Die indogermanischen Völker und Sprachen, d.h. die Vorläufer der meisten europäischen und vieler west- und südasiatischer Völker und Sprachen kannten noch kein gemeinsames Wort für Krieg oder Frieden, bevor sie vor 5000 Jahren in verschiedene Richtungen wanderten. Die Herkunft des Wortes »mir« der slawischen Sprachen und der griechischen »eirene« ist unbekannt. Der lateinische Begriff »pax« (it. und fr. la pace. eng. peace) bedeutet Festlegung, Vertrag, also einen rein äußerlichen, gefühllosen Begriff, mit dem man ein anderes Volk auch in böser Abhängigkeit und Unterwerfung halten konnte, wie die selbstherrlichen Römer dies ja auch oft taten.
Friede ist der Begriff gegenseitiger Schonung, Liebe, Anerkennung, Wertschätzung.
Einen unvergleichlich ansprechenderen Einblick bietet das gemeingermanische Wort Friede (ndl. vrede, schwed. frid). Es gehört mit slaw. »pri-jatjelj« (Freund) und altind. »pritih« (Freude) und »priyä« (Geliebte) zu einer indogermanischen Wurzel »pri« mit der Bedeutung »sich freuen, lieben, schützen, schonen«. Daraus auch Freund (der Liebende), Freitag (Tag der Liebes- und Ehegöttin Freja) und frei. Frei war ursprünglich der angeheiratete Verwandte von freien = heiraten, später überhaupt der zur eigenen Sippe Gehörige, den man also liebte, schützte, schonte — im Gegensatz zu Un-freien = Fremden oder unterworfenen Knechten. Innerhalb der Sippe, dann innerhalb des Stammes, dann innerhalb der Volksgemeinschaft genoss er Schonung, Schutz. Anerkennung — und damit Ansehen und Handlungsfreiheit. So entstand ganz allmählich der Begriff der Selbstständigkeit und dann der gesellschaftlichen, rechtlichen und auch innerlichen geistigen Freiheit.
Und Friede ist dann der Begriff gegenseitiger Schonung, Liebe, Anerkennung, Wertschätzung. Folglich ist Friede nicht möglich ohne die sprachverwandten Begriffe der Freundschaft, der beiderseitigen Freiheit, d.h. beiderseitigen vertrauensvollen Gewährenlassens und der beiderseitigen Liebe (vgl. freien). Schön zeigt dies das ostschweizerische Wort »fri«, welches heute noch sanft, zahm, angenehm bedeutet.
Frieden kann man also nicht »schaffen«, man muss ihn mitbringen. Gandhi: »Es gibt keinen Weg zum Frieden, Friede ist der Weg!« Bergpredigt: »Selig sind die Friedensstifter« und »Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.« Notfalls schon mal im Voraus!
»Die Würde des Menschen ist unantastbar« verfügt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Friede ist keine völkerrechtliche Urkunde mit amtlicher Unterschrift, sondern die grundlegende Gemütsverfassung der Zu-frieden-heit. Innere Ruhe ist sich großen Reichtums be-wusst — und rechtzeitiger Versorgung: »Mir wird nichts mangeln.« Wer mit sich und seinem Leben nicht zu-frieden ist, belastet, ja bedroht seine Mitmenschen! Dies ist sehr ernst gemeint. Wir sind alle miteinander vernetzt. Wer mit sich selbst nicht in Frieden lebt, wer un-be-friedigt ist, wer sein Gutes nicht in sich selbst findet, sondern es von anderen erwartet, bedroht seine Mitmenschen und damit unser gesamtes Netzwerk des Miteinanders. Er oder sie sät Un-frieden.
Friede ist keine völkerrechtliche Urkunde mit amtlicher Unterschrift, sondern die grundlegende Gemütsverfassung der Zu-frieden-heit.
Man kann einen Menschen oder gar ein Volk auch nicht mit Gewalt und Strafen zu Frieden zwingen. »Zwangsfriede« wäre ein Unwort, ein Widerspruch in sich. Denn Friede ist — wie gezeigt — unmöglich ohne Liebe, Schutz, Schonung, Freundschaft, Wertschätzung, Freiheit. Unseren Weg zu Frieden, Freiheit, Wohlstand gibt es nicht im Alleingang, sondern nur als Gesellschaftsreise. Einzelfahrten werden nicht gebucht. Manch einer begreift erst nach langer äußerer oder innerer Einsamkeit, welch ein Geschenk der Mitmensch ist. Vielleicht ist Jesu Rat »Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst« die tiefste Weisheit irdischen Lebens. Aber sie greift nicht mehr. Jedenfalls dann nicht, wenn viele sich und ihr eigenes Leben so wenig lieben, dass sie schon aus lauter Verzweiflung sich samt Mitmenschen in die Luft sprengen. In die Luft, nicht in den Himmel, der ihnen vorgelogen wird. Aber welche Not muss solcher Verzweiflungstat vorausgehen? Wie viel unentdeckter Reichtum! Ist nicht jeder neue Mensch eine ganze Welt in sich voller Reichtümer. Fähigkeiten, Begabungen? Warum genießen wir nicht diese Entdeckerfreude? Wie viel Dankbarkeit versäumen wir! Unsere gesamte Schöpfung ist gekennzeichnet durch Fülle, ja Überfülle. Sie ist so angelegt, dass jeder zufrieden sein, ja von seinem Frieden noch weiterschenken kann.
Unseren Weg zu Frieden, Freiheit, Wohlstand gibt es nicht im Alleingang.
Einst wollten fried-lose Pharisäer eine Ehebre cherin öffentlich bestrafen und hätten damit Jesu Lehre vernichtet. Hätte er die beabsichtigte Steinigung der Frau befürwortet, wäre seine gesamte Lehre der Liebe und des Friedens in sich zusammengebrochen wie ein Kartenhaus. Hätte er Moses Gesetz widersprochen, hätten sie ihn mitgesteinigt. Aber von Unfrieden bedroht und ansteckbar ist nur, wer keinen Frieden in sich hat. Durch seine weltberühmte Antwort: »... der werfe den ersten Stein« erlöste er alle vom Unfrieden und führte jeden einzelnen dazu, an seiner eigenen Vervollkommnung zu arbeiten. Wer anderen nichts Gutes gönnt, verliert selbst. Unbefriedigtheit ist Habenwollen. Friede ist Wohlwollen: Der Mitmensch muss sich unbedingt auch wohlfühlen! »Tiefreich« nannten die Griechen den Frieden und gaben ihrer Friedensgöttin wie einem vorweggenommenen Marienbild den jungen Reichtumsgott in den Arm. Friede ist unerschütterliche innere Ruhe und Entdeckung der unendlichen Reichtümer und Möglichkeiten unseres Lebens. Friede ist Freude am Leben. Gemeinsame und ansteckende.
Friede ist Freude am Leben.
Friede ist die Einfalt des Geistes
die Heiterkeit der Lebensauffassung
die Ruhe der Seele
das Band der Liebe.
