Christliche Wissenschafter, die bestrebt sind, ihr Leben gemäß den Lehren von Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mrs. Eddy umzugestalten, sollten die Notwendigkeit erkennen, nicht nur mit den falschen Anschauungen der Gegenwart aufzuräumen, sondern auch über die Vergangenheit richtig zu denken. Um dies in richtiger, metaphysischer Weise zu tun, muß man vorerst die Grundwahrheit erfassen, daß Gott die einzige Macht, daß einzige Gemüt, der einzige Schöpfer des Menschen und des Weltalls ist. Wenn wir das Übel in irgendwelcher Form als wirklich anerkennen, dann ist unser Folgern unrichtig und kann nicht zur Lösung unsrer Probleme führen.
Im dritten Kapitel des Predigers heißt es: „Ich merkte, daß alles, was Gott tut, das bestehet immer: man kann nichts dazutun oder abtun; und solches tut Gott, daß man sich vor ihm fürchten soll. Was geschieht, das ist zuvor geschehen, und was geschehen wird, ist auch zuvor geschehen; und Gott sucht wieder auf, das vergangen ist”. Diese Worte lassen klar und deutlich die große Tatsache erkennen, daß Gottes harmonische, vollkommene Schöpfung immer bestanden hat; daß es nichts gibt, was das Gesetz des Guten zerstören oder die absolute geistige Harmonie beeinflussen könnte; daß die Schöpfung stets vollkommen bleiben muß.
Die meisten von uns haben, bevor wir uns der Christlichen Wissenschaft zuwandten, alle möglichen Mittel versucht, um entweder von physischen oder von mentalen Leiden befreit zu werden. Aber wir mußten zuletzt einsehen, daß materielle Mittel versagen, und erst dann waren wir bereit, uns unserm Vater-Mutter Gott zuzuwenden, der stets bereit ist, diejenigen zu trösten, die sich in kindlichem Glauben an Ihn wenden, mit dem Wunsche, das Wesen des Reichs Gottes, das in uns ist, zu verstehen.
Durch die Christliche Wissenschaft lernen wir vor allem einsehen, daß es nötig ist, über jedes Problem, das sich uns darbietet, richtig zu denken. Dies versuchen wir dann wohl in bezug auf unsre täglichen Erfahrungen zu tun, sehen aber oft nur langsam ein, daß wir auch die Vergangenheit mit einschließen müssen. Ganz unbewußt halten wir an dem Glauben an vergangenes Leid fest und sprechen von gewissen Enttäuschungen, die wir erlebt haben, oder von Unrecht, das uns widerfahren ist, als von etwas Wirklichem, bis der alte Groll wieder in uns aufsteigt und Macht über uns gewinnt. In den eben zitierten Versen aus dem Buch des Predigers heißt es, Gott suche wieder auf, was vergangen ist. Was sucht Er auf? Sicherlich sind nicht die Disharmonien unsrer Vergangenheit gemeint. Vergangenes Unrecht ist ebensowenig wirklich wie gegenwärtiges, und darum müssen wir die Regel des richtigen Denkens auch auf das anwenden, was hinter uns liegt. Die Erkenntnis von der Unwirklichkeit des Übels schließt es aus Gottes Reich aus, zeigt uns, daß Gott es niemals geschaffen hat, daß sein Anspruch auf Leben und Wirklichkeit lediglich auf dem sogenannten sterblichen Gemüt beruht, welches der Apostel Paulus „eine Feindschaft wider Gott” nennt.
Wenn die Wahrheit über etwas zutage tritt, dann wird dadurch eine Lüge zerstört. Und so können wir durch die wachsende Erkenntnis, daß Gott das einzige Gemüt ist, dessen Gesetz unwandelbare Harmonie bewirkt, nach und nach aus dem mesmerischen Traum erwachen und uns über das falsche Zeugnis der materiellen Sinne erheben. Der Glaube an eine unglückliche Vergangenheit, der uns binden möchte, muß dieser Erkenntnis weichen. Jesus sagte: „Und werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch freimachen”. Ist dies nicht eine wunderbare Botschaft für all diejenigen, auf denen Scham und Schmerz lastet? Oft hören wir sagen: „Wie kann ich jemals von der Vergangenheit frei werden? Sie wird für immer wie ein Mühlstein an meinem Halse hängen; das Unrecht, das ich begangen habe, kann nie aus der Erinnerung getilgt werden.” Zu diesen Mühseligen und Beladenen, die sich an Gott um Hilfe wenden, kommt der Tröster, die göttliche Wissenschaft, und bringt ihnen Ruhe und Frieden, indem sie klarlegt, daß Gott die einzige Macht ist und daß der Mensch jetzt und für immer Gott zum Ausdruck bringt; daß unser wirkliches Selbst der Wiederschein der Liebe und Reinheit ist. Durch das Hereinbrechen dieses erlösenden Lichtes wird der menschliche Begriff einer unharmonischen Vergangenheit als eine falsche Annahme bloßgelegt, und wir sind dann nicht „entkleidet sondern überkleidet ..., auf daß das Sterbliche würde verschlungen von dem Leben”.
Diese Erkenntnis heilt auch Spaltungen in Kirchen und Familien, weil sie die Erinnerung an vergangenes Unrecht austilgt und jedes Gefühl persönlichen Beleidigtseins vernichtet. Wenn wir für uns selber Freiheit beanspruchen, dann müssen wir sie auch für andre beanspruchen. Tun wir dies, dann hören wir auf, unsern Nächsten zu verdammen und zu kritisieren, und helfen ihm, der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes zuzustreben. Solange wir über einen andern unrecht denken, das Böse personifizieren, können wir selbst niemals ganz frei werden. Indem wir uns nun Tag für Tag bemühen, immer mehr in den Fußtapfen des großen Meisters zu wandeln, gewinnen wir einen weiteren Ausblick auf die wirkliche Bedeutung der Christlichen Wissenschaft und ihr segensreiches Wirken. Wir erkennen, daß durch die Demonstration ihrer Lehre der Welt Erlösung und Heilung zuteil wird.
Laßt uns jeden Tag mit dem festen, wohldurchdachten Entschluß beginnen, Gott besser verstehen zu lernen, den Blick auf „das Dauernde, das Gute und Wahre gerichtet” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 261). Wenn wir dies getreulich tun, dann haben wir keine Zeit, uns mit müßigem Bedauern über vergangenes Leid zu beschäftigen oder über die Fehler und Schwächen andrer nachzudenken. Die Erkenntnis, daß die Vergangenheit sowohl wie die Gegenwart und die Zukunft Gott angehören, erweckt in uns den Wunsch, gemeinschaftlich und mit Ernst und Hingabe an dem Werk zu arbeiten, das der Menschheit Gesundheit, Frieden und Glückseligkeit bringen wird.
