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Gotteskindschaft

Aus der Mai 1913-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Durch das Studium der Christlichen Wissenschaft erschließt sich mir der Sinn der Heiligen Schrift immer mehr, und Stellen im Alten wie im Neuen Testament, die mir früher schwerverständlich, widersprechend oder unglaubhaft erschienen, sind „zu meines Fußes Leuchte” geworden. Das Alte Testament mit seinen vielen Berichten von wunderbaren Befreiungen aus schlimmen Lagen durch göttliche Macht betrachtete ich früher als in das Gebiet des Sagenhaften gehörend. Das Neue Testament mit seinen wunderbaren Heilungen war mir noch unverständlicher wegen der unerfüllten Verheißungen eines Erlösers, dessen Leben, meiner Ansicht nach, eigentlich nutzlos gewesen war, da seine Offenbarung der heilenden und erlösenden Macht Gottes nur einem kurzen Zeitraum und einer verhältnismäßig kleinen Schar von Menschen gegolten zu haben scheint, wo doch Erlösung von Sünde, Krankheit und Leid allezeit dringend not tat. Das Neue Testament war also für mich ein Rätsel und erweckte in mir die Vorstellung von einem ungerechten Gott, der nicht willens ist, Seine wohltätige Kraft in der heutigen Welt wirken zu lassen.

Die folgende Stelle aus dem Römerbrief erwies sich mir als eine äußerst wertvolle Hilfe, als ich sie durch die Christliche Wissenschaft verstehen lernte: „Derselbige Geist gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi”. „Miterben Christi” bedeutet doch wohl, daß wir alles sind, was er durch seine Gotteskindschaft war; daß wir zu jeder Zeit und in allen Nöten uns an Gott wenden dürfen und seitens Seiner allmächtigen und allgegenwärtigen Liebe ein schnelles Entgegenkommen finden; daß wir lieben können, wie Jesus liebte, den Versucher überwinden, wie er ihn überwand, den Bedürftigen reichlich geben, wie er gab, und daß wir in jeder Weise sein wunderbares Erbe mit ihm teilen können.

Wenn jemand, der in größter Armut gelebt hat, plötzlich durch eine Erbschaft in den Besitz eines ungeheuren Vermögens gelangt, so kann er das ihm nun Gebotene wohl nicht gleich seinem vollen Umfang nach übersehen, noch sich sofort von allen Zuständen befreien, die die Armut ihm auferlegt hat; auch ist er nicht imstande, alles nun vorhandene Gute sogleich zu verwerten. Er wird finden, daß der neuerlangte Geldbesitz ihm allerdings die Möglichkeit bietet, die äußeren Annehmlichkeiten des Lebens in seinen Bereich zu bringen, daß aber eine feinere Lebensweise und die damit verbundenen höheren Freuden und Genüsse nur durch Erziehung und Bildung erreicht werden. Er muß sich zunächst von dem früheren Gefühl des Beschränktseins und dessen Einfluß frei machen und sich in der neuen Welt, in die er getreten ist, einigermaßen zurechtfinden. Sein Genuß der höheren Lebensgüter bemißt sich nach seiner Empfänglichkeit für das Schöne, das Edle, das Geistige, sowie nach seiner Fähigkeit, sich diese Dinge zu eigen zu machen. Der Prozeß, durch den ein Mensch zu einem Faktor in dieser höheren Welt des materiellen Sinnes werden kann, ist auf alle Fälle ein langsamer und äußerst schwieriger für denjenigen, der sich vollständig an die Dürftigkeiten und unschönen Seiten des Lebens gewöhnt hat, die die Armut mit sich bringt.

Ebenso schwierig ist es für einen Christlichen Wissenschafter, sein volles Erbe mit Christus sogleich anzutreten, und es erscheint ihm unmöglich, einem mit der Christlichen Wissenschaft nicht Vertrauten gegenüber von all dem Guten zu sprechen, das er durch diese Lehre an sich erfahren hat. Von den vielen Segnungen, die dem Christlichen Wissenschafter zuteil worden sind, wird die Heilung von körperlichen Leiden noch am ehesten begriffen; daher erzählt er gewöhnlich zuerst von diesen Segnungen, wenn er nach dem Grund seines Glaubens gefragt wird. Doch ist noch niemand durch Beistand in christlich-wissenschaftlichem Sinn geheilt worden, der nicht gleichzeitig in gewissem Maße den größeren Segen einer Sinnesänderung an sich erfahren hat. Umgekehrt wird bei einem Menschen, der sich der Christlichen Wissenschaft wegen Heilung eines von Kummer und Sorge bedrückten Herzens zuwendet, Physische Besserung niemals ausbleiben.

In einer Mittwochabend-Versammlung sprach unlängst ein Herr von seinen Erfahrungen in bezug auf das christlich-wissenschaftliche Heilen. Er sagte, er habe sich dieser Lehre nicht wegen körperlicher Heilung zugewandt, sondern wegen Heilung in geschäftlicher Beziehung — d. h. weil er mit Mißerfolgen und dem damit verbunden Gefühl der Entmutigung und Hoffnungslosigkeit zu kämpfen hatte. Er sagte, er habe gefunden, daß durch das Verständnis der Wahrheit, das ihm die Christliche Wissenschaft vermittelt habe, binnen Jahresfrist nicht nur hinsichtlich dieser Zustände eine Besserung eingetreten sei, sondern daß er auch in bezug auf seine Gesundheit ein ganz andrer Mensch geworden und von verschiedenen Leiden geheilt worden sei; und er fügte hinzu: „Erst wenn ein Mensch Christlicher Wissenschafter wird, erkennt er, wie krank er früher war.” Der wahre Sinn dieses Ausspruchs liegt in seiner Umkehrung, nämlich, daß ein Mensch nicht eher weiß, wie frei er von Krankheit sein kann, bis er Christlicher Wissenschafter geworden ist. Die schulmäßige Theologie lehrt, daß wir Leiden als einen Teil der göttlichen Ordnung hinnehmen müßten. Unsrer Erfahrung zufolge ist die Arzneimittellehre zur Hebung dieser Leiden unzulänglich. Der größte Teil der heutigen Menschheit ist sich der Tatsache nicht bewußt, daß der vollkommene Mensch vollkommene Freiheit darstellt, und daß Harmonie nicht eine zukünftige Möglichkeit ist, sondern schon zur gegenwärtigen Zeit von einem jeden erreicht werden kann.

Meine erste Erfahrung in der Christlichen Wissenschaft war ein wunderbarer Beweis für den zweifachen Segen, den sie uns bietet. Ich suchte eine ausübende Vertreterin auf, um von Malaria geheilt zu werden, von der ich zweimal jährlich befallen wurde. Das Fieber hielt gewöhnlich mehrere Wochen an und brachte viel Leiden mit sich. Der erste Schritt bestand darin, daß mich die ausübende Vertreterin bis zu einem gewissen Grade aus dem Traum des materiellen Daseins aufweckte, indem sie mich in den einfachsten Wahrheiten über Gott und Seine Schöpfung unterwies und mir des Menschen Gotteskindschaft erklärte. Dann führte sie meinen neuerweckten geistigen Sinn den Anfängen der geistigen Erkenntnis zu. Meine ersten Schritte waren schwach und wankend, wie die eines Kindes, das gehen lernt. Sie bestanden darin, daß ich von einem Zustand der Unwissenheit über Gott als Geist zu einem schwachen Erfassen geistiger Wirklichkeit gelangte, sodann zur Hoffnung und zum Glauben, dem nach einiger Zeit ein Gefühl des Friedens und des Geborgenseins folgte, wie ich es nie für möglich gehalten hatte. Angst, Furcht, ein Gefühl des Beschränktseins sowie verschiedene Übel, die anscheinend ertragen werden mußten, weil man ihnen nach der allgemeinen Ansicht weder entgehen kann noch darf, wurden durch die Erkenntnis verdrängt, daß das Leben unwandelbar im Guten besteht. Mir war, als sei ich in ein bewußtes geistiges Sein hineingeboren worden.

Nun fand ich aber, daß der erwachende geistige Sinn dieselbe sorgsame Pflege erfordert, wie das Leben eines Neugeborenen. Dieser Sinn verlangte nach seiner eignen besonderen Nahrung, d. h. nach geistigen Ideen, und er gedieh nur in dem Maße, wie er mit Wahrheit genährt wurde. Hierzu bedurfte es des täglichen Lesens der Heiligen Schrift in Verbindung mit der von Mrs. Eddy in Wissenschaft und Gesundheit gegebenen geistigen Auslegung. Wenn ich diese Nahrung nicht regelmäßig zu mir nahm, fand ich, daß nicht nur im Wachstum des neugeborenen geistigen Verständnisses eine Stockung eintrat, sondern daß auch das bereits Erreichte zu schwinden begann, wie wenn einem Kinde die rechte Nahrung und die reine Luft entzogen wird und es dadurch an Lebenskraft einbüßt. In der Heiligen Schrift lesen wir: „Das Fleisch lüstet wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch”; und Mrs. Eddy erklärt die Notwendigkeit steten Bemühens, um die geistige Wirklichkeit zu erfassen, wenn sie sagt: „Durch die falsche Würdigung von der Seele als im Sinn und von dem Gemüt als in der Materie wohnend, verirrt sich die Annahme in einen Begriff von zeitweiligem Verlust oder Abwesenheit der Seele, der geistigen Wahrheit” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 311).

Der Umstand, daß der Krankheitsanfall durch achttägigen anwesend erteilten Beistand überwunden wurde, während welcher Zeit ich einen schwachen Schimmer von der Wahrheit des Seins empfing, war mir ein Beweis, daß der Körper die Wirkung des wahren Verständnisses vom Leben zum Ausdruck bringen muß. Unsre Führerin sagt: „Die göttliche Wahrheit muß sowohl an ihren Wirkungen auf den Körper, als an ihren Wirkungen auf das Gemüt erkannt werden” (S. 350). Beide Arten der Heilung sind in meinem Fall eingetreten. Eins der größten Übel in meinem Leben war das Gefühl der Ungewißheit und eine unbestimmbare Furcht vor Verlusten, vor Unglück und Geldmangel. Die durch Wissenschaft und Gesundheit gegebene Auslegung der Heiligen Schrift hat jedoch dieses Gedanken-Gespenst verscheucht. Allmählich wurde mir das Wesen Gottes und Seiner unwandelbaren Beziehung zum Menschen als Leben, Liebe und Gesetz klar, bis meine Befürchtungen nacheinander schwanden und ich nun weiß, daß das Schlimmste, dessen der Irrtum fähig ist, nur darin besteht, eine falsche Wirklichkeit zu beanspruchen, und daß seine Äußerung ihrem Wesen nach nur ein Traum sein kann, der überwunden wird, wenn man durch Selbstverleugnung und Liebe in die Fußtapfen des Christus tritt. So habe ich denn die Versicherung, daß ich durch Treue und Ausdauer den Versucher überwinden und die Gotteskindschaft beweisen werde. Auch habe ich an mir selbst erfahren, daß „derselbige Geist gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind”, denn während der letzten elf Jahre hat Gott allerlei Krankheiten in meiner Familie geheilt. Ich weiß, daß in dem Maße, wie in mir das Bewußtsein von des Menschen Gotteskindschaft erwacht, alles Gute in meinem Leben zum Ausdruck kommen muß, denn ich habe schon viele Beweise dafür gehabt, daß es des Vaters Wohlgefallen ist, uns das Reich zu geben, wie schon der Meister verkündete.

Täglich lerne ich das Werk Mrs. Eddys für die Menschheit in höherem Maße würdigen. Dadurch, daß sie den Kelch Christi trank und sein Brot aß, wurde sie fähig, die Botschaft Gottes zu verkünden. Die Welt hat das wissenschaftliche Zeitalter erreicht, und ihre Forderung lautet: Entweder eine wissenschaftliche Religion oder gar keine Religion. Das Gefühl regt sich überall, daß die Menschen der Religion ihrer Vorfahren entwachsen sind, weil sie in einem Zeitalter leben, da alle Dinge bewiesen werden müssen. Es sei denn, die Verheißungen der Väter können erfüllt werden, so legt ihnen unsre Zeit keinen Wert bei und erkennt den von ihnen verehrten Gott nicht an. Als die Zeit erfüllt war, erschien eine Frau, deren langjähriges andachtsvolles Streben, das göttliche Wesen zu erfassen, durch die Offenbarung der Wissenschaft des Christentums belohnt wurde. Diese Wissenschaft erschließt uns die Tatsache, daß alle in der Bibel unsrer Väter enthaltenen Wahrheiten auch heute noch bewiesen werden können.


Fast alle Menschen nennen das Leben eine Wanderschaft und sich selber die Wanderer. Das Gleichnis kann verbessert werden, wenn wir bemerken, daß die Guten freudig und heiter sind, gleich Wanderern, die ihrer Heimat zueilen, daß aber die Gottlosen unglücklich sind, gleich solchen, die in die Irre laufen,

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