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Mai in Berlin: »Wir erwarten Randale, sei vorsichtig!«

Aus der Mai 2005-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Diesen Ratschlag erhielt ich, als ich mich darauf vorbereitete, zu einer Tagung nach Berlin zu reisen. Diese Fachtagung sollte am 1. Mai in Berlin stattfinden und man machte mich darauf aufmerksam, dass doch dort traditionell zum 1. Mai die sogenannten »Mai-Krawalle« stattfänden.

Ich begann darüber nachzudenken, wie man sich vor Randale schützt. Nur, wie bitteschön, macht man das? Was täten Sie? Bleibt man möglichst nur im Tagungshotel? Verzichtet man auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel? Meidet man bestimmte Stadtteile? Oder sagt man die ganze Reise ab?

Schnell war für mich klar, dass ich mich keineswegs von der Teilnahme an meiner Tagung abhalten lassen wollte. Natürlich würde ich fahren. Ich freute mich auf die Inspiration, die von dieser Tagung ausgehen würde — und es wäre ja noch schöner, wegen irgendwelcher Randalierer fern zu bleiben!

Ich begann darüber nachzudenken, wie man sich vor Randale schützt. Meidet man bestimmte Stadtteile?

Stop — Stop — Stop. Erwartete auch ich Randalierer? Nun schien es mir an der Zeit, doch noch ein wenig mehr über dieses Thema nachzudenken.

Wer erwartete eigentlich Randale? Nun, es war in den Zeitungen zu lesen und im Fernsehen zu sehen, dass zumindest die Medien etwas erwarteten. Es wurden Bilder gezeigt von früheren Ausschreitungen. Und es wurden, so empfand ich das, Ängste geschürt durch Spekulationen darüber, was wohl in diesem Jahr alles passieren könnte. Es wurde also als selbstverständlich vorausgesetzt, dass irgendwelche »gewaltbereiten« Gruppen in Berlin »aufmarschieren« und »zuschlagen« würden.

Mich irritierten diese militärischen Fachausdrücke, und nebenbei bemerkt, frage ich mich, welchen Einfluss solche Veröffentlichungen wohl auf diese Gruppen (so es sie denn gibt) haben müssen. Könnten sie nicht gerade als eine Aufforderung oder gar Herausforderung angesehen werden, solchen Erwartungen zu entsprechen? Ich jedenfalls beschloss, das alles nicht zu erwarten!

Ich glaube, ich habe noch nie so viele blonde, langhaarige Polizistinnen auf einem Fleck gesehen. Sie alle strahlten eine geradezu fröhliche Ruhe und Gelassenheit aus.

Ich reiste nach Berlin und erlebte eine harmonische, konstruktive und inspirierende Tagung. Am Abend des 1. Mai, nach Ende der Tagung, als ich die Heimreise antreten wollte, kam mir wieder in den Sinn, dass »man« ja Randale erwartete, und für einen Moment überlegte ich, wie ich wohl am sichersten zum Bahnhof kommen könnte. Sogleich verbot ich mir jedoch solche Gedanken: Nein, ich wollte das nicht erwarten! Ich wollte ganz gewiss nicht mit an der Schraube dieser Erwartung drehen!

Und so bestieg ich den Bus. Als ich an dem Platz vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ausstieg, erlebte ich eine Überraschung. Der Platz war voller Polizisten — allerdings keine sichtbar bewaffneten, in Schutzanzügen steckende Recken, sondern junge, fröhliche und wie mir schien, überwiegend weibliche Polizisten, die einfach in aller Ruhe anwesend waren. Ich glaube, ich habe noch nie so viele blonde, langhaarige Polizistinnen auf einem Fleck gesehen. Sie alle strahlten eine geradezu fröhliche Ruhe und Gelassenheit aus, dass ich automatisch dachte: na, die erwarten aber bestimmt keine Randale!

Nun, das war sicher nicht ganz richtig, denn ohne Grund waren sie natürlich nicht anwesend, — aber sie schienen ganz sicher zu sein: weil sie da waren, würde es ruhig bleiben. Und so war es auch! Es lag eine frohe, entspannte Ruhe über dem Platz, auf dem sich sehr viele Menschen aufhielten — Urlauber, Touristen, Einheimische, die den schönen Tag genossen, usw. Ich habe mich sehr sicher gefühlt. Und ging fröhlich lächelnd meines Weges.

Mir kam das Wort »Deeskalation« in den Sinn. Zu Hause schaute ich die genaue Bedeutung in einem Lexikon nach: Eskalation = durch Wechselwirkung hervorgerufene Vergrößerung des Einsatzes in einem militärischen Konflikt; (s.a. die oben zitierten militärischen Begriffe); eskalieren = den Einsatz in einem Konflikt steigern und: De = weg, von.

Es lag eine frohe, entspannte Ruhe über dem Platz, auf dem sich sehr viele Menschen aufhielten — Urlauber, Touristen, Einheimische.

Mit anderen Worten: sich nicht an der Aufrüstung beteiligen. Aber in der Anwendung dieser Methode im Bereich der öffentlichen Sicherheit bedeutet es sicher noch mehr. Und dieses »mehr« hatten die Polizisten ganz offensichtlich gelernt und angewandt — und ich war ihnen dankbar. Und ich dachte, auch ich hatte durch meine Art des Denkens zur Deeskalation beigetragen.

Ich hatte nicht mitgedreht an der »Erwartungs-Schraube« der Gewalt, sondern ich hatte sie in meinem Denken angehalten. Ich hatte keine Randale erwartet und auch keine erlebt.

Und nicht nur ich habe das getan. Ich las, dass in dem Berliner Stadtteil Kreuzberg, der schon mehrmals zum Schauplatz dieser Mai-Krawalle geworden war, sich die Bewohner ganz bewusst zu einem Straßenfest zusammengefunden hatten, das sie Myfest nennen.

Mai-Kundgebung; Mai-Demo; Mai-Krawalle; My-Fest. — Ja, so funktioniert das!

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