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Vergebung — auch für Wunden der Vergangenheit

Aus der Mai 2005-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Es gibt etwas, das wir uns alle wünschen, das wir anstreben, das aber gleichzeitig vielen Menschen sehr, sehr schwer fällt: zu vergeben.

Vergeben hat viel mit Lieben zu tun. Doch gibt es Momente, wo das Leid und die innere Verletzung so groß sind, dass man glaubt, niemals vergeben zu können. Und diese Einstellung scheint durch einige Stellen im Alten Testament der Bibel bestätigt zu werden, wo es von Gott heißt, dass er »[heim]sucht die Missetat der Väter [...] an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied!« (2. Mose 34:7). Ich fand das schon als Kind schrecklich, weil Gott für mich schon als Kind ein liebender Vater war, kein strafendes Wesen.

Es gibt Momente, wo das Leid und die innere Verletzung so groß sind, dass man glaubt, niemals vergeben zu können.

Aber der Geist der Vergebung steht schon seit eh und je dem Drang nach Rache entgegen. In der Bibel gibt es jedoch wunderbare Beispiele von Vergebung. Angefangen bei Josef, der seinen Brüdern vergeben und sie vom Hungertod erretten konnte, bis hin zu Jesus, der noch während der Kreuzigung Gott um Vergebung für seine Widersacher bitten konnte.

Aber auch in jüngerer Vergangenheit hört man immer wieder von Menschen, die die Weisheit und Güte aufbringen, um zu vergeben. Ich denke da besonders an Corrie ten Boom, eine Holländerin, die im KZ Ravensbrück saß, weil sie und ihre Familie während des Zweiten Weltkrieges Verfolgte versteckt hatten. Sie hatte sich im KZ geschworen, dass sie später nur Liebe und Versöhnung predigen wollte und dass sie das Evangelium der Liebe dahin tragen würde, wo Gott sie hinführen würde. In ihrem Büchlein »Mit Gott durch dick uns dünn« (Corrie ten Boom, Brockhaus Taschenbuch) schildert sie, wie sie andere Menschen in der ganzen Welt an dieser Botschaft teilhaben ließ. Ihre Hingabe und Überzeugung wurden aber auf eine harte Probe gestellt, als sie nach einer Ansprache in München ihrem ehemaligen Wächter gegenüberstand, der sie nicht erkannte, aber sagte, bereut zu haben und sie um Vergebung bat. Sie schreibt: »Da stand ich nun — ich, der Sünden wieder und wieder vergeben wurden — und konnte es nicht! ... Es können nur ein paar Sekunden gewesen sein, dass er dastand mit seiner ausgestreckten Hand, aber für mich waren es Stunden, denn ich musste mit der schwierigsten Sache fertig werden, mit der ich es je zu tun gehabt hatte. Denn ich musste es tun. Ich wusste das. Die Botschaft von der Vergebung Gottes hat eine entscheidende Voraussetzung: dass wir denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind. ... Und ich stand da mit meinem kalten Herzen. ... &Jesus hilf mir& betete ich leise. ... Hölzern, mechanisch legte ich meine Hand in die ausgestreckte Hand des Mannes. Als ich es tat, geschah etwas Unglaubliches. Die Bewegung enstand in meiner Schulter, sie strömte in meinen Arm und sprang in die umschlossene Hand. Und dann schien diese heilende Wärme mein ganzes Sein zu durchfluten. Tränen kamen mir in die Augen. &Ich vergebe dir, Bruder& weinte ich, &von ganzem Herzen& Einen langen Augenblick lang hielten wir uns die Hände, der frühere Wärter und die frühere Gefangene. Ich hatte Gottes Liebe noch nie so intensiv erlebt wie in diesem Augenblick. Aber mir war auch klar, dass es nicht meine Liebe war.« (S. 38)

Aber der Geist der Vergebung steht schon seit eh und je dem Drang nach Rache entgegen.

Frau ten Boom beschreibt so wunderbar, dass, als sie bereit war zu vergeben — ihre Hand ausstreckte —, Gottes Liebe wirksam wurde und die »heilende Wärme« ausbreitete.

Ich selbst habe mich viele Jahre nach Vergebung gesehnt.

Ich selbst habe mich viele Jahre nach Vergebung gesehnt, denn den längsten Teil meines Lebens habe ich mich schuldig gefühlt, weil ich Deutsche bin. Besonders wenn ich im Ausland lebte, wurde ich oft auf die Vergangenheit angesprochen und auf das Unrecht, das von Deutschland ausgegangen ist. Natürlich konnte ich das nie erklären und auch nicht entschuldigen. Aber ich schämte mich oft meiner Nationalität.

Vor etwa 15 Jahren lernte ich — wieder für einige Zeit im Ausland — eine jüdische Frau kennen, die als kleines Kind in einem KZ gewesen war. Zwischen uns begann zögernd das Pflänzchen der Freundschaft zu wachsen. Sie erzählte mir, dass ihr immer, wenn sie jemanden mit einem deutschen Akzent sprechen höre, physisch schlecht wurde. Und ich erzählte ihr von meinen Schuldgefühlen. Sie redete mir immer wieder zu, diese Gefühle zu überwinden. Ich solle doch die Vergangenheit ruhen lassen. Sie selbst begann dann in der Abendschule Deutsch zu lernen, und wenn wir zusammen in der Kirche saßen, dann betete sie das Vaterunser auf Deutsch und ich auf Englisch. Das war schon sehr bewegend für mich.

Ich wusste plötzlich, dass es tatsächlich bei Gott keine Schuld gibt. Nie gegeben hat! Denn Gott, Liebe, hat überhaupt kein Bewusstsein von Schuld.

Diese Last der Schuld hatte nun begonnen sich aufzulösen. Aber eigentlich ist mir die geistige Dimension dieser Heilung erst vor kurzem klar geworden. Als ich wieder einmal das Gleichnis vom verlorenen Sohn im Neuen Testament las, wurde mir klar, dass der Vater das Gefühl von Schuld seines Sohnes einfach nicht gelten ließ. Als der Sohn nach seinem verschwenderischen Leben wieder nach Hause kam, lief der Vater seinem Sohn entgegen und hieß ihn mit überströmender Liebe willkommen. Der Sohn hatte sich gewandelt. Sein Hochmut und seine Arroganz waren durch die Erfahrungen, die er machen musste, verschwunden. Er war nun bescheiden und demütig geworden. Vom Vater kamen keine Vorwürfe, keine Strafe, sondern nur Liebe, Vergebung und Barmherzigkeit.

Der Mensch wurde von Gott vollständig rein und in strahlender Unschuld geschaffen.

Ich musste an das schöne Kirchenlied denken: »Auch dir kommt der Vater entgegen ...« Und ich wusste plötzlich, dass es tatsächlich bei Gott keine Schuld gibt. Nie gegeben hat! Denn Gott, Liebe, hat überhaupt kein Bewusstsein von Schuld. Schuld ist ja nur ein Fehler im menschlichen Denken, der berichtigt werden muss. Wie es im Ersten Brief des Paulus an die Korinther heißt: »Die Liebe rechnet das Böse nicht zu«, oder in einer neueren Übersetzung: »die Liebe registriert das Böse nicht!« Denken Sie nur: die göttliche Liebe nimmt das Böse gar nicht wahr! Es hat keine Substanz und keinen Wirkungsbereich!

Ich bin so glücklich, endlich ganz klar erkannt und erlebt zu haben, dass ich dieses schwere Paket von Schuld nicht zu tragen brauche. Ja, — es hat sich einfach aufgelöst. Ich glaube jetzt, dass das Gefühl von Schuld und Reue ein Hinweis darauf ist, dass es noch etwas zu berichtigen gibt in unserem Bewusstsein; dass es eine geistige Tatsache zu erkennen gibt über uns selbst und über unsere innige Beziehung zu unserem Vater-Mutter Gott. Vergeben zu können ist wirklich lebensnotwendig, — für uns selbst und für unseren Nächsten. Für mich bedeutet Vergeben auch, die ursprüngliche Unschuld und Reinheit meiner selbst und meines Nächsten zu erkennen und zu beanspruchen. Denn der Mensch wurde von Gott vollständig rein und in strahlender Unschuld geschaffen. Jeder kann diese große Liebe Gottes erkennen und erleben — und dadurch frei werden.

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