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Der Geist des Dienstes

Aus der November 1914-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Als Jesus zu seinen Jüngern sagte: „Ich aber bin unter euch wie ein Diener”, rügte er nicht nur ihren sterblichen Eifer hinsichtlich der Frage, „welcher unter ihnen sollte für den Größten gehalten werden”, sondern er wies auch deutlich auf das Zeichen hin, an dem die Menschheit die Gegenwart der Wahrheit allezeit erkennen würde. Der Wunsch, der Welt Dienste zu erweisen, ist allen Menschen gemein, doch verleiten die selbstsüchtigen Elemente des sterblichen Gemüts gar viele, ihren Mitmenschen gegenüber eine Herrscherstellung einzunehmen und sich „gnädige Herrn” nennen zu lassen. Dieser persönliche Sinn setzt sich über den geistigen Dienst hinweg, der vom Meister eingesetzt wurde. Nur der kann ihn erreichen, der in gewissem Maße eine Erkenntnis vom göttlichen Prinzip erlangt hat, von dem Jesus beseelt war.

Um andern wirksam helfen zu können, ist zunächst eine richtige Kenntnis von dem Wahren Bedürfnis der Menschheit nötig, sodann das erforderliche praktische Verständnis, ja noch mehr, eine Kenntnis dessen, was im eignen Innern den liebevollen Wunsch erzeugt, dem Nächsten zu dienen. Kurzum, man muß ein Ideal das eigne Streben leiten lassen, wenn man den feindlichen Elementen der Selbstverherrlichung und des mesmerischen Mitgefühls im Innern entgehen und sich in verständnisvoller Weise vor der Ausbeutung des selbstsüchtigen Feindes schützen will, welcher in der Gestalt derer erscheint, die stets danach trachten, jedem einen Dienst aufzuerlegen, der bereit erscheint, sich nützlich zu erweisen.

Durch die Entdeckung, Darlegung und Ausübung der Christlichen Wissenschaft hat Mrs. Eddy die Welt auf den wahren geistigen Dienst hingewiesen, der von Jesus eingeführt und von seinen Nachfolgern während der ersten zwei Jahrhunderte ausgeübt wurde. Unser Lehrbuch Wissenschaft und Gesundheit legt dar, daß göttlicher und daher wirklich hilfreicher Dienst wissenschaftlich sein muß. Dieses Buch stellt menschliches Denken und Handeln auf die richtige Grundlage und weist auf das Prinzip und Gesetz hin, demzufolge das richtige Verhältnis der Menschen zueinander durch einen geistigen Sinn von Liebe aufrechterhalten wird, der weder dem Frost sterblicher Sentimentalität ausgesetzt noch unter einer Schicht selbstsüchtiger Ansprüche begraben werden kann. Die Christliche Wissenschaft zieht im Interesse der Menschheit in systematischer Weise zu Felde, und die Anhänger dieser Bewegung sind der nutzbringenden Ergebnisse ihrer eignen Bemühungen ebenso gewiß, wie der Astronom hinsichtlich der Bahn der Gestirne, die er auf Grund der Gesetze der von ihm verstandenen Wissenschaft berechnet hat.

Der lebhafte Wunsch, einem andern zu helfen, etwas für ihn zu tun, ist eine der ersten bemerkbaren Wirkungen der Christlichen Wissenschaft auf die Sinnesart des Forschenden. Während seine Gedanken früher überwiegend (wenn auch vielleicht unbewußt) auf das eigne Selbst gerichtet waren, in dem Bestreben, aus der Arbeit andrer für sich Gewinn zu ziehen, so fühlt er sich jetzt veranlaßt, Gutes zu geben, wiederzuspiegeln, zum Ausdruck zu bringen. Dieses neue Verlangen bekundet eine gewisse Kenntnis von der göttlichen Liebe, vom Prinzip, dem Schöpfer des Weltalls, der durch den unendlichen Raum die Milde, Schöne, Sanftmut und Herrlichkeit Seines eignen Wesens verbreitet. Das Bewußtsein, in welches dieser göttliche Einfluß gedrungen ist, fängt sofort an, in dem Maße seiner Empfänglichkeit der Wahrheit die Tätigkeit der Liebe wiederzuspiegeln.

Der Neuling darf sich wahrlich freuen, daß er einen Strahl dieser herrlichen Bedeutung vom Leben erblickt hat, von der Liebe, die auf immer durch Liebe wirkt und zum Ausdruck kommt, und in deren Erkenntnis er nun die Kunst des göttlichen Dienstes ausüben will. Wohl befindet er sich noch im Nachteil, denn er ist nicht sogleich aller seiner alten Vorstellungen bezüglich der Materie und seiner Abhängigkeit von derselben ledig. Seine anfängliche Begeisterung wird leicht gedämpft, wenn er findet, daß er immer noch dem Irrtum zur Verfügung steht und denen dient, „die von Natur nicht Götter sind”— den Anmaßungen des menschlichen Willens, der Gewinnsucht und Ungerechtigkeit, der Selbstsucht nichterweckter Sterblicher, die seine Hilfsbereitschaft auszubeuten suchen, fast ebenso wie früher, als er Gott nicht erkannte. Und doch ist es anders geworden, denn während er sich früher in einem Zustand der Erkenntnislosigkeit befand, weiß er jetzt mit Bestimmtheit, daß es ein vollkommenes Prinzip gibt, das ihn führen wird. Wenn auch seine Hilfsbereitschaft mißbraucht worden ist, so darf er doch seinen Wunsch nicht unterdrücken, andern zu helfen, sondern er muß unbedingt ein besseres Verständnis vom Leben und von der Wahrheit erlangen, und somit klarer erkennen, wem sein Dienst gehört. Wachsende geistige Erkenntnis befähigt ihn, zwischen berechtigten und unberechtigten Anforderungen an sein Wohlwollen zu unterscheiden.

Durch die ganze Heilige Schrift hindurch geht ein Motiv, das sich zuerst in dem Befehl vernehmen läßt: „Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen”, das später in der vollkommenen Ausübung Jesu veranschaulicht wird, in der Offenbarung des Johannes den Höhepunkt erreicht und in den Worten Ausdruck findet: „Seine Knechte werden ihm dienen”. Der Dienst Gottes, der unendlichen Liebe, schließt liebenden Dienst gegen alles in sich, was Ihn zum Ausdruck bringt, verbietet aber die geringste Unterstützung dessen, was dem Wesen der Gottheit widerspricht und was daher auf den falschen Ansprüchen des menschlichen Willens sich gründet und von der menschlichen Selbstsucht ausgeht.

Wahrer Dienst ist also absolute Treue gegen das geistige Ideal. Er beginnt daheim, im eignen Bewußtsein, wo wir die Bande des materiellen Sinnes lösen müssen, der den Geist in der Knechtschaft materieller Verfahrungsarten zu halten sucht. Dem Gesetz der Liebe im höchsten Sinne dienen, bedeutet, unser ganzes Bewußtsein der Tätigkeit göttlicher Ideen derart einzuräumen, daß wir ihrem Gegenteil keinen Augenblick ergeben sein können. Überdies ist es offenbar, daß es ebenso unwissenschaftlich ist, dem Irrtum bei einem andern nachzugeben, als für seine Tätigkeit im eignen Denken Platz zu machen. In beiden Fällen lassen wir den Irrtum als Wahrheit gelten, während eine richtige Anwendung des Prinzips und der Regel der Christlichen Wissenschaft der materiellen Annahme in allen ihren Formen die scheinbare Macht oder Wirklichkeit benehmen würde.

Während Jesus unter Menschen als ein Dienender weilte, bewies er jederzeit, daß er sich völlig im klaren war hinsichtlich seines Dienstes zum Wohl der Menschheit. Er wußte, daß er sich durch keine sterbliche oder persönliche Beziehung an irgend etwas fesseln lassen durfte, was nicht dem göttlichen Musterbild entsprach. Wenn Freundschaft Ansprüche an ihn stellte, ließ er den allgemeinen Begriff von Verbindlichkeit gegen persönliche Freunde außer acht. Dem rührenden Vorwurf der beiden Schwestern: „Herr, wärest du hie gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!” begegnete er mit der Herrlichkeit seines klaren, unwandelbaren Dienstes gegen das geistige Musterbild. Er war nicht gekommen, um ihnen deshalb zu helfen, weil sie und ihr Bruder Lazarus seine Freunde waren, sondern er wollte sie veranlassen, ihr Denken auf das stets gegenwärtige Prinzip zu richten, statt auf ihn selbst als eine Person. Er diente dem Leben, das sein eignes Bewußtsein erfüllte, und durch seine Treue war er befähigt, den falschen Dienst seiner Freunde gegen die Materie sowie die daraus entstehenden Erfahrungen des Todes und des Kummers aufzuheben.

Bei einer andern Gelegenheit lobte Jesus Maria, weil sie der Wahrheit, die er lehrte, andächtig lauschte, während sie dem sterblichen Gedanken zufolge hätte rührig sein sollen in ihrer Sorge um die materiellen Bedürfnisse der Familie und der Freunde. Dadurch, daß Maria es vorzog, von dem herrlichen Ideal etwas zu erfassen, das der Meister erläuterte und nach dem sie ihr Leben gestalten wollte, erwies sie der ganzen Menschheit einen Dienst. Nicht der Umstand, daß Martha eine gute Hausfrau war, trug ihr einen Vorwurf ein, sondern ihr Mangel an Erkenntnis der Tatsache, daß das geistig Wirkliche stets das wahrhaft Notwendige ist. Der wahre Dienst ist ein mentaler Dienst, und ohne diesen ist ein bloßes Sichhinundherbewegen wertlos. Die Ermahnung lautet dahin, daß wir das eigne Ich vergessen und zum Wohl der Menschheit wirken sollen. In vielen Fällen würde das Opfer, welches ein Mensch für einen andern bringt, an Wert beträchtlich einbüßen, wenn man ihm auf den Grund ginge, indem es sich als eine listige Form von Selbstsucht herausstellt — vielleicht als Familienstolz, als ein Bestreben, unerfreuliche Verhältnisse zuzudecken, oder als Selbstverherrlichung, deren Torheit durch den wahren Begriff von Selbstlosigkeit augenscheinlich werden würde.

Es mag sonderbar erscheinen, ist aber dennoch Tatsache, daß das, was wir für einen andern tun, von geringerer Bedeutung ist als der Beweggrund zu der Tat. Unser Tun mag einem andern durchaus wohltätig erscheinen, wenn aber unser Sinn der eigentlichen Inspiration der Liebe entbehrt, so haben wir dem Geist des Dienstes, den die Weisheit allein anerkennt, nicht Genüge getan. Wenn ferner unser Beweggrund durchaus lauter ist, wir aber für einen andern das tun, was er zu seinem eignen Vorteil besser selber getan hätte, dann haben wir ihm nicht im wahren Sinn des Wortes geholfen, sondern er ist dadurch, daß wir ihn in seinem Vertrauen auf Persönlichkeit statt auf das Prinzip bestärkt haben, unnötigerweise geschwächt worden. Außerdem haben wir Kraft vergeudet, die wir rechtmäßigen Forderungen hätten dienstbar machen sollen, und sind für einen solchen falschen Begriff von Dienst zu keiner Belohnung berechtigt.

Die Ermahnung: „Durch die Liebe diene einer dem andern”, wird im höchsten Sinne erfüllt, wenn wir durch unsre bestimmte Weigerung, uns einer unsrer Überzeugung nach nicht von Gott kommenden Forderung zu unterwerfen, auch die um uns her nötigen, sich von ihrer falschen Abhängigkeit von der Persönlichkeit abzuwenden und sich voll und ganz auf das göttliche Prinzip, auf die Liebe zu stützen, die allein aller menschlichen Notdurft abhilft. Die höchste Gerechtigkeit gegen andre, deren wir fähig sind, fordert gleiche Gerechtigkeit ihrerseits gegen uns. Sie verlangt mit Bestimmtheit, daß der Gottesmensch im Bewußtsein des einzelnen klar hervortrete. Dann sehen wir unsre eigne Notdurft in der eines andern und freuen uns in der Erkenntnis der geistigen Übereinstimmung Gottes und des in Seinem Bilde geschaffenen Menschen. Wir lernen dann erkennen, was wir tun müssen, um andre lieben zu können, wie uns selbst. Dieses Erkennen des Menschen im Ebenbilde Gottes ist das einzige Verfahren, nach welchem Sünde, Krankheit und Selbstsucht, die namenlosen Leiden auf Erden, überwunden werden können. Und darin liegt der wahre Geist des Dienstes, welcher der Welt not tut.

Ein solcher Dienst ist nicht zu erzwingen, auch kann er keinem andern Beweggrund entspringen als dem der Liebe. Er teilt freiwillig mit, weil er eine Widerspiegelung des Gebers alles Guten ist. Wenn Jesus sagte: „Und so dich jemand nötiget eine Meile, so gehe mit ihm zwo”, so bedeutet dies wohl, daß uns nicht viel Lob für das zukommt, was wir gezwungenerweise tun. Ein erzwungener Dienst sollte aber für uns kein solcher bleiben. Wenn wir uns der Forderungen des geistig Idealen bewußt werden, so geben wir uns während der ersten Meile in dem Maße einer richtigen Denktätigkeit hin, daß die falschen Ansprüche von Ungerechtigkeit, welchen Charakter sie auch annehmen mögen, auf nichts zurückgeführt werden, denn das Charakteristische an der Christlichen Wissenschaft ist, daß sie den Irrtum zerstört, nicht ihm dient. Wir müssen aber unbedingt den Sieg über uns selbst erringen, ja die Liebe, welche allein Macht hat, die unwirklichen materiellen Ansprüche zum Schweigen zu bringen; und ebenso unbedingt müssen wir die Bereitwilligkeit pflegen, den Forderungen der Wahrheit nachzukommen. Dann werden wir während der zweiten Meile einen Dienst leisten, wie er stets sein sollte. Wir werden Wohlwollen und freundliche Hilfsbereitschaft zum Ausdruck bringen. Der Sieg über das eigne Ich ist Vorbedingung zur wahren Hilfsbereitschaft. Die Vorstellung, daß das Leben in der Materie sei, muß abgelegt werden, damit unser geistiges Erkennungsvermögen geklärt werde und wir den wirklichen Menschen sehen können.

Jede materielle Fessel muß gelöst werden, damit das Denken den geistigen Menschen zum Ausdruck bringen möge. Dann kommt das frohe Bewußtsein, daß das Weltall mit Gottes Ideen erfüllt ist, die sich alle miteinander in liebender Gemeinschaft bewegen, doch einzeln nur von Gott abhängig sind. Der vollkommenste Dienst, den wir der Welt leisten können, besteht also darin, daß wir Schritt für Schritt unser eignes Leben mit dem vollkommenen Vorbild in Einklang bringen und uns stets als willige Werkzeuge der Weisheit und Liebe beweisen. Diese Treue gegenüber dem Prinzip des Rechten, das allerhaben ist, ist eine wirksame Hilfe bei der Austreibung der falschen Götter (denen wir alle unwissenderweise gedient haben) aus unsrer Erfahrung und der Erfahrung andrer, und sie bringt uns reichen Segen. „Gesegnet ist der Mensch”, sagt Mrs. Eddy, „der seines Bruders Not sieht und ihr abhilft und das eigne Gute in dem des andern sucht” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 518).

Beim Meister war es die Göttlichkeit seines Denkens, die ihn auch seiner menschlichen Natur nach so unbeschreiblich sanftmütig gegen diejenigen machte, die sich nach Freiheit sehnten, und doch so unnachgiebig gegen den Irrtum, der ihrem Freisein entgegenstand. Noch niemand hat diesen idealen Dienst gegen die Welt erreicht; viele aber freuen sich in der Erkenntnis, daß die Christliche Wissenschaft ihnen den Weg gewiesen hat und sie befähigt, mit der Pflege der göttlichen Art des Denkens sofort zu beginnen. Sie haben erkannt, daß Sünde, Krankheit und Leiden durch rechtes Denken vernichtet werden müssen. Der Meister faßte sein Verfahren und den Grund des Dienstes in die Worte zusammen: „Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.”

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