Ihr seid unser Brief, in unser Herz geschrieben, erkannt und gelesen von allen Menschen! Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, durch unsern Dienst zubereitet, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, ... (2. Kor 3:2,3)
»Hinter diesem Abschnitt steht der Gedanke an die in der Antike weitverbreitete Sitte, jemandem ein Empfehlungsschreiben mitzugeben. Wer ein ihm unbekanntes Gemeinwesen aufsuchte, ließ sich von einem seiner Freunde, der dort jemanden kannte, einen Brief mit auf den Weg geben, durch den er sich in der Fremde einführen und als charakterlich einwandfrei bestätigen lassen konnte. ...
Unmissverständlich erklärt Paulus, solcher Empfehlungen bedürfe er nicht. ... Paulus erklärt, der einzige Empfehlungsbrief für ihn seien die Korinther selbst; er bedarf keiner anderen Empfehlungen als der des Wandels ihrer Gesinnung und Lebensführung.
Paulus fährt mit einer wichtigen Aussage fort: Jeder von ihnen ist ein Brief Christi. Lange zuvor hatte Plato einmal gesagt, gute hätten, nicht mit verblassender Tinte und in stummen Worten nieder, sondern in das Herz verständnisvoller Schüler. Auch Jesus hatte seine Botschaft den Menschen ins Herz geschrieben, und zwar den Korinthern durch Paulus. Das ist eine großartige Wahrheit, zugleich eine Inspiration und eine Mahnung: Jedermann ist ein vor Jesus Christus offen daliegender Brief. Jeder Christ ist entweder eine gute oder eine schelechte Empfehlung für Christus und den Christlichen Glauben. Die Ehre der Kirche, die Ehre Christi liegt in der Hand seiner Anhänger. Wie wir Geschäftsinhaber nach den Waren beurteilen, die sie veräußern, und Handwerker nach der Qualität ihrer Arbeit, so beurteilt man Christus nach den Menschen, die seinen Namen im Munde führen oder ihm nachfolgen. Ein Wanderprediger, der jahrelang auf offener Straße zu Menschen gesprochen hatte, die der Kirche nicht angehörten, erklärte einmal, dass es kein größeres Handicap für die Kirche gebe als die unbefriedigende Lebensführung der sogenannten Christen. Wenn wir in die Welt hinausgehen, tragen wir die Verantwortung, offene Briefe oder Empfehlungsschreiben für Christus und seine Gemeinde zu sein.« (Barclay)
Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. (Joh 2:1)
»Diese Begebenheit wirft in vielerlei Hinsicht ein bezeichnendes Licht auf Jesus. ...
Wir müssen beachten, wann sie geschah. Sie ereignete sich anlässlich einer Hochzeit, auf der Jesus sich vollkommen dazugehörig fühlte. Er war kein strenger und harter Spielverderber, sondern genoss mit den anderen die Freudern des Hochzeitsfestes. ... Ein Schüler hat in Erinnerung an seine Lehrerin einmal gesagt: >Bei ihr fühlte ich mich wie in Sonnenschein gebadet. So verhielt es sich auch bei Jesus. Ein Theologe erteilte seinen Schülern in einem Buch kluge, wenn auch zum Teil sarkastische, ätzend scharfe Ratschläge. Darin heißt es: >Eine wehleidige Stimme mag zu einem Leichenbestattungsunternehmen passen, Lazarus jedenfalls ist nicht mit hohlen Seufzern aus dem Grab ins Leben zurückgerufen worden. ... Ich empfehle allen, die Menschenherzen gewinnen wollen, Fröhlichkeit; nicht leichtfertige, seichte Ausgelassenheit, sondern einen heiteren, belebenden Geist Jesus hat in Fröhlichkeit und Glück nie ein Verbrechen gesehen, warum sollten also seine Nachfolger es tun?
Wir müssen beachten, wo es geschah. Es geschah in einem bescheidenen Haus in einer ländlichen Gemeinde Galiläas. Das Wunder wurde nicht bei einer bedeutenden Gelegenheit und in Gegenwart einer großen Menschenmenge bewirkt, sondern in einem Privathaus. ... Wir sollten darum stets daran denken, dass Jesus seine Herrlichkeit in einem schlichten Heim offenbart hat; es war für ihn ein Ort, für den das Beste gerade gut genug war. ...
Außerdem wird uns an dieser Begebenheit klar, wie sehr Maria Jesus vertraute. ... Maria glaubte selbst dann noch an Jesus, als sie nicht verstand, was er vorhatte, und als es schien, dass er ihre Bitte abgeschlagen hatte. ...
In dieser Geschichte erfahren wir aber auch etwas über Jesus. Er antwortet Maria: Meine Stunde ist noch nicht gekommen. In allen Evangelien spricht Jesus immer wieder von seiner Stunde. ... Es war Jesus stets bewusst, dass er um einer bestimmten Aufgabe willen und mit einer ganz bestimmten Absicht in die Welt gekommen war. Er sah sein Leben nicht unter dem Aspekt seiner eigenen Wünsche, sondern ausschließlich unter dem Aspekt, welche Absicht Gott mit ihm hatte. Er sah sein Leben nicht vor dem veränderlichen zeitlichen Hintergrund, sondern vor dem Hintergrund der Ewigkeit. ... Nicht nur Jesus ist in die Welt gekommen, um den Ratschluss Gottes zu erfüllen, jeder Mensch ist ... ein Gedanke Gottes, hat einmal jemand gesagt. Auch wir sollten nicht an unsere eigenen Hoffnungen und Wünsche denken, sondern an die Absicht, die Gott mit uns verfolgt. (Barclay)
Und sie kamen nach Jericho. Und als er aus Jericho wegging, er und seine Jünger und eine große Menge, da saß ein blinder Bettler am Wege, Bartimäus, der Sohn des Timäus. (Mk 10:46)
Am nördlichen Stadttor saß ein blinder Bettler namens Bartimäus, der Stimmen und ein Getrampel von Füßen hörte und sich erkundigte, was da los sei und wer vorübergehe. Als man ihm sagte, dass Jesus es sei, begann er augenblicklich zu schreien, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Da sein Geschrei diejenigen, die Jesus zuhörten, jedoch störte, versuchten diese, Bartimäus zum Schweigen zu bringen. Diesen jedoch konnte niemand dazu bringen, sich die einmalige Chance entgehen zu lassen, seine Blindheit loszuwerden, und er schrie so heftig und mit solcher Penetranz, dass der Zug schließlich stehen blieb und er zu Jesus geführt wurde. Diese Begebenheit ist insofern sehr aufschlussreich, als sie erkennen lässt, welches die Voraussetzungen dafür sind, dass ein Wunder geschieht.
1. Die Hartnäckigkeit des Bartimäus. Nichts konnte diesen von seinem Geschrei abbringen; war er doch fest entschlossen, zu demjenigen zu gelangen, den er mit seinem Kummer konfrontieren konnte. ... Und dieses verzweifelte Verlangen verfehlte seine Wirkung nicht.
2. Er reagierte sofort und mit solchem Eifer auf den Ruf Jesu, dass er den schützenden Mantel von sich warf, um schneller zu Jesus zu gelangen. ... Es gibt einmalige Chancen — das wusste Bartimäus instinktiv. ...
3. Er wusste genau, was er wollte: dass er sehend würde. ... Wenn wir mit der gleichen ungeheuren Entschiedenheit ... zu Jesus kommen, dann wird auch [für uns] etwas geschehen.
4. Bartimäus hatte sehr unzulängliche Vorstellungen von Jesus; er nannte ihn beharrlich Sohn Davids. Das war zwar ein messianischer Titel: doch lag darin die Vorstellung vom siegreich einherziehenden Messias, von dem König aus Davids Geschlecht, der Israel zu nationaler Größe führen würde. Nichtsdestoweniger besaß Bartimäus Vertrauen, er glaubte an Jesus, und das machte die Unangemessenheit seiner Gottesvorstellungen hundertfältig wett. ...
5. Am Schluss zeigt sich noch ein sehr schöner Zug an Bartimäus. Auch wenn er nur ein Bettler am Wege war, so war er doch ein dankbarer Mensch. Nachdem er wieder sehen konnte, folgte er Jesus nach. Er ging also nicht, was nahegelegen hätte, seiner Wege, sondern zeigte Dankbarkeit und weiterhin Treue, Treue gegenüber Jesus. Das aber sind die Stufen der Nachfolge Jesu. (Barclay)
Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. (Joh 1:16)
Das griechische Wort pleroma, das Johannes für Fülle verwendet, ist ein wunderbares, bedeutsames Wort. Es bedeutet die Summe alles dessen, was in Gott ist. Paulus bedient sich dieses Wortes sehr oft. ... Er meint [hier] damit, dass in Jesus alle Weisheit, alle Kraft und die ganze Liebe Gottes wohne. Aus diesem Grunde sei Jesus unerschöpflich. Wer mit einer Not zu Jesus kommt, dem hilft Jesus aus dieser Not. ... Wer sein Lebensziel in der Erkenntnis sieht, dem wird in Jesus die größte Offenbarung zuteil. ... Wer mit dem Leben nicht fertig zu werden meint, wird in Jesus den Meister des Lebens und der Kraft zu leben finden. Wer sich seiner Sünde bewusst ist, wird Vergebung seiner Sünden und die Kraft, sich zu bessern, erlangen. In Jesus steht das pleroma die Fülle Gottes, alles, was in Gott ist und was ein englischer Theologe einmal die Quelle göttlichen Lebens genannt hat, den Menschen zur Verfügung.
Von ihm haben wir Gnade um Gnade empfangen. Wörtlich übersetzt lautet der griechische Text Gnade anstelle von Gnade ... Was bedeutet dieser merkwürdige Ausdruck?
a) Vielleicht bedeutet er, dass wir in Christus ein Wunder haben, das zu anderen Wundern führt. Als einer der ersten Missionare zu einem König der Pikten in Nord-Schottland kam, fragte der König ihn, was ihn erwarte, wenn er Christ werde. Der Missionar erwiderte: lhr werdet Wunder um Wunder entdecken, die alle wahr sind...
Je mehr wir über [Jesus Christus] nachdenken und mit ihm denken, umso weiter wird der Horizont der Wahrheit. Vielleicht will Johannes mit diesen Worten die Grenzenlosigkeit Jesu Christi zum Ausdruck bringen. Vielleicht will er auf diese Weise ausdrücken, dass allen Menschen, die Jesus folgen, jeden Tag neue Wunder aufgehen, die ihren Geist erleuchten und sie stärker an Jesus binden.
b) Vielleicht sollen wir diesen Ausdruck auch ganz wörtlich verstehen. In Christus finden wir Gnade um Gnade. Zu den verschiednen Zeiten und in den verschiedenen Situationen des Lebens bedürfen wir auch jeweils einer anderen Art der Gnade. In Zeiten des Wohlergehens bedürfen wir einer anderenGnade Gnade als in Zeiten des Missgeschicks. ... Wir bedürfen einer anderen Gnade, wenn wir uns sicher fühlen, als wenn es auf der Welt nichts Gewisses mehr für uns zu geben scheint. Die Gnade Gottes ist nicht statisch, sondern dynamisch. Stets entspricht sie der jeweiligen Situation. ... Unser ganzes Leben lang empfangen wir anstelle einer Gnade eine andere, denn die Gnade Jesu Christi ist jeder Situation in triumphierender Weise angemessen.« (Barclay)
Quellenangabe
Barclay = William Barclay
