familie von Schlamm und Sand zu befreien, das bis zur Fensterkante Obergeschoss im Wasser gestanden hatte. Der Hausvater hatte fast schon Mühe, die wohl etwa zehn Helfer zu »managen«. Doch je mehr der ursprüngliche Zustand des Hauses wieder zu erahnen war, desto gesprächiger wurde die Familie. Die Hausmutter hatte zusammen mit einer älteren Dame (der Oma?) ohne funktionierende Küche, mit extra abzuwaschendem Geschirr, Kaffee gekocht und Pausenbrote gemacht. (Manchmal knirschte etwas Sand zwischen den Zähnen)
Und dann sprudelte es aus ihnen heraus. Sie zeigten Fotos, wie die Gegend vorher aussah, ihr hübsches Häuschen, das sie vor nicht allzu langer Zeit frisch renoviert hatten, der blühende Garten mit Kinderspielecke und Gemüsebeeten. Und dann die Furcht und die Sorge, als die kleine Müglitz über die Ufer trat und das Wasser stieg, unaufhaltsam. Bald war klar, dass die Kinder in Sicherheit gebracht werden mussten. Wie hoch würde das Wasser noch steigen? Irgendwann musste doch mal Schluss sein. Und irgendwann war dann der Scheitel der Flutwelle erreicht und das Wasser ging zurück. Aber was dann ans Licht kam, wollte eigentlich keiner sehen — Entsetzen, Hilflosigkeit bis hin zur Panik machten sich breit.
Und dann kamen die Heerscharen von Helfern, mit kaum mehr als ihrer Anteilnahme und der Bereitschaft, mit ihren beiden Händen und all ihren Kräften bis zur Erschöpfung zu arbeiten, um den Betroffenen zu helfen. Und diese Familie nahm diese Hilfe gern an, wenn auch mit der etwas ratlosen Frage im Hinterkopf: Wie sollen wir das jemals wieder gutmachen? Aber keiner der Helfer erwartete einen Dank. Ich heißt.
Hilfsbereitschaft, tätige Nächstenliebe lässt sich nicht mit finanziellen Werten kalkulieren. Jemand nimmt sich Tage oder Wochen frei, um beim Aufräumen, Reinigen oder dem Wiederaufbau zu helfen. Andere spenden Geld, um den betroffenen Menschen die Gelegenheit zu geben, sich das wiederzubeschaffen, was beschädigt oder zerstört worden ist. Und wieder andere beten in der Stille, dort, wo sie wohnen, um das Leid zu mindern — und nicht zuletzt auch dafür, dass jede mögliche Hilfe effizient und schnell ihre Wirkung entfaltet.
Auch dieser Beitrag reiht sich in die Kette derjenigen Beiträge ein, deren Ziel es ist, Schaden zu minimieren und Mut zu geben. Auf der Seite 4 finden Sie Hinweise auf Spendenmöglichkeiten. Aber egal, zu welcher Hilfe Sie sich führen lassen, entscheidend ist, jetzt nicht abseits zu stehen. Wir in Deutschland wissen genau, wie wertvoll die ausgestreckte Hand ist — und der Christian Science Herold reicht sie den betroffenen Menschen im Süden der USA. Sie sind dort nicht allein. You are not alone!