Wie jetzt ziemlich allgemein bekannt ist, besteht der grundlegende Satz von Mrs. Eddys Lehre in der Erklärung, daß Gott, das Gute, alles ist. Hieraus ergibt sich als logische Folgerung, daß das Übel unwirklich ist, möge es sich als Sünde oder als Krankheit kundtun. Mrs. Eddy sagt in bezug auf diesen Punkt: „Wahrheit ist intelligent; Irrtum ist nicht intelligent. Ferner, Wahrheit ist wirklich, und Irrtum ist unwirklich. Diese letzte Behauptung enthält den Punkt, den du äußerst widerwillig zugeben wirst, obgleich er von Anfang bis zu Ende der wichtigste ist, den es zu verstehen gilt” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 466).
Gerade die Tatsache, daß diese Lehre von der Unwirklichkeit des Übels so heftig vom sterblichen Gemüt angegriffen wird, beweist ihre Echtheit. Wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren, sei es in unsrer Arbeit für uns selbst oder für andre. Die Außenstehenden machen zuweilen die Einwendung: „Wenn der Irrtum eine Nichtsheit ist, wie die Christlichen Wissenschafter erklären, dann steht es den Sterblichen ja frei, sich nach Herzenslust mit dieser Nichtsheit abzugeben und sich dieselbe anzueignen.” Die Widersinnigkeit dieses Einwurfs muß dem denkenden Menschen offenbar sein. Es gibt jedoch viele Leute, die noch nicht begriffen haben, daß von dem Standpunkt der Christlichen Wissenschaft aus nichts wirklich ist als das, was von Gott kommt und Sein Wesen ausdrückt. Es ist dies keine leere Theorie, sondern eine wichtige Wahrheit, die den Worten und Werken Jesu zugrundelag und die in unsrer Zeit die Demonstration der Macht der Wahrheit möglich macht, wie zur Zeit Jesu.
Der Schüler der Christlichen Wissenschaft beginnt seine Demonstration damit, daß er sich der Unwirklichkeit der Krankheit bewußt wird. Er weiß, daß Krankheit in keiner Beziehung steht zu Gott oder zu dem von Ihm erschaffenen Menschen; daß sie keine Offenbarwerdung von Leben oder Gemüt ist, und daß sie, weil sie eine bloße Verneinung ist, nur zu ihrer eignen Zerstörung beitragen kann. Würden die Menschen diese Wahrheit besser verstehen und stets im Auge behalten, dann würden sie die Allheit Gottes, des Guten, schneller erkennen und demonstrieren. Das Heilen von Krankheit durch diese Wahrheit führt zu einer scheinbar schwierigeren Aufgabe, nämlich zur Überwindung der Sünde. Die Kirchen haben seit Jahrhunderten dem Heilen durch geistige Mittel nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt und bei ihrem Bestreben, das Problem der Sünde zu lösen, haben sie die Sünde für etwas Wirkliches, für einen konkreten Faktoren des Daseins gehalten, ohne zu bedenken, daß dies gleichbedeutend ist mit einem Leugnen der Allheit Gottes und der Unbedingtheit und Allumfassenheit des Guten.
Auf Seite 138 von Wissenschaft und Gesundheit sagt Mrs. Eddy: „Für das Christentum ist es leichter Krankheit auszutreiben als Sünde, denn die Kranken sind williger sich von Schmerzen zu trennen, als die Sünder, die sündigen sogenannten Freuden der Sinne aufzugeben”; aber sie hinzu: „Beide Heilungen erfordern dasselbe Verfahren und sind untrennbar in der Wahrheit.” Der Erfahrung gemäß besteht die wahre Methode darin, daß man gleich beim ersten Erscheinen des Irrtums sich bewußt wird und in Gedanken, oder laut behauptet, daß Gott die betreffende Erscheinungsform des Irrtums nicht erschaffen hat und daß sie daher unwirklich ist. Den manigfachen Störungen liegt oft die anerzogene Neigung zugrunde, den Irrtum erst zuzugeben, ehe man ihn verneint, ungeachtet der Ermahnung Jesu: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.”
Oftmals schließt die Reue über begangene Sünden das Licht der Wahrheit aus. In solchen Fällen ist dasselbe Mittel anzuwenden. Die Wahrheit verlangt keine quälende Reue, sondern Buße. Wir können die Worte Johannis des Täufers über Christus Jesus nicht genug beherzigen: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt”, und zwar müssen wir uns den geistigen Sinn des Wortes „Lamm” aneignen, wie er in dem Glossarium unsres Lehrbuchs auf Seite 590 dargelegt ist: „Die geistige Idee der Liebe; Selbstaufopferung; Unschuld und Reinheit; Opfer.”
In der Christlichen Wissenschaft machen wir oft die Erfahrung, daß uns nichts so sehr hilft als der Beistand, den wir andern zuteil werden lassen. Mit Hilfe der in obiger Definition dargelegten Idee vermögen wir andern zu helfen, denn wir können in den sterblichen Neigungen derer, die sich an uns wenden, dieselben Irrtümer entdecken, die uns den Weg versperren würden, wollten wir ihre Wirklichkeit zugeben. Wenn wir jedoch für die Allheit der Wahrheit eintreten, fängt die Frucht des Geistes an zu erscheinen, nämlich „Liebe, Freude, Friede ... Sanftmut, Keuschheit”, und wir lernen erkennen, daß „nichts Verdammliches” ist „an denen, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist.”