Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf hebräisch Betesda. ...Es war aber dort ein Mann, der lag achtunddreißig Jahre krank. (Joh 5:2,5)
»Jesus fragte den Mann zunächst einmal, ob er gesund werden wolle. Die Frage ist nicht so töricht, wie sie vielleicht klingt. Seit achtunddreißig Jahren hatte der Mann vergeblich gewartet, und es war daher durchaus möglich, dass all seine Hoffnung geschwunden und er selbst einer passiven, dumpfen Verzweiflung anheimgefallen war. Es war durchaus möglich, dass der Mann im Innersten seines Herzens ganz zufrieden damit war, ein gebrechlicher Mann zu sein, da er, falls er gesund würde, die Last auf sich nehmen müsste, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und wieder selbst für sich verantwortlich zu sein. Es gibt Kranke, denen ihr Gebrechen durchaus gefällt, weil jemand anderes ihnen alle Arbeit und Mühe abnimmt. Doch dieser Mann erwiderte umgehend, er wünsche geheilt zu werden, obwohl er gar keine Möglichkeit dazu sah, weil er niemanden hatte, der ihm helfen konnte. ...
Dann sagt Jesus zu dem Mann, er solle aufstehen. Es ist als ob Jesus damit sagen wollte: >Mann, zwinge dich dazu! Wenn du dich aufs äußerste anstrengst, wird es schon gelingen!< Die Kraft Gottes entbindet die Menschen niemals von eigener Anstrengung. Niemand darf sich zurücklehnen, erschlaffen und auf ein Wunder warten. Nichts ist so wahr, wie dass wir uns unserer eigenen Hilflosigkeit bewusst werden müssen; aber in einem sehr realen Sinn ist es auch wahr, dass Wunder immer dann geschehen, wenn unser Wille und Gottes Kraft zusammenwirken.
... In Wirklichkeit befahl Jesus dem Mann, etwas Unmögliches zu versuchen. >Stehe auf!<, sagte Jesus. Der Mann hätte darauf durchaus gekränkt und entrüstet erwidern können, das sei das einzige, wozu er nicht imstande sei. ... Jesus befahl ihm [sein Bett] aufzuheben und es fortzutragen. Der Mann hätte darauf mit Recht erwidern können, das Bett habe ihn seit unddreißig Jahren getragen, und es sei ziemlich sinnlos, ihm zu befehlen, er solle seinerseits das Bett tragen. Doch wiederum bemühte sich der Mann mit Christus darum — und es gelang.« (Barclay)
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. (Ps 23:4)
»[Dieser Vers] ist Rückblick und Ausblick in einem — so war es, und so wird es sein. Zum >Weg der Gerechtigkeit< gehört auch der Weg im Tal der Todesschatten. Wenn man kurz einen Blick auf eine Herde von Weidetieren wirft, ist es klar, worum es geht: >Die Herde muss auf der Suche nach guten Weide- und Wasserstellen bisweilen finstere Talgründe durchziehen< ... Es gibt kein Leben in der Freude, das nicht aus dem Leiden käme. Gerade an dieser Stelle, wo dem Beter die Realität seines Leidens vor Augen steht, fällt er in das vertrauliche >Du<: Du bist bei mir, Gott. Das Dabeisein Gottes wird erst im dunklen Tal richtig erfahren. Dieses ist zwar noch nicht die endgültige Rettung, gibt aber dem Bedrängten die Gewissheit, dass Gott eingreifen wird, wenn die Stunde es gebietet. Darum kann David jetzt schon sagen — im Hinblick auf alles Dunkle, das ihn noch umschließen wird — : ich fürchte kein Unglück. Dieses Mit-Sein Gottes ist ein verborgenes, noch bevor Gott in der neuen Welt ganz offenbar sein wird (>und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein<, Offb 21,3) —; aber es gibt Zeichen der Gegenwart Gottes: dein Stab und dein Stütze, sie trösten mich. Der Stab ist >eine mit Eisen beschlagene Keule< ... zum Anwehren von wilden Tieren. Die Stütze ist hier als Leitstab gedacht, >um die säumigen Schafe anzutreiben und die abirrenden zur Herde zurückzuführen< ... Es ist nicht so, dass David selbst solche Instrumente in Händen hält (auch nicht im übertragenen Sinne), denn Gott selbst ist beides in Person.
Alles Führen und Leiten Gottes zielt auf eine endgültige Ruhe, den Gottessabbat hin. Doch unterwegs gibt es schon Ruhepunkte, damit David sich um so mehr freut auf das endgültige Wohnen vor dem Angesicht Gottes.< (WStB)
Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht ... (Joh 3:1,2)
»Nikodemus kam bei der Nacht zu Jesus. Dafür hat er wahrscheinlich zwei Gründe gehabt.
1. Es kann eine Vorsichtsmaßnahme sein. Vielleicht wollte Nikodemus sich und die anderen Mitglieder des Hohen Rates nicht dadurch kompromittieren, dass er am Tage zu Jesus ging. Wir dürfen Nikodemus deswegen nicht verurteilen, sondern müssen uns vielmehr wundern, dass ein Mensch wie Nikodemus überhaupt zu Jesus kam. Es war entschieden besser, bei Nacht zu kommen, als überhaupt nicht. Es ist ein Gnadenwunder, dass Nikodemus seine Vorurteile soweit überwand und trotz seiner Erziehung und seiner ganzen Lebenseinstellung zu Jesus ging.
2. Es kann aber auch einen anderen Grund gehabt haben, dass Nikodemus Jesus bei der Nacht aufsuchte. Die Rabbiner behaupteten, nachts ließe sich das Gesetz am besten erforschen, weil man sich dann völlig ungestört in die Arbeit vertiefen könnte. Den ganzen Tag über war Jesus beständig von Leuten aller Art umgeben. Vielleicht kam Nikodemus also bei Nacht zu Jesus, um sich ganz privat und völlig ungestört mit Jesus unterhalten zu können. Vielleicht kam er bei der Nacht, weil er Jesus ganz für sich haben wollte, was während der ausgefüllten Tagesstunden nicht möglich war.
Nikodemus befand sich in einer schwierigen Lage und war verwirrt. Er war ein Mann von höchstem Ansehen, und dennoch fehlte seinem Leben etwas. Er kam, um sich während der Nachtstunden mit Jesus zu unterhalten, um in der Dunkelheit der Nacht ein Licht zu finden.< (Barclay)
... die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. (Jes 40:31)
»Seitdem das Volk mit ansehen musste, wie die von Gott beauftragten Gerichtswerkzeuge über das Land herzogen und dass der letzte Kampf um die Gottesstadt nichts austrug, und als es sah, wie seine Jünglinge und jungen Krieger matt und müde wurden und wie sie nicht daran vorbei kamen zu straucheln, war alle Spannkraft gewichen. Der Blick auf das Versagen selbst der Besten lähmt! Doch Jesaja hat der Exilsgeneration einen Neuanfang verheißen. Die auf Jahwe Harrenden sind nicht irgendwelche >Fromme<, die während der Gefangenschaft den Glauben an den richtigen Gott durchgehalten haben, sondern es sind die, die sich das Wort des Propheten sagen lassen und sich bereit machen für das in kürze beginnende Erlösungswerk Gottes. Weil Gott wieder anfängt zu reden, kommt auf die Resignierten neue Kraft. Diese Gotteskraft hat eine gewaltige Energie freigesetzt. Wie ein Adler seine Schwingen ausbreitet und sich zu einem von niemanden zu hindernden Flug anschickt, so werden in gleicher Weise die Exilierten ungehindert in ihr Land aufbrechen und es auch erreichen. Gott gibt >nicht nur Kraft zum Tragen, sondern mehr: Kraft zum Fliegen!< ...Auf dem Weg zum Land der Väter laufen die Erlösten und ermüden nicht. Das Bild vom Adlerflug meint jedoch nicht, dass die Heimkehrenden nun keine Berührung mit der Wirklichkeit mehr hätten; es will nur den Aspekt der Freiheit und des Ungehindertseins verdeutlichen. Sonst aber gilt: die Adlerschwingen verhelfen dem Volk Gottes, auf dem Boden zu bleiben und dort tapfer voranzuschreiten. ... Die Gotteskraft wirkt da, wo die natürliche Kraft nicht mehr vorhanden ist.« (WStB)
Manasse war 12 Jahre alt, als er König wurde; und er regierte fünfundfünfzig Jahre zu Jerusalem (2. Chr. 33:1)
»Manasse trat im Alter von 12 Jahren die Nachfolge seines Vaters Hiskija an. Seine 55-jährige Herrschaft (696641 v.Chr.) über das Königreich Juda war die längste in Juda. Manasse >tat, was dem Herrn missfiel, und folgte den abscheulichen Bräuchen< (2Kön 21,2) der Völker, die das Land Kanaan vor der Eroberung durch die Israeliten bewohnten. ...
Eine assyrische Inschrift belegt, dass Manasse einer von 22 Königen war, die unter Asarhaddon Zwangsarbeit bei dessen Bauvorhaben leisten mussten. Offensichtlich um seine neuen Herren versöhnlich zu stimmen und zum Beweis seiner Loyalität führte Manasse den heidnischen Götzendienst wieder ein, den sein Vater aus Jerusalem verbannt hatte. Er ließ die Schreine für Baal wieder aufbauen, hängte Bildnisse der Göttin Aschera auf ... Den heidnischen Sitten folgend, brachte er sogar seine Söhne vor den Toren Jerusalems im Tal Hinnom als Brandopfer dar. Daher erstaunt es nicht, dass er als übelster aller Könige gilt, die je den Thron Davids bestiegen. ...
Manasse entging nicht den Demütigungen, denen ein assyrischer Vasall unterworfen war. Die Assyrere schlugen einen Haken durch seinen Kiefer und führten ihn in Ketten nach Babylon< (2Chr 33, 11), wo er vermutlich dem König Treue schwören musste. Er durfte sein Königreich behalten und kehrte nach Jerusalem zurück. Danach ließ Manasse — vielleicht mit Erlaubnis der Assyrer — eine Außenmauer um Jerusalem errichten, welche die Hauptstadt gegen einen eventuellen Angriff der wiedererstarkten Ägypter schützen sollte; möglicherweise diente sie aber auch einem von ihm geplanten Aufstand.
Wie zur Rechtfertigung einer so langen und dem Schein nach erfolgreichen Regierungszeit erwähnt der Verfasser des 2. Buch der Chronik eine Legende, wonach Manasse seine Missetaten schließlich bereute. Der Wortlaut dieses Bußgebetes, das er als Gefangener in Bable geleistet haben soll, ist im apokryphen Gebet Manasses enthalten, das später, vermutlich zwischen 250 und 150 v. Chr., entstand. Es ist ein kurzer Psalm, in dem Manasse Gott um Vergebung seiner Sünden bittet ...« (MdB)
Quellenangaben
Barclay = William Barclay
WStB = Wuppertaler Studienbibel
MdB = Die Menschen der Bibel
