In der Geschichte standen Frauen mit Ideen der Notwendigkeit gegenüber, den öffentlichen/privaten Begrenzungen, die ihre Fähigkeit zu sprechen und gehört zu werden einschränkten, mit Spitzfindigkeit zu begegnen.
Durch die Forschung über amerikanische Frauen bringt eine Handvoll Gelehrter Briefe als primäre Quellen in die vorderste Reihe. Lisa Gring-Pemble zum Beispiel hat sowohl die persönliche Korrespondenz der Frauenrechtlerin Lucy Stone studiert als auch die von Antoinette Brown Blackwell, der ersten amerikanischen Frau, die von einer protestantischen Kirche ordiniert wurde, einer anerkannten Autorin und Kritikerin des 19. Jahrhunderts, die 1875 The Sexes Throughout Nature veröffentlichte. Der Brief, den Stone 1850 schrieb, um ihre Freundin einzuladen, bei der Frauenrechts-Versammlung von 1850 zu sprechen, löste Brown Blackwells formelle Karriere als Aktivistin aus. Durch das umfassende Studium der frühesten Briefe, die von diesen beiden Frauen ausgetauscht wurden, als sie beide an dem Oberlin College studierten, enthüllte Gring-Pemble, dass Briefe für ihre Verwandlung zu Personen des öffentlichen Lebens von Bedeutung waren.
Als Gring-Pemble eine Reihe von Briefen aus der Korrespondenz dieser College-Zeit heranzog, fand sie heraus, dass die beiden jungen Frauen ihre »privaten, persönlichen« Briefe als zwanglose Möglichekeit der »Bewusstseinserweiterung« nutzten, was direkt zu der Entwicklung ihrer politischen Plattform führte. Durch die Vorschriften der Universität (aufgrund ihres Geschlechts) von öffentlichen Vorlesungen und Studienseminaren ausgeschlossen, nutzten sie den persönlichen Brief, um Ideen und Erörterungen über Frauen und Theologie, Ehe sowie über das öffentliche Halten von Reden von Frauen zu erarbeiten. L. M. Gring-Pemble, »Writing Themselves into Consciousness: Creating a Rhetorical Bridge Between the Public and Private Spheres« in Quarterly Journal of Speech 84, 1998, S.45-46.
Als Hochschulabsolventin war es mir möglich, meine eigenen Studien über Frauen wie die Aktivistinnen Susan B. Anthony, Elizabeth Cady Stanton, Frances Harper und Sarah Grimké zu betreiben; über die Poetin Emily Dickinson und die Romanautorin Katherine Anne Porter — nur deshalb, well ihre Briefe nun veröffentlicht werden und/oder von den speziellen Sammlungen, zu denen sie gehören, zugänglich gemacht wurden. Freier Zugriff auf vorhandene, schriftliche Korrespondenz macht viel aus bei dem Verständnis über die Arbeit dieser Frauen und schafft ganz andere Möglichkeiten, ihre Geschichte zu erzählen. Der Zugang zu unlängst veröffentlichter Korrespondenz von Frauen des 19. Jahrhunderts ermöglichte es mir, neue wissenschaftliche Fragen zu stellen und neue »Lesarten« relativ vertrauter Subjekte zu erkunden. Ich entdeckte, dass Briefe mehr sind als das Bereitstellen rein biografischer oder voyeuristischer Einsichten in das »private« Leben von bedeutsamen Frauen, und erkannte, dass sie uns helfen, Verbindungen zur Vorgeschichte ihrer Arbeiten und Errungenschaften herzustellen, sowie einen deutlicheren Fokus auf Vorgänge statt lediglich auf Produkte zu liefern.
Wenn wir versuchen, bisher nicht wahrgenommene Frauen zu erforschen und sie historisch einzuordnen, fühlt es sich manchmal so an, als ob erfolgreiche Personen auf wunderbare Weise und plötzlich ohne Zusammenhang oder Vorgeschichte erschienen, als wären es viele schöne Athenen, die fertig geformt aus dem Kopf des Vaters Zeus herausspringen. Natürlich ist das nicht der Fall, und während ich eine lehrreiche Zeit mit den nun veröffentlichen Briefen einiger Frauenaktivistinnen des 19. Jahrhunderts verbrachte und diese Briefe als »Primär-« und weniger als »Sekundär-Materialien« behandelte, erlaubte mir dies in meiner Abschlussarbeit, das Entstehen außergewöhnlicher Leistungen von Frauen in einen zusammenhang zu stellen.
Als ich die nun veröffentlichten Briefe von Harper, Anthony und Stanton sorgfältig studierte, fand ich, dass sie alle die historisch feminisierte private Briefform nutzten, um die schwere Last der politischen und intellektuellen Arbeit zu bewältigen. Persönliche Korrespondenz diente diesen Frauen als ein Ideen-Raum, um sich mit Argumenten zu beschäftigen; als ein Testgelände für öffentliche Reden und formelle Texte; als ein Medium, um die Beschränkungen der häuslichen Sphäre zu überwinden und an einem weiter reichenden Diskurs teilnehmen zu können; als ein Ausdrucksmittel, um für sich und andere Frauen einzutreten; als ein Weg, Netzwerke und Bündnisse zu bilden; und als ein Weg, einschlägige Neuigkeiten, überzeugende Beweise sowie provokante Argumente zu verbreiten.
Der Fall von Frances Harper bietet ein exzellentes Beispiel dafür, was ein Brief bewirken kann. Dank der Gelehrten Frances Foster wurden unlängst 27 persönliche Briefe von Harper veröffentlicht. Deren Veröffentlichung ist umso bedeutsamer, als dass Harper nur spärlich persönliche Papiere und weder Tagebücher noch Aufzeichnungen hinterließ – sie schrieb nichts Autobiografisches. Geboren in einer freien schwarzen Familie, studierte Frances Ellen Watkins Harper alte Sprachen und die Bibel, schrieb Poesie und machte eine bemerkenswerte Karriere als öffentliche Sprecherin, Autorin und Aktivistin für Frauenwahlrecht, Bildung für Frauen, Alkohol-Abstinenz und Rassengerechtigkeit. Harper war der Afrikanischen Methodistischen Episkopalkirche angeschlossen, und 1854 war sie eine weit gereiste beliebte Persönlichkeit in Neu-Englands Zirkeln der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei.
Als ich Harpers Briefe von 1853 bis 1864 betrachtete, dem frühen Stadium ihrer Karriere, fand ich, dass diese Texte ihre Ausdauer und Hingabe für ihre Sache bezeugen, aber auch als Raum für Erfindung und Übung für ihre Auftritte als Aktivistin dienten. Viele der Argumente, die sie in ihren öffentlichen Reden präsentierte, sind hinsichtlich Logik, emotionaler Erscheinung und Still in ihre persönlichen Briefen eingewoben. Mein Lieblingsbeispiel dafür, wie sie den Brief als einen Erfindungsraum nutzt, ist am 12. September 1856 von den Niagara-Fällen an »Mein Lieber Freund« adressiert. Sie skizziert hier das Erzählende, die Bildsprache, den Pathos und die Logik der kraftvollen Ansprache, die sie 1858 bei der 25. Jahresversammlung der Amerikanischen Anti-Sklaverei-Vereinigung halten würde – einer ihrer ber ühmtesten Vorträge. Im Brief heißt es:
»Ich bin gerade heute aus kanada zurückgekehrt. ... Nun, ich habe das erste Mal auf ein Freies Land geblickt! ... [E]s war ein herrlicher Anblick, zum ersten Mal auf ein Land zu blicken, in dem ein armer Sklave, geflohen aus unserem ruhmreichen Land der Freiheit(!), von einem Moment auf den anderen seine Fesseln zerbrochen fände, seine Ketten gelöst ... Danach habe ich den mit einem Regenbogen gekrönten Niagara gesehen, von Erhabenheit umgeben und mit Herrlichkeit gekleidet, den Choralgesang der Allgegenwart singend, aber keine dieser Aussichten hat mich so schmelzen lassen wie der erste Blick auf ein Freies Land.« F. S. Foster, Hrsg. A Brighter Coming Day: A Frances Ellen Watkins Harper Reader, 1990, S. 45-46.
Harper beginnt hier die Rede zu gestalten, die sie zwei Jahre später vor einem öffentlichen Publikum halten würde. Als Errungenschaft der Rede von 1858 gilt heute die Entwicklung einer machtvollen Gegenposition, welche die gängige Darstellung der Amerikanischen Freiheit angreift und deren heuchlerischen Mythos als Sklavenstaat entlarvt. Ihre Methoden erscheinen erstmals in dem Brief, der das Amerika des 19. Jahrhunderts als eine »Landschaft« der Ungerechtigkeit erfasst.
Harpers persönliche Briefe geben ihr auch Raum, spezifische Beispiele von Rassismus und Missbrauch zu dokumentieren, die sie auf ihren Reisen beobachtete, und die Möglichkeit, ihre Verbündeten während ihrer Vortrags-Rundreise zu ermutigen, in Kontakt mit ihnen zu bleiben und sie über Änderungen in ihrem Programm zu informieren.
Andere Aktivistinnen des 19, Jahrhunderts nutzten persönliche Briefe auf ähnliche Weise. Susan B. Anthony und Elizabeth Cady Stanton, die zeit ihres Lebens miteinander befreundet waren und zusammen arbeiteten, hinterließen umfassende Briefaufzeichnungen, die eine lebenslange Debatte und Zusammenarbeit aufzeigen. Die ganze Masse von Briefen wurde nun dank der revidierten Ausgabe von Dubois Elizabeth Cady Stanton – Susan B. Anthony Reader veröffentlicht, die schließlich die »späten« Briefe von 1895 bis zu Stantons Tod 1902 zugänglich machte. Mir ist aufgefallen, dass zusätzlich zum Ersinnen, Entwickeln und Reflektieren ihrer Auftritte, wie bei Harper, die briefliche Korrespondenz für die Frauen in diesen späteren Jahren eine zusätzliche Bedeutung gewann.
Stanton, die durch persönliche Umstände und mangelnde Gesundheit isoliert war, schickte Anthony Briefe, damit diese bei öffentlichen Ansprachen oder Veranstaltungen verlesen werden sollten, an denen sie nicht physisch teilnehmen konnte oder wollte. Beide Frauen nutzen ihre persönlichen Briefe, um einander relevante politische Neuigkeiten mitzuteilen – Stanton vertraute mehr denn je auf Anthonys Berichte von dem Vortragskreis, um auf der Höhe des öffentlichen Diskurses zu sein. Und sie ermutigten sich häufig gegenseitig, stützten sich gegenseitig durch Solidarität, wenn der Weg beschwerlich wurde. Anthony schließt ihren letzten Brief an Stanton 1902 mit: »Und wir, liebe alte Freundin, werden uns [zur] nächsten Sphäre der Existenz bewegen – höher und größer, uns kann der Glaube nicht trügen, eine, wo Frauen nicht auf eine untergeordnete Stelle platziert werden, sondern auf einer Fläche der vollkommenen intellektuellen und spirituellen Gleichheit willkommen geheißen werden.« E. C. Dubois, Hrsg. The Elizabeth Cady Stanton – Susan B. Anthony Reader: Correspondence, Writings, Speeches, 1992, S.299.
Diese Beispiele (und viele andere wie diese) stützen meine Behauptung, dass der Brief als ein Ventil fungierte, der entscheidend für die erfolgreiche intellektuelle Arbeit sowie die Arbeit als Aktivistin vieler Frauen war. Zweifellos erlaubte der Brief vielen Frauen des 19. Jahrhunderts die traditionellen privaten/ öffentlichen Grenzen strategisch zu manipulieren oder aufzuheben. Ich glaube, dass der Brief diesen Frauen erlaubte, weit über das Stadium der Bewusstwerdung hinauszugehen, was ihnen Raum gab, ihre öffentliche Arbeit zu tun. Diese Briefe zu studieren macht heutzutage den Werdegang dessen, was für sie als »anständig« galt, etwas klarer.
Unglücklicherweise führen viel zu viele Briefe viel zu vieler bedeutender Frauen immer noch ein Schattendasein im Verborgenen. Mit der Zeit werden mehr und mehr veröffentlicht. Wir müssen uns der Lage gewachsen zeigen und von solchen Hilfsmitteln Gebrauch machen. Zahlreiche andere Korrespondenzen von weniger bekannten Figuren existieren in verschlossenen Sammlungen und verstauben. Viele dieser Ignorierten Briefe könnten, wenn veröffentlicht, eine Menge zum öffentlichen Wissen beitragen.
Im Fall einer Figur wie Mary Baker Eddy, deren Werke großartig, aber zu wenig bekannt sind, gibt es viel zu erkunden, viel zu tun. Es scheint mir, als ob Mary Baker Eddy genau die Art von Subjekt ist, das nach einer umfassenderen Sicht dessen schreit, was als »Primär-Quelle« für das Erzählen einer vollständigen Geschichte herangezogen wird. Zum Glück für die Forscher beinhalten die Bestände der Mary Baker Eddy Bibliothek Tausende individueller Briefe von Eddy, die ihr langes Leben umspannen. Zählt man dazu die in Tausenden eingehenden Korrespondenzen von Eddys Zeitgenossen, so hat man einen immensen Schatz-Fund für Gelehrte. Die Mary Baker Eddy Bibliothek hat einen riesigen Schritt unternommen, um sicher zu gehen, dass Eddys Leben und Arbeit endlich in der ganzen Komplexität untersucht werden. Das Einrichten einer Such-Datenbank mit Eddys Briefen, die in der Bibliothek vor Ort verfügbar ist, ist eine Errungenschaft. Bilder der Objekte selbst und Transkriptionen ihres Inhalts sind wahrlich einschneidend. Diese Hilfsmittel bereitwillig nicht nur Forschern zur Verfügung zu stellen, sondern direkt der besuchenden Öffentlichkeit, ist ein entscheidender erster Schritt, eine vollständige Geschichte zu erzählen. Das Geschenk der Zugänglichkeit bedeutet, dass das Wissen über Eddys Leben und Werke in den kommenden Jahren hoffentlich zunehmen wird – nicht nur in den akademischen Elfenbeintürmen, sondern in unserer kulturellen Konversation im Allgemeinen. Die Kenntnis unsere wahren Geschichte hilft uns, den Kontext zu schaffen, in dem Frauen der Zukunft ihre Möglichkeiten, etwas zu erreichen, erkennen könnten.
Sarah Klein Masterson, M.A., ist Absolventin der Universität von Texas, Austin, und schloss ihre Arbeit über Englisch und über Frauenstudien an der Universität von Maryland ab. 1999 leitete sie die Forschung über historische Materialien von Frauen des 19. Jahrhunderts am Smithsonian Institut des Nationalen Museums für amerikanische Geschichte. Ihr Forschungsgebiet beinhaltete Schriften von Frauen, die Geschichte amerikanischer Frauen sowie Kunst und allgemeine Kultur. Sie ist freischaffende Gelehrte und Autorin sowie Herausgeberin einer Kleinstadttageszeitung im südlichen Texas.