Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. (1. Mose 22:1)
»Mit den überleitenden Worten Es geschah nach diesen Ereignissen wird der Bericht von der Fesselung Isaaks in den großen Geschehenszusammenhang der Abrahamgeschichte eingefügt. Nachdem Isaak geboren war wurde Ismael, der älteste Sohn Abrahams, um Isaaks willen verjagt. Isaak war die einzige Zukunft Abrahams. ... Da kommt die Prüfung Gottes! Der Name Gott ist [im Originaltext] dem Zeitwort prüfen vorangestellt, das heißt Gott selbst stellt Abraham auf die Probe.
Das Wort prüfen oder auf die Probe stellen (hebräisch: nisah) richtet im Unterschied zu den anderen hebräischen Begriffen für prüfen die Aufmerksamkeit ganz auf den, der geprüft werden soll. Wie wird sein Verhalten sein? Wird er sich bewähren? ... Neu ist nicht das Auf-die-Probe-Stellen des Glaubens Abrahams, sondern die Formulierung: dass Gott selbst Abraham prüfte. ... Abrahams Glaube wird von Gott persönlich und direkt auf die Probe gestellt. Ähnliches wird im Buch Hiob geschildert: Satan, der von Gott abgefallene und zu Gottes Widersacher gewordene Engel, hatte im Himmel Zweifel über die Echtheit der Frömmigkeit Hiobs geäußert. Daraufhin befahl Gott, Hiob durch Leiden zu erproben ...
Hinter der Prüfung Abrahams stand nicht der Widersacher, sonder allein Gott. ...Die Prüfung Abrahams geht weit über das hinaus, was an Anfechtungen vom Fleisch oder vom Teufel her kommt, das heißt, hinter der Prüfung Abrahams standen nicht die fremden Götter, die ihn zum Abfall verlocken wollten, sie ereignete sich auch nicht auf dem Gebiet des Geschlechtlichen. Hinter der Prüfung Abrahams steckte nicht der Gedanke göttlicher Erziehung, wie ihn die Lehrer der Weisheit kannten, auch handelte es sich nicht um körperliche Leiden wie bei Hiob. Sie war ein direkter Befehl Gottes, an dem es schlechterdings nichts zu deuten gab. ...
Gott spricht zu Abraham: Ich fordere und erbitte von dir deinen einzigen Sohn; ...Die Bezeichnung Isaaks, als des einzigen ... wird ergänzt mit den Worten, den, den du lieb hast. ... Bei der Taufe Jesu im Jordan spricht die Stimme aus dem Himmel: Dies ist mein geliebter Sohn ...« (WStB)
Ich, der Herr, wandle mich nicht; (Mal 3:6)
»Gott hat sich nicht geandert! Er ist derselbe geblieben im Laufe der ganzen Geschichte Israels! Es lohnt sich, über diese Aussage – die Gott über sich selbst macht – noch ein wenig nachzudenken. ... In der Tat, was wäre das für ein Gott, der sich ändert? Es wäre kein Verlass auf ihn. Vertrauen könnte nicht wachsen. Seine Ziele und damit auch unsere Lebensziele wären einem steten Wandel unterworfen. So aber ist der Gott der Bibel nicht. Immer wieder machen Menschen nach Zweifel und Angst die Ehrfahrung: des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss (Ps 33,4). ...
Bekehrt euch zu mir, dann will ich mich auch zu euch bekehren! spricht Jahwe Zebaoth. Diese Stelle ist außerordentlich wichtig. Sie zeigt a), dass die Feststellung von Sünde noch nicht den endgültigen Untergang bedeutet. Vielmehr deckt Gott Sünde auf, um sie zu heilen. Er gibt die Chance der Rettung, b) Wird gezeigt, wie Rettung möglich ist: nämlich durch Bekehrung. Statt Bekehrung ziehen viele Ausleger das Wort Umkehr vor, die Sache ist dieselbe. Hebräisch bedeutet sich bekehren bzw. umkehren zunächst sich wenden. D.h. man gibt den bisherigen Weg auf. Sodann wendet man in eine neue Richtung, zu jemandem oder etwas hin. ... c) Wer sich auf diese Weise Gott (neu) zuwendet, darf mit seinem Erbarmen rechnen: dann will ich mich auch zu euch bekehren!...
Es erinnert fast an die Seligpreisungen der Bergpredigt, wenn Gott nun in V.12 um Israel wirbt: Dann werden euch alle Völker glücklich preisen, ...
Was ist die Bilanz von Mal 3,6-12? Sie lässt sich in zwei Sätzen zusammenfassen. Erstens: Israel muss umkehren, sonst verfällt es dem in 2,17-3,5 prophezeiten Gericht. Zweitens: Kehrt Israel ... um, dann wird es schon jetzt Gottes Segen im Übermaß erfahren. Der ernste Ruf zur Umkehr und die liebevolle Werbung mit der göttlichen Verheißung vereinigen sich hier. Wie hat Gott um Israel gerungen!« (WStB)
Und alsbald war in ihrer Synagoge ein Mensch, besessen von einem unreinen Geist; der schrie (Mk 1:23)
»Durch Jesu Vollmacht wird plötzlich an einem bisher stillen und normalen Gottesdienstbesucher die Finsternis offenbar. ...
Unter der Lehre der Rabbiner hatte sich der unreine Geist nicht bedroht, nicht einmal beunruhigt gefühlt. Sämtliche Hallelujas ihrer Liturgie ließen sich irgendwie verarbeiten. Aber Jesus gegenüber platzt diese Symbiose aus Ungeist und Religiosität. Scharfe Kampfesrufe gellen durch die Synagoge.
Aber darf man Synagoge und Ungeist so zusammenstellen? Das besitzanzeigende Fürwort in ihrer Synagoge schient diesen Zusammenhang herzustellen (vgl. auch V.39, ebenfalls in bezug auf Dämonie): Es ist typisch für diesen Ort, ja entlarvend, dass hier ein solches Chaos aufbricht. Damit ist die Synagoge als Ort der Lebensströme gründlich in Frage gestellt. ...
Und Jesus schalt ihn. ... Durch eine herrische Entmachtung und Hinausweisung ist schon alles entschieden: Sei gebunden und geh heraus. ... Man beachte die unendliche Kürze ... Jesus lehrte nicht nur anders als die Schriftgelehrten, er trieb auch die Dämonen anders aus als sie ...
Und es zerrte ihn der unreine Geist. Gezerrtwerden und Hinstürzen gehört zum Krankheitsbild auch der Epilepsie ... Es könnte für den Betroffenen fürchten lassen, aber ... [des Dämonen] Ohnmacht gegenüber Jesus war auch Ohnmacht gegenüber dem Besessenen. Alles stand schon im Zeichen der Befeiung: Und schreiend einen großen Schrei, ging er aus ihm heraus.
Die Stehenden erschauderten allesamt. Der unreine Geist ist weg, Gott ist da!« (WStB)
Von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25.1-13)
»Dass die in diesem Gleichnis geschilderte Situation völlig lebensecht ist, geht aus dem Bericht des Engländers J. A. Findlay hervor, der ein persönliches Erlebnis folgendermaßen schildert: Als wir uns einer Stadt in Galiläa näherten, sah ich zehn festlich gekleidete Mädchen, die auf Musikinstrumenten spielend vor uns die Straße entlangtanzten. Als ich mich nach ihrem Tun erkundigte, erzählte der mit uns fahrende Dolmetscher mir, sie seien dabei, einer Braut Gesellschaft zu leisten, bis ihr Bräutigam komme. Auf meine Frage, ob Aussicht bestünde, die Hochzeit anzusehen, schüttelte er den Kopf und sagte: vielleicht findet sie heute abend statt, vielleicht morgen abend, vielleicht aber auch erst in vierzehn Tagen; das kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Weiter erklärte er, es sei eine große Sache, wenn es dem Bräutigam gelinge, die Braut mit ihrem Gefolge zu überraschen. Er komme unangemeldet, zuweilen mitten in der Nacht; wohl erwarte man, dass er jemanden vorausschickte, der in den Straßen ausrufe: Siehe, der Bräutigam kommt! doch könne dies zu jeder beliebigen Zeit geschehen ... Wichtig sie dabei auch, dass niemand nach Einbruch der Dunkelheit auf die Straße gehen dürfe, ohne eine brennende Lampe bei sich zu haben, und auch, dass Zuspätkommende, die nach dem Bräutigam einträfen und nachdem die Tür bereits geschlossen sei, zur Hochzeitszeremonie nicht mehr zugelassen würden.–Das in diesem Gleichnis erwähnte Schauspiel hat sich noch im zwanzigsten Jahrhundert in Palästina auf die gleiche Weise abgespielt. ...
Wie viele Gleichnisse Jesu, so hat auch das hier vorliegende eine unmittelbare, lokale Bedeutung und eine umfassendere allgemeine Bedeutung.
In seiner unmittelbaren Bedeutung richtet es sich gegen die Juden, das auserwählte Volk. ... In dramatischer Weise wird hier das Unglück aufgezeigt, das daraus folgte, dass die Juden nicht darauf vorbereitet waren, Jesus bei sich zu empfangen.
Darüber hinaus enthält das Gleichnis aber auch zwei allgemeingültige Wahrheiten. 1. Es mahnt uns daran, dass es Dinge gibt, für die es in letzter Minute zu spät ist. ... Nur zu leicht kann es geschehen, dass es zu spät ist, uns auf die Begegnung mit Gott vorzubereiten. ... ². Das Gleichnis mahnt uns daran, dass es Dinge gibt, die man sich nicht ausleihen kann. So wie die törichten Jungfrauen kein Öl borgen konnten, als sie feststellten, dass sie es brauchten, können auch wir Menschen uns das Verhältnis zu Gott nicht ausborgen, wir müssen es besitzen. ... Wir können nicht bloß von dem geistigen Kapital leben, das andere angesammelt haben.« (Barclay)
Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. (Joh 8:6)
»Figuren auf den Boden zu zeichnen ist ein vielgeübter orientalischer Brauch. ... Während sie Debatten zuhören oder versuchen, in einem schwierigen Problem zu einer Entscheidung zu kommen, beugen große Denker, Richter und weise Männer sich herab und ziehen mit ihrem Zeigefinger geometrische Linien auf den Boden, ... Einem Fremden mag dies vorkommen, als ob solche Männer ... etwas Unnützes tun ... In Tat und Wahrheit sind sie jedoch in tiefes Sinnen versunken.
Als die Schriftgelehrten und Pharisäer die Frau des Ehebruchs anklagten, beugte sich Jesus nieder und begann, mit Seinem Finger Figuren auf den Boden zu zeichnen. Die ganze Situation war äußerst heikel. Während Er den Anklägern der Frau zuhörte, dachte Er über eine Antwort nach. Er schrieb jedoch keineswegs etwas auf die Erde. Auch hätten die Umstehenden, die ja meist Analphabeten waren, es gar nicht lesen können, wenn Er es wirklich getan hätte. Überdies wäre es schwierig gewesen, auf dem rauhen Fußboden eines orientalischen Hauses etwas zu schreiben. Die Anwesenden wussten, dass Jesus ein Prophet war und befürchteten nun, da Er sich zum zweiten Male bückte, Er könnte die Männer, welche mit der Frau gesündigt hatten, bloßstellen. Nachdem jüdischen Gesetz wären sie der gleichen Strafe des Steinigens verfallen gewesen wie die Ehebrecherin.« (Lamsa)
Quellenangaben
Barclay = William Barcley,
Auslegung des Neuen Testaments
WStB = Wuppertaler Studienbibel
Lamsa = Georg M. Lamsa,
Die Evangelien in aramäischer Sicht