Die Rührigkeit, die die protestantischen Kirchen der Vereinigten Staaten in letzter Zeit an den Tag legen, um den Kirchenbesuch zu heben, hat die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf die christlich-wissenschaftlichen Kirchen gelenkt und den Gegensatz zwischen dem Besuch ihrer Gottesdienste und dem Besuch der Gottesdienste in andern Kirchen hervortreten lassen. Die Frage ist ernstlich aufgeworfen worden, warum der Kirchenbesuch für die Christlichen Wissenschafter kein Problem bedeutet, obschon bei ihnen die Anziehungskraft der persönlichen Predigt, der rituellen Handlung, der kunstvollen Musik oder sonstiger Hilfsmittel wegfällt. Es ist dies eine berechtigte Frage, und die Antwort darauf dürfte auch für diejenigen von uns nicht ohne Wert sein, die sich am christlich-wissenschaftlichen Gottesdienst erfreuen, ohne aber je über das Geheimnis seiner Kraft richtig nachgedacht zu haben.
Daß das Problem des Kirchenbesuchs und der Kirchen-Unterstützung kein lokales ist, geht aus den von Zeit zu Zeit in ausländischen Zeitschriften erscheinenden Erörterungen klar hervor. In sehr offener Weise behandelt ein Geistlicher im „Hibbert Journal“ (Januar 1914) die Frage: „Warum hat die anglikanische Kirche versagt?” Er stellt zunächst die „geistige Rastlosigkeit” und den durch die „jetzt herrschenden wissenschaftlichen und intellektuellen Bewegungen” entstehenden Unglauben als belanglos dar und kommt in seiner Prüfung der Ursachen, die der Nichtteilnahme am Gottesdienst zugrundeliegen, zu dem Schluß, daß sich bei den Kirchenbesuchern eine gewisse „Flauheit bezüglich geistiger Dinge” eingestellt habe, die sich aus ihrem größeren Interesse für sogenannte „zeitliche Bestrebungen und Genüsse” erklären lasse.
Ohne Zweifel hat die Kirche sehr viel von ihrem früheren Einfluß auf die Gemüter der Menschen verloren. Sie wird nicht mehr so allgemein als ein göttlicher Richter betrachtet, der die Schlüssel zum Himmelreich hält. Sie sucht ihre wahre Stellung einzunehmen, indem sie den gemeinsamen Boden liefert für geistiges Zusammenwirken und geistige Kultur, einen Mittelpunkt bildend, von dem religiöse Inspiration und religiöser Trost ausgehen kann. Es wird immer mehr erkannt, daß der einzelne seine Verantwortlichkeit hinsichtlich seines geistigen Standes und seiner geistigen Erkenntnis nicht der Kirche überlassen darf. Der moderne Mensch übernimmt selbst diese Verantwortlichkeit und entledigt sich derselben in seiner eignen Weise. Ob er nun auf dem bequemsten Wege dahinschlendert, oder sich auf den Höhen geistiger Inspiration bewegt, in dem ausgesprochenen Bestreben, sein eignes Selbst zu läutern, hängt völlig von ihm ab. Wenn ein Lehnstuhl am Ofen, Pantoffeln und ein Buch das innere Gefühl eines Menschen stärker ansprechen als der erhebende Einfluß eines Gottesdienstes, dann steht der Tag im Zeichen der Ofenecke. Ist einem an materieller Behaglichkeit mehr gelegen als am Streben nach geistigen Dingen, dann müssen Kirchenbesuch und kirchliche Interessen Einbuße erleiden. Hat aber andrerseits die Kirche keine ihr besonders eigne Botschaft zu bringen, keine ansprechende und wirksame Botschaft, dann verfehlt sie ihre Mission.
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