Das neunte Gebot: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten”, stellt hohe Anforderungen an den Menschen hinsichtlich der Wahrhaftigkeit seiner Gesinnung dem Nächsten gegenüber. Ohne Wahrhaftigkeit kann kein echtes Gefühl der Liebe bestehen, und umgekehrt. Die strengen Gebote des Dekalogs wären nicht nötig, wenn alle Menschen den geistigen Höhepunkt erreicht hätten, wo ein jeder seinen Nächsten liebet wie sich selbst. Nur die Wenigsten halten diese Errungenschaft für möglich; niemand aber wird im Ernst behaupten wollen, er könne der Verpflichtung, den Ruf eines andern in Ehren zu halten, nicht zum mindesten insoweit nachkommen, daß er sich der Verleumdung gegen ihn enthält.
Wohl gibt es menschliche Gesetze, die gegen ein solches Vergehen Strafe vorschreiben, sie kommen aber im Vergleich zu dem Gesetz, das da sagt, „Du sollst nicht stehlen”, vor Gericht sehr selten zur Geltung. Diese Tatsache läßt die materialistische Richtung der Menschheit erkennen. Der Prediger Salomo erklärt: „Ein guter Ruf ist köstlicher denn großer Reichtum.” Denselben Gedanken bringt Shakespeare zum Ausdruck, wenn er einen seiner Charaktere sagen läßt:
Wer meinen Beutel stiehlt, nimmt Tand; ’s ist etwas
Und nichts; mein war es, ward das Seine nun,
Und ist der Sklav' von Tausenden gewesen.
Doch, wer den guten Namen mir entwendet,
Der raubt mir das, was ihn nicht reicher macht,
Mich aber bettelarm.
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