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Warum gehen Christliche Wissenschafter zur Kirche?

Aus der Oktober 1914-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Die Rührigkeit, die die protestantischen Kirchen der Vereinigten Staaten in letzter Zeit an den Tag legen, um den Kirchenbesuch zu heben, hat die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf die christlich-wissenschaftlichen Kirchen gelenkt und den Gegensatz zwischen dem Besuch ihrer Gottesdienste und dem Besuch der Gottesdienste in andern Kirchen hervortreten lassen. Die Frage ist ernstlich aufgeworfen worden, warum der Kirchenbesuch für die Christlichen Wissenschafter kein Problem bedeutet, obschon bei ihnen die Anziehungskraft der persönlichen Predigt, der rituellen Handlung, der kunstvollen Musik oder sonstiger Hilfsmittel wegfällt. Es ist dies eine berechtigte Frage, und die Antwort darauf dürfte auch für diejenigen von uns nicht ohne Wert sein, die sich am christlich-wissenschaftlichen Gottesdienst erfreuen, ohne aber je über das Geheimnis seiner Kraft richtig nachgedacht zu haben.

Daß das Problem des Kirchenbesuchs und der Kirchen-Unterstützung kein lokales ist, geht aus den von Zeit zu Zeit in ausländischen Zeitschriften erscheinenden Erörterungen klar hervor. In sehr offener Weise behandelt ein Geistlicher im „Hibbert Journal“ (Januar 1914) die Frage: „Warum hat die anglikanische Kirche versagt?” Er stellt zunächst die „geistige Rastlosigkeit” und den durch die „jetzt herrschenden wissenschaftlichen und intellektuellen Bewegungen” entstehenden Unglauben als belanglos dar und kommt in seiner Prüfung der Ursachen, die der Nichtteilnahme am Gottesdienst zugrundeliegen, zu dem Schluß, daß sich bei den Kirchenbesuchern eine gewisse „Flauheit bezüglich geistiger Dinge” eingestellt habe, die sich aus ihrem größeren Interesse für sogenannte „zeitliche Bestrebungen und Genüsse” erklären lasse.

Ohne Zweifel hat die Kirche sehr viel von ihrem früheren Einfluß auf die Gemüter der Menschen verloren. Sie wird nicht mehr so allgemein als ein göttlicher Richter betrachtet, der die Schlüssel zum Himmelreich hält. Sie sucht ihre wahre Stellung einzunehmen, indem sie den gemeinsamen Boden liefert für geistiges Zusammenwirken und geistige Kultur, einen Mittelpunkt bildend, von dem religiöse Inspiration und religiöser Trost ausgehen kann. Es wird immer mehr erkannt, daß der einzelne seine Verantwortlichkeit hinsichtlich seines geistigen Standes und seiner geistigen Erkenntnis nicht der Kirche überlassen darf. Der moderne Mensch übernimmt selbst diese Verantwortlichkeit und entledigt sich derselben in seiner eignen Weise. Ob er nun auf dem bequemsten Wege dahinschlendert, oder sich auf den Höhen geistiger Inspiration bewegt, in dem ausgesprochenen Bestreben, sein eignes Selbst zu läutern, hängt völlig von ihm ab. Wenn ein Lehnstuhl am Ofen, Pantoffeln und ein Buch das innere Gefühl eines Menschen stärker ansprechen als der erhebende Einfluß eines Gottesdienstes, dann steht der Tag im Zeichen der Ofenecke. Ist einem an materieller Behaglichkeit mehr gelegen als am Streben nach geistigen Dingen, dann müssen Kirchenbesuch und kirchliche Interessen Einbuße erleiden. Hat aber andrerseits die Kirche keine ihr besonders eigne Botschaft zu bringen, keine ansprechende und wirksame Botschaft, dann verfehlt sie ihre Mission.

Weder der Gottesdienst an sich noch blinde Anhänglichkeit seitens der Teilnehmer kann eine volle Erklärung für den starken Besuch der christlich-wissenschaftlichen Kirchen bieten, wennschon beide Elemente dabei eine Rolle spielen und aufeinander wirken. Daß diesem Gottesdienst eine besondere geistige Kraft innewohnt, steht für diejenigen, die seinen Einfluß erfahren haben, unzweifelhaft fest. Die Erhebung, welche er bewirkt, beruht nicht auf der vorübergehenden Anziehungskraft eines persönlichen Predigers oder Lesers, oder auf rein intellektuellem Interesse für das zu behandelnde Thema, sondern auf der wissenschaftlich verbindenden und erhebenden Kraft gemeinsamen geistigen Denkens.

Die Lektions-Predigt der Christlichen Wissenschaft ist ihren Hörern nicht neu und ruft keine intellektuelle Verwunderung hervor. Während der voraufgehenden Woche haben die meisten Hörer dieselbe wiederholt durchgenommen und sind mit allen darin enthaltenen Darlegungen vertraut. Die Wahrheit in diesen Darlegungen ist in verschiedenem Grad verstanden und angewandt worden. Auf dem ganzen Erdkreis, in Hunderten von großen Bevölkerungszentren, in zahllosen vereinzelten Wohnsitzen, auf weiten Ebenen, auf hohen Bergen oder auf dem Meere ist dieselbe Lektion die Woche hindurch geistig absorbiert worden und wird in den Gemütern und im Leben der Studierenden immer mehr eine geistig wirkende Kraft. Wenn dann der sonntägliche Gottesdienst seinen Anfang nimmt, findet dieses Denken einen gemeinsamen Ausdruck, nicht allein durch das wechselseitige Lesen, sondern besonders durch die rege mentale Tätigkeit Tausender von Zuhörern. Wenn in einer Zone das Lesen der Lektion beendet ist, beginnt es in einer andern Zone. So geht der göttliche Impuls über die ganze Erde und vereinigt die nach Hunderttausenden zählenden Hörer, welche zu jeder Menschenklasse gehören und unter allen Himmelsstrichen leben, unter einem heilenden Einfluß.

Mrs. Eddy erklärt: „Das ‚still sanfte Säuseln‘ des wissenschaftlichen Gedankens erstreckt sich über Land und Meer bis zu den fernsten Grenzen des Erdballes” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 559). Die Christlichen Wissenschafter kennen und verstehen die ungeheure Kumulativkraft rechten Denkens sowie die selbstzerstörende Wirkung falschen Denkens. Sie wissen, daß sie mit ihrem Sichvergegenwärtigen des Prinzips, das in den Lektions-Predigten zur Darlegung kommt, einen Einfluß von unendlicher Tragweite wirken lassen, einen Einfluß, der weit über Zeit und Raum hinausgeht und der dazu beiträgt, das Reich Gottes auf Erden in die Erscheinung zu bringen. Außenstehende fühlen und bezeugen die beruhigende und erhebende Wirkung der christlich-wissenschaftlichen Gottesdienste, obgleich sie sich diese Wirkung nicht erklären können. Die Heilung von Vorurteil und Furcht, von Sünde und Krankheit, wie sie durch das Lesen der Lektions-Predigt in den Gottesdiensten fortwährend erfolgt, ist ein Beweis dafür, daß diese Form des Gottesdienstes wirksam und „göttlich autorisiert” ist, wie in der „Erklärenden Bemerkung” des „Quarterly“ steht. Dies erklärt sich nicht allein aus der Form des Gottesdienstes, so einfach und schön sie auch ist, nicht allein aus der Darlegung des Gegenstandes, obgleich diese eine endlose Mannigfaltigkeit und Frische in sich birgt, nicht allein aus den logischen Folgerungen, so unmittelbar und überzeugend sie auch wirken, nicht allein aus der Schönheit des Vortrags, so einfach und ungekünstelt er auch ist. Dies alles wirkt mit; aber die eigentliche Kraft ist andrer Art. Jeder christlich-wissenschaftliche Gottesdienst ist eine Weltpredigt, ein der ganzen Welt erteilter Beistand, der die Behauptungen der Unwissenheit und des Irrtums unhaltbarer und hinfälliger macht und die Verfügungen des Übels sowie menschliche Beschränkungen allmählich aufhebt.

Der Einfluß der Christlichen Wissenschaft auf die Gemüter derer, die sie studieren, beruht auf dem Erkennen ihres allumfassenden und grundlegenden Charakters. Der Christliche Wissenschafter weiß, daß, wenn er in seinem Leben einen harmonischen Zustand aufrechterhalten will, er ebensowenig Maßstäbe des Denkens und Handelns annehmen oder aufstellen kann, die zu dem Grundgesetz der Christlichen Wissenschaft im Gegensatz stehen, wie er sich ein spezielles Einmaleins aufstellen und dabei mit seinen Nebenmenschen geschäftliche Beziehungen aufrechterhalten könnte. Das Gesetz, demzufolge das Gute selbsterhaltend und ewig und das Übel selbstzerstörend und daher zeitlich ist, waltet über sein tägliches Denken und Handeln, Dieser Einfluß erstreckt sich bis auf die Einzelheiten seines Lebens. Das Streben, an Gotteserkenntnis zu wachsen und das geistige Gesetz wirken zu lassen, tritt in den Mittelpunkt seines Lebens, weil er sieht, daß alles andre davon abhängt — körperliches Wohlbefinden, Ruhe des Gemüts, Erfolg in geschäftlichen Dingen. Für den Christlichen Wissenschafter bedeutet „Trägheit in geistigen Dingen” nichts weiter als mentaler, moralischer und physischer Rückschritt. Geistiges Gedeihen liegt allem zugrunde und erhält alles, was wünschenswert, dauernd und gut ist.

Der Besuch in der Kirche ist für den Christlichen Wissenschafter keine geduldig zu ertragende Pflicht, sondern er bezeugt seine innere Teilnahme an der größten wirkenden Kraft der Welt. Dieser Kirchenbesuch bedeutet Ruhe, Stärkung des geistigen Empfindens. Er ist das wichtigste Ereignis des Tages, dem gegenüber alles andre zurücktritt. Kein Christlicher Wissenschafter geht nur zur Kirche, um sein Gewissen zu beruhigen oder sein Ansehen zu wahren. Er geht, weil er gehen will. Er geht in der Erkenntnis, daß, wenn er nicht mental an dem Gottesdienst teilnimmt, seine Anwesenheit rein nutzlos ist. Er weiß, daß er aus dem Gottesdienst in dem Maße Vorteil zieht, wie er dessen Sinn versteht, aufmerksam an dessen Gang teilnimmt und die Wahrheit des Erläuterten durch praktische Demonstration beweist. Er ist sich während der ganzen Woche bewußt, daß er durch das Studium der Sonntagslektion konstruktive Arbeit zur Förderung der Sache der Christlichen Wissenschaft leistet, und daß überall in der Welt Tausende und aber Tausende mit ihm arbeiten und dadurch helfen, der Menschheit den Himmel auf Erden näher zu bringen.

Mrs. Eddy hat die einzigartige Bedeutung der Lektions-Predigt klar gemacht, indem sie sie als eine „Lektion” bezeichnet, „von der die Wohlfahrt der Christlichen Wissenschaft in hohem Grade abhängt” (Kirchenhandbuch, Art. III, Abschn. 1). In welcher Verfassung wir zu den Gottesdiensten kommen sollen, wird uns in folgender Satzung gesagt: „Die Gebete in den christlich-wissenschaftlichen Kirchen sollen insgesamt und ausschließlich für die Gemeinde dargebracht werden” (Art. VIII, Abschn. 5).

Diejenigen, die an der Christlichen Wissenschaft Kritik üben, suchen den starken Besuch bei unsern Gottesdiensten durch deren eigenartigen Charakter zu erklären sowie durch die menschliche Sucht, irgend etwas zu verbreiten, was ausgesprochen neu ist. Ein solch oberflächliches Urteil trifft nicht den Kern der Sache und hat höchstens für eine sehr geringe Anzahl von Anhängern Geltung. Wenn es je dahin käme, daß der Kirchenbesuch für den Christlichen Wissenschafter zur bloßen Gewohnheit oder zur lästigen Pflicht würde, statt ein geistiger Genuß zu sein, dann würde dies einen beklagenswerten Rückschritt im geistigen Wachstum bedeuten, einen Rückschritt, der für den einzelnen wie für die Sache, der wir so viel verdanken, von schlimmer Vorbedeutung wäre.

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