Vorbemerkung
Eine kurze Untersuchung einer Auswahl protestantischer Konfessionen in den Vereinigten Staaten zeigt, dass trotz theologischer Unterschiede viele die Tradition geistigen Heilens teilen – auch wenn sie in unterschiedlicher Gestalt auftritt.
Die meisten Christen sind sich der physischen Heilungen bewusst, die in der Bibel als Wunder festgehalten sind. Diese Heilungen schließen Genesungen von Leiden und Zuständen wie Blindheit, Taubheit, Lepra und Lähmung ein bis hin zum »Austreiben von Dämonen« – was wir heute vielleicht als das Handhaben von mental, emotional oder geistig gestörtem Gleichgewicht bezeichnen können. Die Evangelien berichten uns sogar von Jesus, der mehrere Menschen vom Tod erweckte. Zwar berichten die biblischen Berichte über Jesus, dass er diese Macht an seine Jünger weitergegeben habe. Dennoch hat die Religion, die auf seine Lehren zurückzuführenist, seit dieser Zeit stets das Heilen vermieden, indem sie es als Phänomen bezeichnete, das mit Jesus persönlich zusammenhing, oder es als eine göttliche Intervention klassifizierte, derer sich Heilige oder jene mit spezielle geistigen Mächten bedienen können.
In diesem kurzen Überblick sechs protestantischer Traditionen sehen wir, dass – ob in der vordersten Reihe konfessionellen Lebens oder nicht – geistiges Heilen ein gemeinsamer Faden ist, der in den Stoff amerikanischen Christentums gewoben ist. In dem Buch The Restoration of Christian Healing: New Freedom in the Church Since the Reformation (Die Wiederherstellung christlichen Heilens: Neue Freiheit in der Kirche seit der Reformation), aus dem dieser Artikel extrahiert wurde, untersucht Frank Darling weitere Glaubensrichtungen, darunter den römischen Katholizismus und die östliche Orthodoxie und kommt zu derselben Schlussfolgerung. Aus Platzgründen ist dieser Artikel auf Darlings Erläuterung einer handvoll protestantischer Gruppen beschränkt und gewährt demzufolge nur einen flüchtigen Blick auf die Theologie, Geschichte und Heilpraxis einer jeden Gruppe.
Frühes protestantisches Heilen
Etwa die Hälfte der religiösen Bevölkerung Amerikas bezeichnet sich selbst als protestantische Christen. Diese Christen sind auf vielerlei Art Erben der protestantischen Reformation im 16. Jahrhundert – der religiösen und sozialen Veränderungen in Westeuropa, welche der allgemeinen Ansicht nach im Jahr 1517 ihren Anfang nahmen. In jenem Jahr nagelte Martin Luther 95 theologische Thesen, welche die Praktiken der römischkatholischen Kirche, insbesondere den Ablasshandel, anprangerten, an eine Kirchentür in Wittenberg. Die Lehren der frühen protestantischen Reformer waren auf eine innere persönliche Erlösung ausgerichtet. Sie lehrten, dass Gottes Güte nicht direkt in die täglichen Angelegenheiten der Menschheit eindrang – dass das Gesetz Gottes immer noch getrennt von den Gesetzen des materiellen Universums wirkte, mit einem gelegentlichen, doch seltenen, übernatürlichen Eingreifen.
Die frühe protestantische Auffassung vom geistigen Heilen war bescheiden und zögerlich. Doch das soll nicht heißen, dass der frühe Protestantismus völlig frei gewesen wäre von Bemühungen, die Praxis christlichen Heilens wiederherzustellen. Weil die Bibel als Wort Gottes im Mittelpunkt stand und durch Übersetzungen und Druckerpressen einer wachsenden Anzahl von Laien besser bekannt wurde, wurden die Berichte von Heilungen ebenfalls bekannter und als Teil der christlichen Erfahrung akzeptiert. Wie in den nächsten Abschnitten beschrieben, überwanden einige wenige religiöse Reformer Krankheit durch Gebet, Erbarmen und biblisches Studium.