»Hallo, ist dort der Praktiker? Also, vorhin hab ich mein Gleichgewicht verloren und bin die Treppe hinuntergefallen. Jetzt tut mir alles weh, vor allem mein Bein. Ich kann kaum noch laufen. Können Sie für mich beten?« »Ja, mach ich gern. Sagen Sie mir doch ...« »Vielen Dank! Ich melde mich wieder. Auf Wiederhören!«
Und schon hat sie aufgelegt. Ich schaue etwas verdutzt den Hörer an und muss dann unwillkürlich grinsen. Die Anruferin ist mir völlig unbekannt, möglicherweise hat sie meinen Namen aus dem Christian Science Herold oder Journal bekommen. Mein Telefon hat ihre Telefonnummer gespeichert, ich könnte also ihren Namen und Adresse über das Internet ausfindig machen, aber das ist mir im Moment nicht so wichtig. Ihr Anruf klang echt. Sie hat mich um Hilfe durch Gebet gebeten. Und so mache ich mich an die Arbeit.
Mein erster Gedanke ist, dass Gott Liebe ist, und Liebe lässt ihrer geliebten Schöpfung nichts zustoßen. In Gottes Schöpfung kann nichts fallen oder das Gleichgewicht verlieren. Hm. Gleichgewicht. Da bleibt mein Denken irgendwie hängen. Wie viele Situationen wollen uns mental aus dem Gleichgewicht bringen ... Streit, Missverständnisse, Frust. Und wie gut ist es, sich daran zu erinnern, dass bei Gott alles im Lot ist — und bleibt. Er kümmert sich um die noch so kleinen Anliegen und Bedürfnisse, die wir haben. Er ist unsere unerschütterliche Stütze, ein unverrückbarer Fels, wie die Bibel sagt.
Dieser Gedanke hebt, befreit und erfreut mich. Ich spüre, wie sich innerlich etwas löst, so wie wenn eine Last von mir fällt. Ich weiß, dass auch meine Anruferin diese gedankliche Befreiung erlebt. Und dieser gedankliche Wandel bestimmt auch ihren körperlichen Zustand.
Mein erster Gedanke ist, dass Gott Liebe ist, und Liebe lässt ihrer geliebten Schöpfung nichts zustoßen.
Nun interessiert mich doch, wer angerufen hat, und ich finde heraus, dass die Anruferin in meinem Ort wohnt, etwa 10 Minuten von hier und notiere mir ihre Adresse.
Ein paar Stunden später ruft sie wieder an. »Hallo? Also, mir geht's viel, viel besser, die Schmerzen sind alle weg und ich kann wieder prima laufen.« »Na, das freut mich! Und ich würde Ihnen gerne erzählen, welche Gedanken ...« »Also noch mal vielen Dank für Ihr Gebet!« Und schon war sie wieder weg. Na ja, ihre Adresse hab ich ja jetzt.
Die Rechnung, die ich ihr ein paar Tage später schicke, wird kommentarlos und prompt gezahlt. Vielleicht hat sie sich noch nicht einmal gewundert, wieso ich ihre Adresse kenne. Und sie hat sich gewiss nicht gewundert, dass Gebet wirkt. Im Gegenteil, sie hat es erwartet. Und sie wollte die Lösung durch Gebet und nicht durch Gespräch.
Auch wenn dieses Erlebnis in gewisser Hinsicht außergewöhnlich ist (die meisten meiner Anrufer nehmen sich die Zeit, mir zu sagen, wer sie sind), so ist dieser Anruf andererseits auch wieder typisch für meine Erfahrung in der Christian Science Praxis.
• Jede Situation ist individuell.
• Der geografische Ort von Anrufer/ Hilfesuchendem und Praktiker ist nebensächlich.
• Die Lösung kommt in Christian Science durch Inspiration, nicht durch Therapie oder Gespräch.
• Wir können darauf vertrauen, dass Gott auf alles eine Antwort hat.
• Es liegt eine unglaubliche Freude darin zu erleben, wie die Gedanken richtiggehend geführt werden, um Zusammenhänge zu entdecken, tiefer in unsere Beziehung zu Gott einzudringen.
Seit ich Teenager war, hatte mich die Praxis von Christian Science interessiert. Aber ich wusste nicht genau, was Praktiker machen. Sitzen die immer nur an ihrem Schreibtisch und gucken in die Luft? Dann nahm ich am Christian Science Klassenunterricht teil. Und ich sah mit einem Mal Zusammenhänge, dass es sich für mich anfühlte, als ob jemand für mich ein Fenster mit einer herrlichen Aussicht in eine neue Welt aufgestoßen hätte. Ich hatte in der Folgezeit mehrere schnelle, z. T. augenblickliche Heilungen. Menschen sprachen mich an und baten mich um Hilfe.
Auch wenn ich ihnen gerne half, so war ich doch noch nicht bereit, die Praxis zu meiner hauptberuflichen Tätigkeit zu machen. Den ganzen Tag nur beten? Ist das nicht einseitig, langweilig? Wie schaut es mit dem Einkommen aus? Soll man nicht warten bis man pensioniert ist, ehe man sich vollberuflich der Praxis widmet? Hat Christian Science auf wirklich alle Fragen eine Antwort? Muss ich nicht alles über Christian Science verstanden haben (und Wissenschaft und Gesundheit auswendig kennen), bevor ich mich öffentlich als Praktiker zur Verfügung stelle?
Ich weiß, dass auch meine Anruferin diese gedankliche Befreiung erlebt. Und dieser gedankliche Wandel bestimmt auch ihren körperlichen Zustand.
Diese Fragen lösten sich in den folgenden Jahren in sanfter, natürlicher und gründlicher Art auf. Und mein Verlangen, stetig zu helfen, wuchs. Ich räumte dem Studium und dem Gebet konsequent mehr Zeit ein. Und im März 1999 war ich soweit, mich um die Eintragung im Journal und Herold als Praktiker zu bewerben.
Jetzt muss ich aufhören, mein Telefon klingelt gerade wieder ...
