Das Werk des wissenschaftlichen Heilens und der moralischen Umwandlung, welches den Beweis erbringt, daß die Christliche Wissenschaft „das ursprüngliche Christentum und sein verlorengegangenes Element des Heilens” wiedereinführt (Church Manual, S. 17), wird von vielen Christen verworfen mit der Begründung, daß die Tage der Wunder vorüber seien. Man hört oft sagen, die Heilungen, die zu alt- und neustamentlichen Zeiten durch die Kraft des Geistes, Gottes, vollbracht wurden, gehörten ganz der Vergangenheit an und seien in unsern Zeiten nicht mehr möglich. Es wird daher bezweifelt, daß das christlich-wissenschaftliche Heilen geistig ist.
Einer dieser Kritiker sagte unlängst in einem öffentlichen Vortrag: „Ich glaube an eine christliche Wissenschaft, aber nicht an diejenige von Mrs. Eddy”, und erklärte dann im weiteren, die moderne Medizin sei eine christliche Heilmethode. Die Wunder Jesu, behauptete er, würden in unsern Tagen durch das Wirken der Medizin und der Chirurgie ersetzt. Es muß hier eingefügt werden, daß die Mediziner selbst keine christliche Basis für ihr Heilsystem beanspruchen, ja daß sie eine Beziehung ihrer Methoden zu den Lehren und Werken Jesu ausdrücklich verneinen. Zudem lassen weder die Werke des großen Meisters noch das heilende Prinzip, wie es die Bibel lehrt, eine solche Beziehung erkennen. Der Messias der modernen medizinischen Wissenschaft ist das materielle Gesetz, nicht Jesus von Nazareth. Ihr zufolge wären die vorherrschenden medizinischen Theorien als die Basis wahren Heilens anzusehen, statt der Weisheit des himmlischen Vaters, die durch Jesus wirkte und die Heilungen vollbrachte.
Wenn solche falsche Behauptungen nur vereinzelt laut würden, dann wären sie kaum der Beachtung wert. Leider aber kommen sie sowohl in der Presse wie auf der Kanzel christlicher Kirchen oft zum Ausdruck. Dieser Irrtum muß vernichtet werden, wenn die Kraft des Geistes, wie sie durch den galiläischen Propheten wirkte, auch heute werktätig bewiesen werden soll. Durch die ganze Heilige Schrift erklingt die Ermahnung, daß wir uns um Heilung auf Gott, Geist, verlassen sollen, nicht auf ein materielles Mittel. Der Versuch, medizinische Theorien mit der christlichen Lehre in Vereinbarung zu bringen, ist daher geradezu widersinnig.
Das Heilen durch das Sichverlassen auf die Macht Gottes ist nicht auf die Zeit beschränkt, in der Jesus wirkte, denn die jüdischen Patriarchen und Propheten heilten während der zweitausend Jahre vor der Geburt Jesu, und die Christen taten desgleichen bis ins dritte Jahrhundert nach der Kreuzigung. Nur für solche, die nicht zu erkennen vermögen, daß der Christus-Geist stets gegenwärtig ist, erscheint das geistige Heilen eine Unmöglichkeit. Die Geschichte spricht von einer Zeit „vor Christus”: und doch sagte Jesus von seinem geistigen Selbst: „Ehedenn Abraham ward, bin Ich”. Oft hört man die, welche sich zu den Nachfolgern Jesu zählen, von einer Vergangenheit sprechen, die sie „die Zeit Christi” nennen, obschon er versicherte: „Ich bin bei euch alle Tage”. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß der Christus-Geist heute ebenso zugänglich und wirksam ist wie zu der Zeit, als Jesus lehrte und heilte; und sie verlangt unter anderm, daß ihre Anhänger „die Zeichen” tun sollten, von denen der Meister sagte, sie würden folgen „denen, die da glauben”.
Wie Johannes erklärt, kam Jesus auf Erden, um den Willen seines Vaters zu verkünden. Wenn wir überzeugt sind, daß Jesus diesen Auftrag ausführte, dann müssen wir seine Werke als eine Willensäußerung Gottes betrachten. Ist es nun nicht Gottes Wille, daß heute in derselben Weise geheilt werde, dann kann Gottes Wille nicht unveränderlich sein. Diese Unveränderlichkeit wird aber in der Bibel klar bezeugt. Der Prediger Salomo erklärt: „Alles was Gott tut, das bestehet immer”, ein Ausspruch, der mit unserm höchsten Begriff von Gott übereinstimmt. Der große Lehrer des Neuen Testaments versicherte oft und in verschiedener Weise, daß das Erlösungs- und Heilungswerk, welches er vollbrachte, nicht von ihm selbst war sondern von Gott. Wenn daher heute gesagt wird, die Werke Gottes gehörten der Vergangenheit an, so wird damit dem allgemein anerkannten theologischen Glauben widersprochen.
Die Behauptung, die Medizin und die Chirurgie stellten die moderne Heilmethode Gottes dar, ist nur eine Ausflucht. Weder in der Verfahrungsart noch in den Resultaten kommen diese Methoden im geringsten der Methode des Meisters nahe. Schon die Tatsache, daß sie sowohl von Atheisten, von Abergläubischen, von Anhängern irgendwelcher unchristlicher Sekten wie von anerkannten Christen angewandt werden, ist ein deutlicher Beweis hierfür. Wie könnten diese rein materiellen Theorien göttlichen Ursprungs sein, da sie doch anerkanntermaßen in so manchen Fällen machtlos sind und den Sieg des „letzten Feindes” nur hinausschieben können. Die Geschichte der medizinischen Wissenschaft beweist, daß trotz jahrtausendelanger Praxis eine stete Zunahme der Zahl und der Erscheinungsformen von Sünde und Krankheit stattgefunden hat. Und dabei nimmt man an, diese Praxis stehe im Einklang mit der Lehre, daß Gott für den Menschen Gesundheit, Rechtschaffenheit und ewiges Leben bestimmt hat! Müssen solche Systeme nicht als mangelhaft erfunden werden angesichts der Worte Jesu: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.”
In der überlieferten Theologie bedeutet ein „Wunder” das zeitweilige Außerkrafttreten eines Gesetzes und daher einen unerklärlichen Vorgang. Die allgemeine wissenschaftliche Auffassung eines Wunders ist die eines Vorgangs, der auf Gesetz beruht und nur deshalb unerklärlich ist, weil er ein Problem darstellt, zu dessen Lösung das Verständnis noch nicht die nötige Reise hat. Diese Auffassung ist in unsern Tagen entschieden vorwiegend und schließt die Möglichkeit nicht mehr aus, daß Jesu Werke erklärbar sind.
Mrs. Eddy hat die Zeit solch vorgeschrittenen Denkens deutlich vorausgesehen. Auf Seite 474 von Wissenschaft und Gesundheit findet sich folgende Erklärung: „Christliche Wunder (und Wunder ist die einfache Bedeutung des griechischen Wortes, das in der englischen Übersetzung des Neuen Testaments mit ‚miracle‘ wiedergegeben ist) werden von vielen mißverstanden und mißbraucht werden, bis das glorreiche Prinzip dieser Wunder erlangt ist”. Und weiter sagt sie in bezug auf das „Prinzip dieser Wunder” (S. 138): „Das göttliche Leben, die göttliche Wahrheit und Liebe und nicht eine menschliche Persönlichkeit [war] der Heiler der Kranken. ... Von dieser geistig wissenschaftlichen Basis aus erklärte Jesus seine Heilungen, welche Außenstehenden wie Wunder erschienen”. Durch die Erkenntnis dieser Wahrheiten widerlegt die Christliche Wissenschaft die Behauptung, daß „die Tage der Wunder” vorbei seien und liefert den Beweis, daß die Wunder der Bibel nicht geheimnisvoll und unnatürlich sind, sondern das unmittelbare Ergebnis des göttlichen Gesetzes, durch dessen richtiges Verständnis die Welt erlöst wird.
